
Die Zahl der gläubigen Katholiken steigt zwar weltweit, doch die Kirche gerät immer wieder in die Negativschlagzeilen ...
Navigation
Kaum etwas im Leben ist schwieriger, als friedlich das Erbe zu regeln. Daran ändert auch die geplante Reform des Schweizer Erbrechts nichts: «Unter dem Strich gehts immer ums Geld», sagt Gisbert Bultmann. Geschichten aus dem Alltag eines Notars.
Erben führt fast immer zu Streit – das weiss Notar Gisbert Bultmann aus Erfahrung.
Ich behaupte immer, dass ich eines gemacht hätte. Tatsächlich ist nur ein kleiner Teil geregelt. Die grosse Sache steht noch aus.
Da sind Notare auch nicht anders als Schuhmacher, die mit löchrigen Schuhen losgehen. Es ist unangenehm, sich mit der eigenen Endlichkeit zu befassen. Nur ein Viertel der Menschen hinterlässt ein ordentliches Testament. Sie denken, sie hätten noch Zeit.
Fast immer.
Der Urgrund der Erbstreitigkeiten ist, dass Eltern den Fehler begehen, ihre Kinder ungleich zu behandeln. Das Testament entsteht kurz vor dem Tod, oft zu einem Zeitpunkt, da die Eltern bereits auf Hilfe angewiesen sind. Das eine Kind pflegt, das andere wohnt weit weg. Der Sterbende sieht dem Kind vor Ort in die Augen und sagt: Du kriegst das Haus. Und das andere nur den Pflichtteil.
Ja. Und natürlich auch um verletzte Gefühle. Schon die Bibel ist voll von solchen Geschichten. Da gibt es etwa die vom verlorenen Sohn. Der eine Sohn verlangt von seinem Vater das Erbteil, reist damit in die Welt und verprasst es. Als er dann nach Jahren als armer Mann zurückkehrt, hat der Vater Mitleid mit ihm. Er bestraft ihn nicht, sondern lässt ein Kalb für ein grosses Fest schlachten. Der andere Sohn, der immer fleissig war und seinem Vater gehorcht hat, sieht das mit Eifersucht und Zorn.
Gisbert Bultmann (64) ist einer von über 7000 Notaren in Deutschland. Seit 26 Jahren setzt er in seiner Kanzlei in Recklinghausen (Nordrhein-Westfalen) Testamente auf und hat dabei so einiges erlebt. Bultmann lebt in Recklinghausen, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Absolut. Wer nicht teilen muss, muss nicht leiden. Ab zwei Kindern wird es kompliziert. Die Natur hat es glücklicherweise so eingerichtet, dass Eltern ihre Kinder in aller Regel gleich lieben. Alles andere empfinden die Kinder als schwere Kränkung. Mit zunehmendem Alter sehen die Eltern die Beziehung zu ihren Kindern aber auch unter einem geschäftlichen Aspekt. Wer sich mehr gekümmert hat, soll auch mehr bekommen. So nimmt das Unglück seinen Lauf.
Klar, wenn sie vernünftig wären. Aber meistens sagt das Kind, das mehr bekommt, zu den anderen: Ihr seid doch selber schuld, nie habt ihr euch um Papa gekümmert.
In all den Jahren kaum ein einziges Mal. Es gibt allenfalls die Bereitschaft, eine Summe zu runden, damit man zu einer Einigung kommt.
Ja, immer. Ich sage dann: «Sie säen einen Streit zwischen Ihren Kindern, den Sie nicht mehr schlichten können. Denn Sie sind im Grab.» Aber meistens nützen alle Warnungen nichts.
Patchwork-Familien mögen modern sein, sind aber der pure Erbhorror, sagt Bultmann.
Bestimmt schwingt das mit. Was ich auf Erden hinterlasse, ist die letzte Potenz. Da werden auch Rechnungen beglichen, das ist nur menschlich. Es ist auch schlimmer geworden, weil die Menschen älter werden. Ich habe heute Fälle, in denen das Erbe eines 90-Jährigen verteilt werden muss. Dann sitzen hier Kinder, die 60 Jahre und älter sind. Die haben selbst bereits Enkelkinder und haben sich lange von der ursprünglichen Kernfamilie entfernt. Je länger das Leben dauert, umso mehr dunkle Gefühle können sich aufstauen.
