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Corona hat ihr Leben auf den Kopf gestellt

Wie wirken sich Infektionsrisiko, Kontaktsperre und die Situation am Arbeitsplatz auf das Leben daheim und draussen aus Einblicke in den Alltag im Spital, im Homeoffice und in der Migros.

Text Manuela Enggist, Monica Müller, Rahel Schmucki, Lisa Stutz, Benita Vogel, Ralf Kaminski und Michael West
Datum
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Surenthini Sathiya (36)

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Chefin Kassenleute in der Zürcher Filiale Migros City, Schinznach-Bad AG

«Wie in allen Migros-Supermärkten wurden zum Schutz vor einer Corona-Ansteckung Plexiglasscheiben vor unseren Kassen montiert. Wir wollen aber, dass sich die Kundinnen und Kunden weiterhin freundlich behandelt fühlen. Wir lächeln sie nun eben durch das Glas an. Es sind jetzt immer sechs Kassenleute im Einsatz, damit sich möglichst keine Warteschlangen bilden. Auch so lässt sich das Ansteckungsrisiko vermindern. Die Migros City hat sich durch die Corona-Pandemie verändert: Der vierte Stock mit dem Restaurant und einzelne Läden im dritten Stock sind geschlossen, zwei Rolltreppen stehen still. Als ich die gelben Absperrbänder zum ersten Mal sah, hatte ich Tränen in den Augen. Ich arbeite seit zwölf Jahren in diesem Zentrum, es liegt mir sehr am Herzen. Weil auch mein Mann berufstätig ist und die Schulen zu sind, ist meine kleine Tochter nun während der Woche bei meiner Schwester in Luzern. Zum Glück sind wir am Wochenende wieder vereint.»

Onur Demir (29)

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Stellvertretender Filialleiter der Migros Brunnen, Zug

«Wir sind ein kleiner Supermarkt mit nur 20 Mitarbeitenden. Aber jetzt herrscht bei uns Hochbetrieb, die drei Kassen sind immer besetzt. Die Leute kaufen noch immer viel Mehl, Zucker, Hefe, Konserven und WC-Papier. Und sie fragen nach, wann Nachschub eintrifft, wenn mal ein Produkt kurze Zeit fehlt. Uns allen ist bewusst, dass wir in einer Ausnahmesituation sind. Und doch habe ich das Gefühl, dass die Kundinnen und Kunden weit von einer Panik entfernt sind. Allerdings mache ich mir Sorgen um unsere älteren Stammkunden, die wir kennen und jeweils mit ihrem Namen begrüssen. Ich hoffe, dass es ihnen allen gut geht und dass sie gesund bleiben. Im Mietshaus, wo ich schon seit 20 Jahren wohne, frage ich jetzt immer die älteren Nachbarn, ob ich etwas helfen kann. Ich trage ihnen jeweils den Abfall herunter und entsorge für sie PET und Altglas. Ich bin sicher, dass wir diese Krise überstehen werden, wenn wir ruhig bleiben und füreinander da sind.»

Tobias KäppelI (28)

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Software-Ingenieur, Mühlau AG

Normalerweise kümmert sich Tobias Käppeli darum, dass die Software-Infrastruktur von  Digitec Galaxus funktioniert. Doch aktuell gibt es derart viele Onlinebestellungen, dass es im Lager in Wohlen AG an Personal fehlt. «Auch in der Weihnachtszeit und beim Black Friday kommt es vor, dass Leute aus anderen Abteilungen in der Logistik einspringen, ich habe das vor fünf Jahren schon mal gemacht», sagt Käppeli. Derzeit hilft er einmal pro Woche mit – das erste Mal am vergangenen Mittwoch, eine Frühschicht von 5 bis 14 Uhr: «Man steht an einem Tisch, scannt das Produkt, schaut, ob es noch weitere Bestellungen an die gleiche Adresse gibt, wählt die richtige Kartongrösse aus, packt alles ein, klebt zu, Etikette drauf – und ab die Post.» Das sei körperlich anstrengender als sein regulärer Job, aber Käppeli hilft gern aus und freut sich, so auch mal aus dem Haus zu kommen. «Ansonsten ist bei uns Homeoffice angesagt, und als eher sozialer Mensch fehlen mir die Kontakte ein bisschen.» Umso mehr, als seine Freundin Lehrerin ist und noch immer ab und zu in der Schule arbeitet. «Manchmal ist es schon ein wenig einsam.» Zum Ausgleich geht er immer wieder mal raus, zum Joggen oder auf den Rollerblades. «Regelmässige Video-Chat-Treffen mit Freunden und Arbeitskollegen helfen auch.»

