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Das Schoggi-Experiment

Ist es möglich, in der eigenen Küche Schokolade von der frischen Kakaofrucht bis zur essfertigen Tafel komplett selbst herzustellen? Wir haben das Abenteuer gewagt. Das Ergebnis ist überwältigend.

Text Kian Ramezani
Fotos Désirée Good
Datum
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Wir Schweizer sind Weltmeister: im Schokolade-essen. Mehr als zehn Kilogramm verdrücken wir jedes Jahr pro Kopf. Das entspricht fast einer halben Tafel pro Tag, und in der Weihnachtszeit dürfte es noch etwas mehr sein. Aber mal ehrlich: Was wissen wir eigentlich über dieses schweizerischste aller Schweizer Produkte? Oder anders gefragt: Wer wüsste, wie man aus einer Kakaofrucht Schokolade macht?

Wir wagen ein Experiment: Schokolade selber zu Hause herstellen, und zwar von der frisch gepflückten Kakaofrucht bis zur genussfertigen Tafel. Und wir verwenden dabei nur Werkzeuge, die wir im Haushalt finden. Als Mentor steht uns Daniel Tännler zur Seite, Produkte-Entwickler bei der Migros-Tochter Midor und gelernter Chocolatier.

Die Beschaffung des Rohstoffs stellt auch in der Schoggi-Nation Schweiz eine Herausforderung dar. Der Kakaobaum wächst hier nicht, sondern nur im heissen, feuchten Tropenklima in Äquatornähe. Bei der Blumenhändlerin seines Vertrauens wird Tännler fündig, denn frische Kakaofrüchte sehen sehr schön aus und werden deshalb gern als Dekoration benutzt. Wir bestellen also fünf Stück der edlen Criollo-Sorte aus Venezuela. Kostenpunkt 90 Franken, inklusive Lufttransport. Per Schiff ginge es zu lange, die Früchte würden verderben. «Das wird die teuerste Schokolade der Welt», lacht der Chocolatier. Aber wird sie auch gut?

Von Schokoladengeschmack keine Spur

Beim Öffnen die erste Überraschung: Die Kakaobohnen sind von weissem Fruchtfleisch umhüllt, geschmacklich irgendwo zwischen Litschi und Melone. Durchaus schmackhaft, aber von Schokolade keine Spur. Wie eigentlich alles Feine in der Welt – Käse, Wein, Kaffee – entsteht auch das einzigartige Kakaoaroma erst durch Fermentation. In den grossen Anbaugebieten Westafrikas und Südamerikas besorgen dies die Kakaobauern selbst, indem sie die Bohnen nach der Ernte samt Fruchtfleisch mit Bananenblättern abdecken und an der Sonne einige Tage vergären lassen. In unseren Breitengraden, zumal im Winter, muss dies im geheizten Haus geschehen. Die in der Luft verbreiteten Hefebakterien leisten aber auch hier ganze Arbeit: «Irgendwann beginnt es nach Alkohol zu riechen», so Tännler. Untrügliches Zeichen, dass es funktioniert.

Die Fermentierung ist nur der erste Schritt in der wundersamen Geschmacksverwandlung der Kakaobohne. Der zweite passiert beim Rösten, ähnlich wie bei der Kaffeebohne. Nach 20 Minuten im Ofen bei 120 Grad macht sich ein feiner Kakaogeruch breit. Anschliessend die Bohnen abkühlen lassen, in einen Beutel packen und mit einem schweren Gegenstand draufschlagen. Wir nehmen dazu die Schale des Mörsers, den wir später wieder brauchen. Durch die Schläge löst sich die Schale, die von Hand entfernt oder mit einem Föhn weggeblasen werden. Zurück bleiben die zertrümmerten Bohnenteile, die sogenannten Nibs.

