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Die Migros und die Maya

Das Konzentrat für den Pink Grapefruitsaft der Migros stammt von einer Kooperative auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Über die Jahre ist unter dem Fairtrade-Label Max Havelaar eine intensive Partnerschaft entstanden, von der alle Beteiligten profitieren.

Text Roland Schäfli
Fotos Maurice Ressel
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Bis 2017 war Florida das Zentrum der Grapefruitwelt. Dann kam Hurrikan «Irma» und vernichtete grosse Teile der Ernte. Damals schlug die Stunde der mexikanischen Halbinsel Yucatán: Die Importeure orientierten sich neu nach Mittelamerika. Ein Schweizer Unternehmen war schon lange zuvor da: die Bischofszell Nahrungsmittel AG (Bina). Der Migros- Industriebetrieb hatte seine Leute schon fünf Jahre vorher nach Mexiko geschickt. «Wer mit diesen bodenständigen Bauern Geschäfte machen will, kann das nicht in einer Skype-Sitzung tun», sagt Arnold Graf, Produktgruppenmanager bei der Bina.

Die Migros kauft die gesamte Ernte

Das Fruchtanbaugebiet Yucatán wird von wenigen Konzernen beherrscht. Arnold Grafs Mission war, in Lateinamerika eine eigenständige Fabrik zu finden und diese Schritt für Schritt auf Schweizer Standard zu bringen. Dutzende Betriebe hatte er abgeklappert, bevor er in der Gemeinde Akil auf die stillgelegte Fruchtsaftfabrik Arpen stiess. Der Zeitpunkt war günstig, denn ein mexikanischer Investor namens Arturo Peniche Solís sah hier die Chance, gemeinsam mit der Migros seine Vision zu verwirklichen: einen Fairtrade-Betrieb, der die Pflanzer am Erfolg beteiligt, Mindestpreise garantiert und vor allem der Landflucht entgegenwirkt. Viele Landbesitzer der jüngeren Generation haben bereits entmutigt an Grossunternehmer verkauft und waren in die Stadt gezogen. Für Arturo Peniche Solís und Arnold Graf war das der Beginn einer Partnerschaft, von der beide Seiten profitieren sollten. Die Basis bildet das Versprechen der Migros- Tochter, die Abnahme der gesamten Ernte zu garantieren.

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Aus einem Umkreis von bis zu 50 Kilometern bringen die Bauern ihre Ware per Lastwagen in die Fruchtsaftfabrik in Akil.

Treffen mit der Kooperative

Heute treffen sich der 45-jährige Mexikaner und der 51-jährige Schweizer erneut. Graf macht eine Stippvisite während der Ernte. Gerade öffnet sich der Schlagbaum für Trucks, die ihre Früchte aus einem Umkreis von 50 Kilometern zur Fabrik fahren. Aus den Lastwagen steigen Männer, die eher schweigsam, aber immer zu einem freundlichen Lächeln bereit sind. Manche hinterlassen in dem Buch, in dem ihre Ladung registriert wird, statt einer Unterschrift einen Daumenabdruck – sie sind Analphabeten. 1200 dieser Bauern sind Mitglieder der Kooperative Union de Ejidos. Ihre Familien bestellen die Felder, meist ohne Fremdarbeiter. Heute steht die Zusammenkunft an, für die der Bina-Mann den weiten Weg aus der Ostschweiz gemacht hat. Im zwanglosen Gespräch mit dem Verwaltungsrat, der aus gewählten Vertretern der Farmer besteht, muss sich zeigen, ob die Partnerschaft im kommenden Jahr weiterbesteht. Die Bina gibt ihr langfristiges Versprechen ab. Die Delegierten unterhalten sich in der Maya-Sprache Mayathan, die ausserhalb ihrer sozialen Gruppe kaum jemand versteht. Von der Schweiz haben sie eine vage Vorstellung: «Es soll ein schönes Land sein mit Menschen, denen die Umweltverträglichkeit wichtig ist. Sie wollen Qualitätsprodukte », lässt sich der Vorsitzende übersetzen. Die Farmer lächeln bei der Erkenntnis: «Es gibt dort auch Bauern!» Das ist eine Gemeinsamkeit, auf der sich aufbauen lässt. Die Verwaltungsräte nicken. In den Regalen der Migros wird es also für ein weiteres Jahr pinken Grapefruitsaft geben. Ein hundertprozentig transparenter Prozess erlaubt die Rückverfolgbarkeit des Safts von den genossenschaftlichen Filialen bis zu den Plantagen auf Yucatán, ja sogar bis hin zum einzelnen Pflanzer. Einer von ihnen ist Leonardo Pacho. Seine Familie besitzt den Boden, den sie in der Nähe von Oxkutzcab der Wildnis abtrotzte, seit 90 Jahren.

