Als ich nach mehreren Monaten mein Zertifikat der Kochschule in Händen hielt, sagte die Leiterin der Kochschule: «Ihr könnt jetzt nach Rezept kochen.» Mit Nachdruck. Ich empfand es als eine etwas banale Zusammenfassung für die monatelange Plackerei und die vielen Stunden am Herd. Zumal ja Köchen nachgesagt wird, dass sie ungern nach Rezept kochen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits mehrere hundert Kochbücher und kochte mich durch viele Rezepte. Ich dachte über Rezepte nach. Es gibt Kochbücher, bei denen die Fotos nicht mit den verwendeten Zutaten übereinstimmen. Das hatte mich gerade bei Büchern ohne Nennung des Autors immer schon gestört, und den Verdacht erhärtet, dass die Produktion des Buchs nur auf schnelle Abverkäufe abzielte, eine Überprüfung der Rezepte aber nicht stattgefunden hatte. Ich erinnerte mich an einen Leser, der den Verlust seiner Plastikschüssel beklagte, weil er flüssiges Caramel eben in eine solche hineingoss, obwohl ich explizit eine ofenfeste Form empfohlen hatte. Das genaue Lesen eines Rezepts scheint nicht trivial zu sein. Seit meinen Praktika in Restaurantküchen weiss ich zudem: Auch Köche kochen nach Rezept – wenn auch nicht immer.
Das genaue Durchlesen bewahrt einen vor Pannen in der Küche. Sind alle Zutaten vorhanden? Sind die angegebenen Mengen nach gesundem Menschenverstand korrekt? Ist die Reihenfolge der Kochschritte plausibel? Und werden auch alle Zutaten in der Liste verwendet? Manch einer überliest ein «am Vortag» und bleibt erst panisch an der Stelle hängen, an der plötzlich «am nächsten Tag» steht.