Wichtige Zutat: Muskelschmalz

Nun folgt eine weitere wichtige Zutat: Muskelschmalz. Die warmen Nibs müssen nämlich im Mörser von Hand zerrieben werden (in der industriellen Herstellung übernehmen das mächtige Walzen). Dabei hilft es, die Arbeitsgeräte ab und zu in den warmen Ofen zu stellen. Mit der Zeit wird die Masse homogener und beginnt zu glänzen, weil die Kakaobutter hervortritt. Je länger gemörsert wird, desto flüssiger die Konsistenz. Zum Schluss geben wir noch einen gehäuften Teelöffel Rohrzucker hinzu und mörsern weiter. Ganz flüssig wird die Masse nicht, das macht aber nichts. Fürs gleichmässige Abfüllen in eine Form reicht es allemal.

Nach 30 Minuten im Kühlschrank ist die Tafel ausgehärtet und der Moment der Wahrheit gekommen. Zeit zum Probieren. «Man schmeckt die Frucht ganz deutlich», so Tännlers fachmännisches Urteil. Eigentlich logisch, denn die verwendeten Früchte sind wenige Wochen zuvor geerntet worden. Der Geschmack ist intensiv, angenehm süss, aber nicht zu sehr, die Konsistenz leicht sandig. So wurde Schokolade im 19. Jahrhundert hergestellt, und so wird sie noch heute in Spanien und Mexiko gegessen. Fazit: Der Aufwand ist zwar exorbitant, aber nicht unbedingt übertrieben. Denn das Resultat zeigt, dass es möglich ist, zu Hause Schokolade von A bis Z selbst zu machen. Und sie schmeckt verdammt gut.

Die neun Arbeitsschritte im Bild

Das brauchts
Frische Kakaofrüchte
Zucker
Einige Tage Zeit

Nützliche Werkzeuge
Mörser
Tortenspachtel
Haarföhn
Giessform
 

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Bild links: Kakaofrüchte vorsichtig aufschneiden, zum Vorschein kommen Fruchtfleisch und Bohnen. Ersteres wäre essbar und durchaus schmackhaft – wird aber für den nächsten Schritt gebraucht. Darum: Finger weg! Bild Mitte: Die Bohnen-Fruchtfleisch-Masse an einer warmen Stelle im Haus mit einem Tuch zugedeckt einige Tage gären lassen. Die Feuchtigkeit des Fruchtfleischs hilft bei der Fermentation der Bohnen, bei der sich das Kakaoaroma entwickelt. Bild rechts: Nach der Fermentation sind die Bohnen etwas dunkler. In der industriellen Produktion würden sie nun in alle Welt verschifft, etwa in den Kakaohafen Amsterdam, wo über ein Fünftel der weltweiten Kakaoernte umgeschlagen wird.

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Bild links: Durch das Rösten erhalten die Kakaobohnen das typische Schoggi-Aroma. 20 Minuten im Ofen bei 120 Grad sollten reichen. Hier ist Vorsicht geboten: Röstet man zu lang oder zu heiss, sind die Bohnen ruiniert! Bild Mitte: Nach dem Rösten die Bohnen etwas abkühlen lassen. Noch warm in einen Beutel geben und mit einem schweren Gegenstand, etwa der Schale eines Mörsers, brechen. Bild rechts: Die Bohnen können nun leicht von den Schalenteilen befreit werden. Tipp: Schüssel auf den Fenstersims stellen und einen Föhn draufhalten. Die leichtere Schale fliegt aus dem Fenster, und zu Hause gibt es keine Sauerei.

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Bild links: Ohne Schale bleiben die sogenannten Nibs zurück. Diese werden nun im Mörser zerrieben, bis eine zähflüssige Masse entsteht. Am Schluss noch etwas Zucker dazu, weitermörsern, fertig! Bild Mitte: Im noch warmen Zustand kann die Masse mit einem Tortenspachtel gleichmässig in eine Giessform verteilt werden. Dann ab in den Kühlschrank zum Aushärten. Bild rechts: Nach einer halben Stunde kann die Tafel aus der Form gedrückt werden. Die wohl teuerste Schokolade der Welt schmeckt phänomenal: intensiv, angenehm süss, aber nicht zu sehr.

kakaobohnen

Kakaobohnen werden vor allem in Westafrika, Südamerika sowie Indonesien angebaut. Mit Abstand grösster Produzent ist die Elfenbeinküste.

Bilder: zVg, Getty Images

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