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Beziehungen

«Sex ist oft überbewertet»

Felizitas Ambauen und Sabine Meyer geben in einem Podcast Beziehungstipps. Im Interview erzählen sie, was Muster damit zu tun haben, was guter Sex ist – und warum wir unsere Eltern nie loswerden.

Text Anne-Sophie Keller
Fotos Désirée Good
Datum
Sabine Meyer (links) und Felizitas Ambauen in dem Studio, in dem sie ihren Podcast produzieren.

Sabine Meyer (links) und Felizitas Ambauen in dem Studio, in dem sie ihren Podcast produzieren.

Felizitas Ambauen (FA) und Sabine Meyer (SM), was raten Sie Paaren, die jetzt wieder zusammen in einer Wohnung eingesperrt sind?
SM: Freiräume für sich schaffen – unabhängig vom Gegenüber. Rausgehen, wenn alles zu viel wird, und sich bewegen. Am Abend helfen gemeinsame Rituale zum Abschalten. Das schafft auch Struktur.
FA: Ausserdem: die Kinderbetreuung aufteilen, damit jeder weiss, wann
er wofür zuständig ist. Und: wissen, dass es eine absehbare Zeit ist –
das stärkt den Durchhaltewillen!

Was könnte Singles helfen?
SM: Kontakte zu anderen suchen, die in einer ähnlichen Situation sind. Dieses Netzwerk aktiv angehen, anstatt zu warten, bis sich jemand meldet. Und auch ganz gut auf sich selbst achten.

Sie haben einen Beziehungspodcast lanciert. Wieso?
FA: Wir wollten etwas anschieben, damit sich Paare nicht erst dann um sich und ihre Beziehung kümmern, wenn es schon zu spät ist. Die Menschen können sich bei uns erste Tipps abholen, bevor sie vielleicht in eine Therapie gehen.

Beziehungskosmos

Der Podcast

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Was macht Paare stärker? Welches sind die klassischen Alltagsfallen? Und was ist guter Sex? Die Psycho- und Paartherapeutin Felizitas Ambauen und die Journalistin Sabine Meyer besprechen in diesem Podcast alle zwei Wochen die brennendsten Beziehungsfragen. Mit Beispielen aus dem Praxisalltag und handfesten Tipps und Tricks.

Stichwort Paartherapie. Da denkt man gleich an Ehekrise.
FA: Das Stigma ist noch gross. Aber die Leute holen sich immer häufiger präventiv und immer früher professionelle Unterstützung. Viele kommen auch mit gesunden Beziehungen in eine Paartherapie. Zum Beispiel schenken sie sich drei Stunden vor der Hochzeit, damit sie weiterhin gut funktionieren können. Je früher man sich mit sich selbst auseinandersetzt, desto schneller kann man Muster in seinen Beziehungen erkennen – auch in denen mit Arbeitskollegen, Chefinnen, Familienmitgliedern.

Streiten Sie sich auf Grund der veränderten Situation, wegen Covid-19, öfters?

Wer initiiert Beziehungsarbeit meistens?
FA: In der Paartherapie sind es zu 80 Prozent die Frauen. Sie haben ein anderes Gespür für Beziehungen und gelernt, ungute Muster früher zu erkennen. Männern wird hingegen oft beigebracht, Dinge mit sich selber auszumachen. Das schafft eine Hürde, sich Hilfe zu holen. Wir stellen da aber einen Wandel fest. Vor allem bei den unter 30-Jährigen sind es vermehrt Männer, die beispielsweise eine Therapiestunde initiieren.

Haben Sie privat das Geheimrezept für eine gute Beziehung gefunden?
FA: Unser Vorteil ist, dass wir uns, unsere Muster und unsere Dynamik besser verstehen. Mein Mann und ich wissen, wie wir funktionieren, und können so etwa 80 Prozent der Konflikte entschärfen. Gewisse Dinge sehen wir schneller, was die Beziehungsarbeit einfacher macht. Aber das ist ein Prozess von Jahren.
SM: Es gibt kein Rezept. Aber es hilft, wenn man spürt, dass über Beziehung reden nicht nur anstrengend sein muss, sondern auch Spass machen kann.

Stichwort Streiten: Welche Herangehensweise empfehlen Sie?
FA: Am besten konstruktiv. Dafür muss man seine Muster aber zuerst erkennen. Es geht dann nicht mehr darum, wer eigentlich das Fenster offen gelassen hat, sondern beispielsweise um fehlende Wertschätzung. Die Arbeit an sich selber steht also an erster Stelle.
SM: Streit ist immer negativ konnotiert. Aber Streiten kann für eine Beziehung wichtig sein und einen weiterbringen. Denn: Viele Beziehungen gehen auseinander, weil man schwierige Themen vermeidet, statt sie anzusprechen.

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Sabine Meyer

Die Podcasterin

Sabine Meyer (40) hat in Freiburg Medien- und Kommunikations­wissenschaften studiert. Sie arbeitet beim SRF in der Hintergrundredaktion, ist Co-Autorin des SRF-Podcasts «Leben am Limit». Zudem coacht sie Podcaster/-innen und realisiert freie Audioprojekte.

Welche geschlechterstereotypischen Muster erkennen Sie?
FA: Manche Frauen delegieren nicht, weil sie sich nicht entbehrlich fühlen wollen. Und manche Männer haben Mühe damit, wenn sie sich bevormundet fühlen oder Schwäche zeigen. Ich denke, grundsätzlich hilft das Bewusstsein, dass der andere es meist nicht böse meint. So kann ein Verständnis für die Beweggründe des anderen entstehen.
SM: Man zementiert diese Stereotype aber auch, indem man immer wieder über sie spricht.