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Warenannahme in Akil.

Vorsicht Schlangen

Hier setzt Graf vorsichtig einen Fuss vor den anderen: Es gibt Schlangen. Da der 84-Jährige Pacho bei den Bauern grossen Einfluss hat, hofft Graf, ihn als Fürsprecher zu gewinnen. Der frühere Biologielehrer hat viele der Bauern in der Schule unterrichtet. «Doch es gibt Dinge, die man in der Schule nicht lernen kann», sagt der betagte Professor. Zum Beispiel die traditionelle Biodiversität der Maya. Er kennt sie nicht aus Schulbüchern, sondern aus überlieferten Erzählungen seiner Vorfahren. Die Kultur der Maya wurde jahrhundertelang unterdrückt. Heute erlernt eine neue Generation den Ackerbau wieder nach deren Vorbild – ohne Unkrautund Schädlingsbekämpfung. Der uralten Tradition gehört die Zukunft, und sie liegt damit genau auf der Linie der Bina-Produktion mit dem Label «Fairtrade Max Havelaar».

Schweizer Engagement zeigt Wirkung

Die Schweizer kaufen nicht nur, sie fordern auch – etwa die Einhaltung der Mindestlöhne, die durch Arbeitsverträge garantiert werden mussten. Investor Arturo Peniche Solís hat dafür gesorgt und denkt bereits darüber nach, die «Unión» zum Kreditinstitut zu machen. Dann bräuchten die Farmer in einer schlechten Saison nicht bei den Kreditwucherern in der Stadt Geld zu leihen. «Einzelne Profiteure nutzen die vielen Analphabeten aus», sagt er. Ein grosser Fortschritt ist die Baumschule auf 48 Hektaren, liebevoll Nursery (englisch für Kinderstube) genannt. Das Schweizer Engagement hat den Mut für Investitionen befeuert. Die mexikanische Regierung unterstützte den Bau eines Gewächshauses mit zehn Millionen Pesos, umgerechnet einer halben Million Schweizer Franken. 20 Mitarbeiter regulieren künstliche Sonneund Regen, um jährlich eine MillionZitronenbäumchen vom Kern aus zu züchten. Dann werden die Setzlinge den Bauern zur Verfügung gestellt. Noch sind nicht alle bereit, ihre alten Bäume durch neue aus der «Nursery» zu ersetzen. Diese Überzeugung braucht Zeit. Doch davonscheint man in Mexiko immer genugzu haben. Die Zusammenarbeit zwischen Bischofszell und Akil braucht einen langen Atem. Wie gut, dass Arnold Graf früher als Ausdauersportler unterwegs war. Dadurch weiss der ehemalige Triathlet: Auch seine Arbeit in Mexiko fühlt sich manchmal an wie ein Marathon.

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Arturo Peniche Solís (links) erklärt Arnold Graf die Sortieranlage, die auch Zitronen, Orangen und Mandarinen verarbeitet.

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Fairtrade Max Havelaar

Wer Produkte mit dem Label von Fairtrade Max Havelaar kauft, ermöglicht Kleinbauernfamilien und Angestellten in Entwicklungsländern ein besseres Einkommen und gute Arbeitsbedingungen. Sie erhalten einen stabilen Preis und zusätzlich eine Fairtrade-Prämie sowie Beratung vor Ort. Einen Teil des Verkaufserlöses investieren sie in Projekte, die der ganzen Gemeinschaft zu Gute kommen – wie in den Bau von Brunnen, Schulen oder Spitälern. Die Migros ist Partnerin von Fairtrade Max Havelaar seit der Gründung 1992.

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