Roland Müller, lange war es relativ egal, wie Jungs aussahen, solange sie nicht dick waren. Heute geraten auch die Dünnen unter Druck. Wie ist es dazu gekommen?
Modeerscheinungen beeinflussen auch den Mann schon seit Langem, wenn auch nicht im gleichen Mass wie die Frau. Der aktuelle männliche Körperkult hat seine Wurzeln zu einem Grossteil in den 1980er-Jahren. Der auf dieses Gebiet spezialisierte US-Psychiater Harrison G. Pope hat nachgewiesen, dass die im Magazin «Playgirl» abgebildeten männlichen Pin-ups in dieser Zeit von Jahr zu Jahr muskulöser wurden, bei immer weniger Körperfett. Mit der Hollywoodkarriere von Arnold Schwarzenegger wurde in dieser Zeit auch das Bodybuilding einer breiten Masse bekannt und salonfähig gemacht. So entstand nach und nach das heutige Mainstreamideal des Mannes: muskulös und gleichzeitig schlank-definiert.
Unter Schwulen ist das schon lange das Ideal. Wie kam es dazu, dass daraus Mainstream geworden ist?
Zwar war die Körperoptik für homosexuelle Männer schon früher wichtiger, jedoch haben hetero- wie homosexuelle Männerbilder in den letzten Jahren eine ähnliche Entwicklung hin zu mehr Extremen durchgemacht. Dafür verantwortlich ist einerseits eine stark gewachsene Fitness-, Mode- und Lifestyleindustrie, die sich grosse und lukrative Märkte erschlossen hat. Mit cleverem Marketing begann sie, das muskulös-athletische Körperbild zu propagieren. Werbung hat zum Ziel, Menschen zu verunsichern und ihnen dann Produkte zu verkaufen – Werbung und Medien tragen also eine massgebliche Mitverantwortung für die Entwicklung. Hinzu kamen das Internet und soziale Medien, die für eine explosionsartige Verbreitung dieses Körperideals gerade beim jugendlichen Publikum sorgten. In der Pubertät lässt man sich bezüglich des eigenen Körpers besonders leicht verunsichern und sucht nach Vorbildern. Und je mehr Jugendliche dem muskulösen Körper nacheiferten, desto höher wurde der Druck auf alle anderen, dies ebenfalls anzustreben. Instagram ist ein Kanal, der dies momentan besonders befeuert.
Inwiefern?
Dort präsentieren sich weibliche Beauty-Bloggerinnen genau gleich wie männliche Fitnessstars. Sie zeigen ihre vermeintlich attraktiven Körper und promoten mit Gutscheinen und Rabatten auch gleich noch die entsprechenden Schönheitsprodukte. Im Grunde geht es vor allem darum, Geld zu verdienen. Insgesamt macht die Industrie dreistellige Millionenumsätze mit Produkten rund um Fitness inklusive Ernährungszusätze und Mode.