Gabriela Künzler (43)

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Drogistin und TCM-Therapeutin, Zürich

Gabriela Künzler, wie gestaltet sich die Arbeit in der Apotheke?
Ich arbeite seit 18 Jahren in der St.-Peter-Apotheke in Zürich. Mein Job ist wegen der Pandemie viel anstrengender und herausfordernder geworden. Die Leute haben sehr viele Fragen, fast alle zum Thema Corona. Viele sind schlecht informiert, weil sie alles Mögliche in den sozialen Medien lesen und dies glauben, oder von Freunden Tipps bekommen. Ich muss mich immer auf den neuesten Stand des BAG bringen und leiste viel Aufklärungsarbeit. Und ich versuche, die Angst der Leute abzufedern.

Was thematisieren die Kundinnen und Kunden?
Sie möchten wissen, warum es kein Desinfektionsmittel für die Hände gibt. Warum sie keine Masken kaufen können, oder welche Schmerzmittel noch sicher sind. Wie sie ihr Immunsystem stärken können. Was sie tun sollen, wenn sie krank werden. Und wie es weitergeht.

Wie geht es Ihnen nach einem Tag in der Apotheke?
ann bin ich erschlagen! In den neun Stunden spreche ich sicher mit 60 bis 70 Personen. Alle sind verunsichert und reden mit mir über ihre Sorgen.

Drei Tage pro Woche arbeiten Sie auch noch als TCM-Therapeutin.
Normalerweise sehe ich sechs bis sieben Patienten pro Tag. Für sie kann ich jetzt nur telefonisch da sein. Ich orientiere mich neu, aktualisiere meine Homepage und stelle eine Arbeit für eine Weiterbildung fertig. Dazu treibe ich mehr Sport und versuche, gut auf mich zu achten. In der Apotheke habe ich angeboten, mehr zu arbeiten, falls sie mich brauchen.

Christine Mohr Edokpolo (54)

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Leiterin Fachexperten/-innen Spitalhygiene, Aarau

«Im Kantonsspital in Aarau haben wir momentan drei Corona-Stationen. Mein Team und ich sind dafür zuständig, dass sich das Virus in der Klinik nicht ausbreitet, weder auf das Personal noch auf andere Patienten. Wir haben Hygienerichtlinien erstellt: Die Stationen sind komplett isoliert, das Pflegepersonal betreut die Patienten nur in kompletter Schutzausrüstung – mit Mundschutz und Schutzbrille. Auch eine korrekte Handhygiene ist essenziell. Ich bin Fachexpertin für Infektionsprävention und seit 14 Jahren in dieser Funktion tätig. Ich habe schon die Schweinegrippe miterlebt, uns auf Ebola vorbereitet, aber das hier hat neue Dimensionen. Zurzeit liegen viele unserer Projekte auf Eis, denn es beschäftigen uns drängende Fragen: Läuft auf den Isolationsstationen alles nach Plan? Wie schulen wir das Pflegepersonal weiter? Welche Stationen kämen als nächste Covid-19-Stationen infrage? Seit Ende Februar arbeite ich 12 bis 13 Stunden am Tag – ohne Pause. Die Pensen in unserem Team wurden aufgestockt. Zum Glück, sonst wäre die Arbeit nicht zu bewältigen. Kraft gibt mir die Wertschätzung aus der Bevölkerung. Ich war gerade unterwegs von einem Spitalgebäude zum anderen, als die ganze Schweiz für uns geklatscht hat. Das war ein Gänsehautmoment. Ich wünsche mir, dass die Wertschätzung anhält, dass Bevölkerung und Politik sehen, was in der Pflege und der Medizin jeden Tag geleistet wird.»

Julia Cebreros (35)

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Co-Gründerin Tadah Coworking Space, Zürich

«Seit wir den Tadah Coworking Space mit Kinderbetreuung schliessen mussten, mache ich Homeoffice mit Kind. Ausgerechnet ich, die jeden Tag davon spricht, dass dies eine ziemliche Herausforderung ist. Meine Tochter ist anderthalb Jahre alt und in einem Alter, in dem sie viel Aufmerksamkeit und immer neue Beschäftigung braucht. Zusammen mit meinem Mann, der auch im Homeoffice arbeitet, jonglieren wir täglich zwischen Tochter und Arbeit hin und her. Was auch Abend und Nachtschichten bedeutet. Aber das bin ich gewohnt. Unsere Tochter freut sich jedenfalls, Mami und Papi jeden Tag zusammen zu haben. Und Mami und Papi freuen sich, wenn in absehbarer Zeit der geregelte Arbeitsalltag wieder einkehrt – und wir den Coworking Space mit Kinderbetreuung neu eröffnen können.»

