Was macht es generell mit uns, wenn uns Resonanzerlebnisse fehlen?
Es entsteht eine Entfremdung vom eigenen Leben. Wir haben zwar einen guten Job, eine Beziehung, ein grosses Haus, aber fühlen uns leer und unverbunden mit der Welt. Solche Menschen sind frustriert oder werden zu Wutbürgern. Sie finden zu Recht, dass es doch so nicht weitergehen könne. Sie fühlen sich betrogen, das Leben liefert nicht das, was ihnen versprochen wurde – das ist das Lebensgefühl vieler Leute, die AfD, SVP, Trump und Brexit wählen. Und auf dieser Basis lassen sich Ressentiments politisch wunderbar bedienen. Schuld sind dann Flüchtlinge, Ausländer, das Establishment. Doch auch mehr Geld, mehr Abschiebungen oder eine Mauer werden keine Abhilfe schaffen. Eine andere Reaktion auf mangelnde Resonanz sind Depressionen oder Burn-outs – beides Zustände, in denen die Welt nicht mehr mit uns spricht, Lebendigsein quasi nicht mehr klappt. Viele unserer aktuellen Krisen sind eine Folge nicht erfüllter Resonanzsehnsüchte.
Was bräuchte es, um die Lage zu verbessern?
Man müsste auf beiden Seiten ansetzen: jeder bei sich selbst – und alle zusammen für eine Veränderung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir müssen die Steigerungslogik abschaffen. Sehr hilfreich dabei wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen, über das in der Schweiz ja schon diskutiert und abgestimmt wurde. Es würde den Menschen eine materielle existenzielle Gewissheit geben. Und genau das würde es ihnen erlauben, sich zu öffnen und sich darauf einzulassen, berührt zu werden, ohne zu wissen, was daraus entsteht.
Was kann jeder für sich selbst tun?
Gegen die Effizienz- und Steigerungslogik im eigenen Leben angehen. Zum Beispiel seinen befriedigenden Job nicht aufgeben für einen weniger erfüllenden, nur weil man dort mehr verdient und auf der Karriereleiter etwas höher steht. Sich auf menschliche Begegnungen einlassen, den Obdachlosen an der Ecke nicht einfach ignorieren, sondern ihn ansehen oder ihm einen guten Morgen wünschen oder ihm gar zwei Franken geben. Man stellt so einen Moment von Menschlichkeit her, von Anerkennung. Bei fast jeder Alltagstätigkeit haben wir kleine Spielräume, bei denen wir statt auf Optimierung und Steigerung auf Berührung und Resonanz setzen könnten. Die müssen wir nutzen.
Die persönliche Seite klingt machbar, aber die institutionelle Seite zu verändern scheint ein geradezu hoffnungsloses Unterfangen. Man müsste das wirtschaftliche Grundgerüst der Welt umbauen.
Ja, einfach wird das nicht, es klingt nach einer reinen Utopie. Aber hoffnungslos ist es auch nicht. Es gibt Bereiche, wo man einfacher ansetzen könnte, etwa in der Bildung, der Pflege oder im Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft. Dort bestehen viele Möglichkeiten, die man ohne grosse Revolution nutzen kann. In der biologischen Landwirtschaft wird das zum Teil jetzt schon getan; dort hat jede Kuh einen Namen, und es besteht eine Beziehung, obwohl sie ein Nutztier bleibt.
Gut, aber angesichts der ökonomischen Zwänge, die in den heutigen Unternehmen herrschen . . .
Vor 300 Jahren war das Fliegen ein unrealistischer Traum, heute eine Selbstverständlichkeit. Und da sollen wir es nicht schaffen, unsere eigenen, selbst geschaffenen Institutionen so zu ändern, dass sie uns ein besseres Leben ermöglichen? Wir sollten nicht voreilig kapitulieren.