Die sind purer Erbhorror. Patchwork klingt so schön nach gehäkelter Decke. Im Alltag des Erbrechts ist das ein Hauen und Stechen. Nehmen wir an, die Frau stirbt, und der Mann verbandelt sich mit einer neuen. Der 20 Jahre jüngeren Frau räumt er dann lebenslanges Wohnrecht in dem Haus ein, in dem die Kinder gross geworden sind. Das sind Konstellationen, in denen die Betroffenen einander gern erdolchen würden.
Dieses Jahr beschliesst die Schweiz eine Reform des über 100 Jahre alten Erbrechts. Das Erben soll an die heutigen Lebensrealitäten angepasst werden, profitieren würden unverheiratete Paare, Patchworkfamilien und Familienbetriebe. Unter anderem sollen die Pflichtteile beim Erben reduziert werden, um dem Erblasser mehr Freiheiten bei seinem Nachlass zu geben. Jener des Ehegatten würde halbiert, jener der Nachkommen um ein Drittel reduziert, jener der Eltern ganz gestrichen. Inhaber von Familienbetrieben hätten so die Freiheit, ihrem Nachfolger mehr zu hinterlassen als den anderen Nachkommen.
In der Vernehmlassung letztes Jahr haben sich alle Kantone und die Mehrheit der Parteien für eine Revision des Erbrechts ausgesprochen, einige jedoch beurteilen die Vorlage als zu zögerlich, anderen geht sie zu weit. Klar ist, dass es sich um eine emotionsbeladene Reform handelt. Umstritten ist zum Beispiel das neue Unterhaltsvermächtnis, über das Konkubinatspartner oder Stiefkinder, die durch den Tod des Erblassers in Not geraten, eine Art Rente aus dem Erbvermögen erhalten könnten. Ob der Verstorbene nebenbei noch verheiratet und die Lebensgefährtin lediglich die Geliebte war, spielt dabei keine Rolle.
Im Moment stirbt die Nachkriegsgeneration, die oft nichts als Arbeit kannte und die sich selten etwas gegönnt hat. Da geht es meist schon um sechsstellige Beträge.
Nicht unbedingt. Die Armen streiten sich ums Bettlaken, die Betuchten um den Diamantring, den die Mutter ihnen auf dem Sterbebett versprochen hatte.
Die wird ja im Erbfall in Geld gemessen. Die meisten kommen hier rein und sagen: «Sie müssen nicht denken, dass es mir ums Geld geht. Mir gehts ums Prinzip!» Da weiss ich immer schon: Jetzt wirds besonders doll. Unterm Strich gehts immer um Geld.
Schwer zu sagen: Bei Schmuck bekomme ich immer Hautausschlag, weil die Leute dessen Wert völlig überschätzen. Das kommt in einer Reihe mit Briefmarken- und Münzsammlungen. Wenn es nicht gerade ein Zweikaräter ist, sagen die meisten Juweliere: «Bleib mir weg mit dem Kram, schon das Wertgutachten kostet mehr, als der Ring wert ist.» Bei Erinnerungsstücken sind immer Gefühle mit im Spiel, das liegt in der Natur der Sache. Ich habe gerade den Fall einer Galeristin, da geht es um ein Bild, eine Ansicht von Venedig. Der Vater der Galeristin hatte neu geheiratet und seine zweite Frau als Erbin eingesetzt. Der Tochter blieb nur der Pflichtteil. Trotzdem sagt die Tochter: «Das Bild ist eine Erinnerung an meine Kindheit, das hing bei uns früher im Wohnzimmer.» Die neue Frau ist der Meinung, das Bild gehöre ihr, weil es lange in dem Apartment hing, das sie mit ihrem Mann bewohnt hat. Wirtschaftlich ist das Bild höchstens ein paar Hundert Euro wert. Aber es geht eben um den emotionalen Wert, die Erinnerung. Und ums Rechthaben.
«Die Menschen haben leider ein Elefantengedächtnis. Die sitzen hier und wissen noch ganz genau, dass die Gisela schon als Kind immer das grösste Stück Kuchen bekommen hat.»
