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Kochen

Rezepte richtig lesen

Das genaue Lesen eines Rezepts scheint nicht trivial zu sein. Seit meinen Praktika in Restaurantküchen weiss ich zudem: Auch Köche kochen nach Rezept – wenn auch nicht immer.

Text Claudia Schmidt
Datum
Das Boeuf-Bourguignon-Rezept im Buchklassiker von Julia Child (deutsche Version).

Das Boeuf-Bourguignon-Rezept im Buchklassiker von Julia Child (deutsche Version).

Als ich nach mehreren Monaten mein Zertifikat der Kochschule in Händen hielt, sagte die Leiterin der Kochschule: «Ihr könnt jetzt nach Rezept kochen.» Mit Nachdruck. Ich empfand es als eine etwas banale Zusammenfassung für die monatelange Plackerei und die vielen Stunden am Herd. Zumal ja Köchen nachgesagt wird, dass sie ungern nach Rezept kochen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits mehrere hundert Kochbücher und kochte mich durch viele Rezepte. Ich dachte über Rezepte nach. Es gibt Kochbücher, bei denen die Fotos nicht mit den verwendeten Zutaten übereinstimmen. Das hatte mich gerade bei Büchern ohne Nennung des Autors immer schon gestört, und den Verdacht erhärtet, dass die Produktion des Buchs nur auf schnelle Abverkäufe abzielte, eine Überprüfung der Rezepte aber nicht stattgefunden hatte. Ich erinnerte mich an einen Leser, der den Verlust seiner Plastikschüssel beklagte, weil er flüssiges Caramel eben in eine solche hineingoss, obwohl ich explizit eine ofenfeste Form empfohlen hatte. Das genaue Lesen eines Rezepts scheint nicht trivial zu sein. Seit meinen Praktika in Restaurantküchen weiss ich zudem: Auch Köche kochen nach Rezept – wenn auch nicht immer.

Das genaue Durchlesen bewahrt einen vor Pannen in der Küche. Sind alle Zutaten vorhanden? Sind die angegebenen Mengen nach gesundem Menschenverstand korrekt? Ist die Reihenfolge der Kochschritte plausibel? Und werden auch alle Zutaten in der Liste verwendet? Manch einer überliest ein «am Vortag» und bleibt erst panisch an der Stelle hängen, an der plötzlich «am nächsten Tag» steht.

Ein Klassiker der französischen Küche liegt neu auf

Besonders sensibilisiert dafür die Lektüre von Kochbüchern. Ein besonderes Beispiel ist das gerade auf Deutsch erschienene Kochbuch Französisch Kochen von Julia Child und ihren Co-Autorinnen Louisette Bertholle und Beck Simone – 56 (!) Jahre nach Erscheinen des Originals.

Die Grande Dame des US-amerikanischen TV-Kochens lernte in den 50er-Jahren in der französischen Kochschule «Le Cordon Bleu» die Kunst der französischen Speisezubereitung. Sie hielt akribisch fest, wie die Franzosen ihre Gerichte zubereiteten. Und warum was wichtig war. So wurde Mastering the Art of French Cooking, wie das Buch im Original heisst, nicht nur zu einem Kochbuch mit Rezepten, sondern zu einem Buch, aus dem man – en passant – auch eine Menge lernen konnte. Nämlich das «wie genau» und «warum». Julia Child benötigt für ihr Boeuf-Bourguignon-Rezept nicht weniger als zwei Seiten Beschreibung in der deutschen Ausgabe. Zum Vergleich: Stéphane Reynaud kommt in seinem Buch «Ripailles» mit etwas weniger als einer Seite für das gleiche Gericht zurecht.

Der Unterschied liegt im Detail. Während ein erfahrener Hobbykoch auch mit Reynauds Buch ein deliziöses Mahl zuzubereiten vermag, werden bei Julia Child auch Anfänger an die Hand genommen. Statt der lapidaren Anweisung «Fleisch anbraten», lässt sie ihre Leser und Schüler wissen: «Das Fett im Bräter stark erhitzen, bis es fast raucht, bevor Sie das Rindfleisch darin anbraten. Das Rindfleisch mit Haushaltspapier abtrocknen. Wenn es noch feucht ist, wird es nicht braun. Braten Sie es portionsweise in der heissen Mischung aus Öl und Speckfett an, bis es von allen Seiten schön braun ist.» Das ist für Ungeübte wirklich hilfreich. So kann man sich Rezept für Rezept sehr viele Küchentechniken aneignen, und sicherlich wird man auch das nächste Steak vor dem Braten trockentupfen, damit es bräunt.

Wie in einer Kochschule sind beispielsweise Saucen nach Saucengattungen geordnet, sodass sich einem schon beim Durchblättern ein wenig Küchenlogik erschliesst. Wo nötig, etwa beim Binden eines Huhns, gibt es – zugegeben wenige – Illustrationen. Auf Bilder verzichtete bereits das heute erhältliche Original. Die Food-Fotos wären sicherlich eine hübsche Zeitreise in die frühen 60er-Jahre, doch eben genau dieses Fehlen von Bildern zeigt, was für ein zeitloser Klassiker diese Rezeptsammlung ist. Julia Childs unkomplizierte und leidenschaftliche Herangehensweise ans Kochen (und Essen) lassen den nötigen Funken an Begeisterung auch so herüberspringen. Auch wenn Paul Bocuse als Wegbereiter einer Nouvelle Cuisine gilt, der neue Wege ging und Klassiker modern interpretierte, machte er nie einen Hehl daraus, dass die ideale Küche eine bodenständige sei.

Und an der grundsätzlichen Herangehensweise hat sich kaum etwas geändert. Deshalb werde ich Julia Childs Meisterwerk sicherlich auch noch in 20 Jahren als Ratgeber und Nachschlagewerk konsultieren.

Cover «Französisch kochen»

Französisch kochen, Julia Child und ihre Co-Autorinnen Louisette Bertholle und Simone Beck, 656 Seiten, Echtzeit-Verlag.  Bei ex libris Franken 48 Franken.

Verlag: Echtzeit

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