Wann ist es Zeit für eine Trennung?
FA: Ich sage: Trenne dich nie, wenn du nicht verstanden hast, aus welchem Motiv du dich trennen willst. Man muss verstehen, was in der Beziehung nicht gut läuft. Will man sich trennen, weil die Beziehung keinen Sinn mehr macht? Oder weil man vor einem Entwicklungsschritt davonlaufen will? Das ist ein wichtiger Unterschied.

Was ist guter Sex?
SM: Sex, den beide wollen, und wenn beide wissen, was sie wollen.
FA: Wenn man seine Bedürfnisse und die des Partners so in Einklang bringt, dass am Ende beide zufrieden sind. Guter Sex kann für ein bestimmtes Paar auch zweimal im Jahr oder ohne Orgasmus geschehen.

Was tun bei sexueller Unlust?
FA: Sex ist oft überbewertet. Viele machen sich Gedanken, wenn man eine Phase ohne Sex hat. Sie denken, in der Beziehung sei etwas nicht in Ordnung. Es hilft, sich zu fragen, was das Motiv ist. Hat man keinen Raum dazu? Kann man ihn schaffen? Hat man das Gefühl, eigene Bedürfnisse kommen zu kurz? Eigene Grenzen werden nicht gewahrt? Das muss man zuerst verstehen.
SM: Wenn man offen mit anderen Paaren spricht, merkt man, dass sexuelle Unlust ziemlich verbreitet ist. Insbesondere männliche Unlust wird aber noch stark tabuisiert. Hier kann der Podcast helfen, weil man sich anonym mit dem Thema auseinandersetzen kann.

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Felizitas Ambauen

Die Podcasterin

Felizitas Ambauen (39) ist eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin und arbeitet in eigener Praxis in Nidwalden. Zusammen mit ihrem Partner hat sie das Workshopkonzept «PAARCOURS – beziehungsweise werden» entwickelt und begleitet Paare.

Ein Viertel aller Schweizer ist schon fremdgegangen. Sind offene Beziehungen die Lösung?
SM: Es gibt vielfältigere Formen als die monogame Beziehung. Es wäre so wichtig, zusammen anzuschauen, welche Beziehungsform man leben will und welche Bedürfnisse man hat. Viele getrauen sich aber nicht, ihre Wünsche zu äussern.
FA: Offene Beziehungen können für jemanden mit Angst vor Zurückweisung sehr herausfordernd sein. Man muss also zuerst herausfinden, wie man gestrickt ist, um die passende Beziehungsform zu finden.

Muss man einen Seitensprung beichten?
FA: Man muss die Verantwortung für den Seitensprung übernehmen. Bevor man seine Schuldigkeit mit einer Beichte auf die Seite legt, sollte man sich fragen, was genau passiert ist. Vielleicht hat man Angst davor auszuhalten, was der Seitensprung auslöst. Und vielleicht würde eine Beichte beim Partner unverhältnismässig viel Schaden anrichten. Diese Frage muss individuell beantwortet werden.

Viele verlieren sich in einer Partnerschaft. Wie beugt man dem vor?
FA: In der Anfangsphase ist diese Verschmelzung für die Entwicklung des Wirgefühls wichtig. Aber man muss danach wieder in ein gesundes Ich zurückkommen. Wenn Paare zu sehr ineinander verschmelzen, wahren die Partner ihre Grenzen nicht. Jede Beziehung lebt von einer gesunden Mischung aus Nähe und Distanz. Eine vollständige Symbiose verhindert auch Entwicklung. Sie ist eine kindliche Liebe. Eine erwachsene Liebe zu leben bedeutet, Reibungen auszuhalten, für sich einzustehen, Kompromisse einzugehen, Grenzen zu setzen und sie einzuhalten.

Startet Liebe bei Selbstliebe?
SM: Unbedingt. Sonst haben wir zwei Krücken, die sich aneinander lehnen. Wer sich selbst kennt und liebt, sucht sich hoffentlich eher einen ebenbürtigen Partner, eine ebenbürtige Partnerin.
FA: Beziehungen, die auf Kompensationen basieren, verhindern eine Entwicklung und machen auf Dauer nicht glücklich. Die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu kennen ist auch hier enorm wichtig.

Wie stark spielen unsere Eltern in unseren Beziehungen eine Rolle?
SM: Eine sehr grosse. Für viele Paare ist es entlastend zu erkennen, dass Ursache und Auslöser nicht dieselben Dinge sind. Dass man Dinge erlebt, die eigentlich von den Eltern kommen. So kann man anders ansetzen. Der Partner kann zudem eine Distanz zu Themen entwickeln, die eigentlich nicht so viel mit ihm zu tun haben.

Können wir unsere Muster eigentlich jemals überwinden?
FA: Man kann sie stark abschwächen, und die Zeit zwischen dem Reiz und der Reaktion verändern. Wenn man da innehält und bewusster reagieren kann, kann man losgelöst von Mustern leben und sich nicht mehr so stark von ihnen leiten lassen.

Wie war eigentlich Ihre erste Beziehung?
SM: Es war eine Auslandsbeziehung und darum mit ganz viel Herzschmerz verbunden.
FA: Meine erste Beziehung hat mich sehr positiv geprägt. Sie dauerte sechs Jahre lang, und ich habe mich getrennt, um herauszufinden, was es sonst noch gibt. Ich habe mich lange gefragt, ob so etwas Gutes wiederkommen würde. Es kam.

Was ist das Wertvollste, das Sie über Beziehungen gelernt haben?
FA: Das man verzeihen kann und nicht nachtragend sein muss. Das habe ich in meiner jetzigen Beziehung erfahren dürfen, und es ist etwas Wunderschönes.
SM: Dass ich freiwillig in einer Beziehung sein kann. Dass sie da ist, um mich stärker zu machen. Ansonsten muss ich etwas ändern.

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