Frauen vererben eher nach den Genen als Männer. Das ist evolutionär ganz logisch, Frauen wissen bei den Kindern sicher, dass es ihre sind. Sie investieren also in die eigenen Gene. Männer begünstigen auch gern mal ihre neue Frau. Die soll nach ihrem Tod noch ein schönes Leben haben.
Einmal habe ich gestaunt, bei einem Ehepaar, von dem ich dachte, dass es vermögend sei. War es auch. Aber als sie zu mir kamen, waren nur noch 15 000 Euro übrig. Sie sagten: «Wir haben alles verreist.» Sie waren in China, in Südamerika, in der Karibik. Aber das ist die absolute Ausnahme. Die meisten Deutschen halten bis zum Schluss das Geld zusammen.
Die Vermögen sind eher noch höher, die Bevölkerung noch vielfältiger – somit das Potenzial für Streit rund ums Erbe noch grösser. Das macht es umso wichtiger, im Vorfeld Gespräche zu führen und Vereinbarungen zu treffen.
Je älter ich werde, desto drakonischer werde ich.
Wenn die Leute vor mir streiten, gehe ich radikal dazwischen. Ich sage dann: «Ich will das jetzt alles nicht hören.» Die Menschen haben leider ein Elefantengedächtnis. Die sitzen hier und wissen noch ganz genau, dass die Gisela schon als Kind immer das grösste Stück Kuchen bekommen hat. Juristisch ist das aber völlig irrelevant. Bei Verhandlungen sagen Richter an dieser Stelle oft: «Ich geh dann mal raus. Wenn Sie sich gefangen haben, komme ich wieder.»
Reden. Die Konflikte, die im Todesfall Zeit, Nerven und Geld kosten, müssen vorher geklärt werden.
Das ist eine Katastrophe. Geld können Sie teilen, aber dann kommen die Sachwerte. Was ist mit dem Haus? Das will der eine behalten, der andere verkaufen. Dann kommen Gutachter über Gutachter. Der Alltag ist immer kompliziert. Da wird vorgerechnet, was jeder zum Wert des Erbes beigetragen hat. Das eine Kind wohnt im Haus, hat das Dachgeschoss ausgebaut, hat Geld investiert. Dafür sagt das andere Kind: Die Mama hat dir vor drei Jahren ein Auto gekauft.
Man verliert seine Illusionen, der Glaube an das Gute kriegt einen Knacks. Es kommt nicht von ungefähr, dass eines der grössten Dramen der Literatur, Shakespeares «King Lear», vom Erben und Vererben handelt. Kurzgefasst ist es die Geschichte eines alternden Königs, der drei Töchter hat, eine gute und zwei böse. Der König verstösst seine gute Tochter; die beiden anderen teilen sich das Reich auf. Hier haben wir doch im Grunde genommen das, was keiner wahrhaben will: Das Böse triumphiert.
Es gibt einen Witz. Kommt ein Mann zum Notar und sagt: Ich will ein Testament machen. Aber machen Sie es so wasserdicht, dass keine Auslegung möglich ist. Da sagt der Notar: Das hat selbst der Gottvater zweimal versucht, im Alten und im Neuen Testament. Und noch heute streiten sich die Gelehrten über die Auslegung.
Mein Ideal ist es eher, Ärger zu vermeiden. Die Menschen müssten nur mitspielen. Aber ich weiss, wie schwierig das ist. Ich habe einen Bruder, der ist über 1,90 Meter gross und vier Jahre älter als ich. Er stand immer unserer fünfköpfigen Geschwisterschar vor. Er war erfolgreich, der Sonnyboy, schon immer. Wir haben uns dann bei der Pflege der Eltern gestritten. Ich begann, Mails zu schreiben, statt zu reden. Irgendwann merkte ich: Gisbert, halt, du musst die Reissleine ziehen! Sonst bist du bald wie einer deiner eigenen Fälle.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von «Der Spiegel» (Copyright SPIEGEL 27/2016).
Übrigens: Bultmann hat inzwischen sein eigenes Testament gemacht und sich auch mit seinen Kindern über ihre Gleichbehandlung beim Erben auseinandergesetzt.