EGON FELLER (59)

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Hüttenwart und Bergführer, Brig VS

Gewöhnlich spielt sich Egon Fellers Leben 2500 Meter weiter oben ab. Der Walliser ist Hüttenwart und Bergführer – und seit dem Ausbruch des Coronavirus mit einem Berufsverbot belegt. Die Saison wäre noch bis Ende Mai gegangen. Die Hollandia-Hütte ist aktuell geschlossen, alle Berg- und Skitouren abgesagt. Feller lebt in Brig. «An den neuen Alltag ohne Schnee und Berge muss ich mich zuerst gewöhnen.» Der 59-Jährige ist derzeit meistens in seinem Büro. «Ich muss alle Stornierungen bearbeiten. Diese Jahreszeit ist unsere Hochsaison. So viel Zeit habe ich noch nie am Computer verbracht.» Am Morgen habe er jeweils ein schlechtes Gewissen. «Wenn ich aufwache, fühle ich mich leer, weil ich das Gefühl habe, dass ich nichts tue, wenn ich nicht in den Bergen unterwegs bin.» Aber am Ende des Tages komme immer genug zusammen. Wenn ihm die Decke auf den Kopf fällt, schneidet er im Garten die Reben. «Dann habe ich etwas Sonne im Gesicht.» Das fühle sich ein wenig nach Normalität an.

Lisa Christ (29)

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Kabarettistin und Slam-Poetin, Zürich

Lisa Christ, welche Folgen hat die Krise für Sie?
Meine Auftritte bis und mit 19. April sind abgesagt. Dabei wäre der Frühling für Künstlerinnen und Künstler eine einnahmestarke Zeit. Allein im April entgehen mir viele hohe Gagen. Das Geld wäre mein Polster für das Sommerloch gewesen, wenn praktisch keine Auftritte stattfinden.

Wie geht es Ihnen in dieser unsicheren Situation?
Es ist bedrückend. Ich fühle mich in der künstlerischen Existenz bedroht. Dass der Bundesrat nun finanzielle Hilfe versprochen hat, beruhigt mich ein wenig. Aber bis das Ganze abschliessend geregelt ist, mit all der damit verbundenen Bürokratie, bleibt die Unsicherheit.

Wie lange reicht Ihr Erspartes denn noch?
Wenn gar nichts reinkommt, bis Ende Mai. Aber ich habe ein gutes soziales Netz, Familie und Freunde, das mich im Notfall unterstützen könnte.

Zurzeit entstehen einige Initiativen für eine Lösung, wie sich in der Kleinkunst Geld verdienen lässt. Was haben Sie schon versucht?
Es gibt wirklich sehr viele Bestrebungen! Auf der Plattform steadyhq.com habe ich diverse Angebote aufgeschaltet. Man kann mich monatlich unterstützen und erhält etwa exklusiven Zugang zu neuen Podcastfolgen oder selbstgeschriebenen Postkarten. Zudem bin ich bei einer Streaming-Plattform dabei: sofakultur.ch. Diese bietet Videos von Künstlerinnen und Künstlern an. Und ich pflege weiter meinen Podcast «Faust und Kupfer» mit Miriam Suter, die Kolumne «Nachgesalzt» im Kulturmagazin «KOLT» und die «Zytlupe» im Radio SRF 1. Ich bin auch noch an anderen Projekten dran.

Heidi Oesch (95)

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Buchs SG

«Mein Leben hat sich wegen Corona kaum verändert. Ich lebe in einem Haus mit Garten, es macht mir nichts aus, zu Hause zu bleiben. Seit 25 Jahren bin ich Witwe und habe mich an das Alleinsein gewöhnt. Weil meine sechzigjährige Tochter Asthma hat, kann sie nicht mehr für mich einkaufen. Eine Nachbarin besorgt mir das Nötigste. Seit Kurzem backe ich mein Brot selbst. Ich verbringe viel Zeit mit Nähen, fertige Patchwork-Topflappen und -lätzli an und verschenke sie. Meine Enkelin Michelle dachte, mir könnte der Stoff ausgehen, also hat sie auf Facebook einen Aufruf gepostet. Nun erhalte ich von Wildfremden Pakete mit Stoffresten: Das finde ich rührend! Ist man so alt wie ich, lebt man bescheiden. Ich lese Zeitung und Magazine, schreibe Mails, telefoniere mit den Kindern. Ich bin sehr zufrieden. Ich habe fünf Kinder und zwei Enkel. Der älteste Sohn ist in den Bergen tödlich verunglückt, der jüngste auf der Strasse. Der Mensch hält viel aus. Wir lebten so lange im Überfluss – jetzt hat es uns einmal erwischt.»

Isabelle Schmidt (27) und Simon Marty (29)

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Gastrobetreibende, Sion VS

«Vor gut einem Jahr haben wir mitten in Sion unser eigenes Café eröffnet, das Café des Châteaux – mit Konzerten, Ausstellungen und Spielabenden. Es lief gut, von Anfang an, war aber auch sehr anstrengend. Wir haben 2019 teilweise 12 bis 14 Stunden täglich in der Küche, im Service und im Büro gearbeitet. Nun mussten wir unsere Türen für unbestimmte Zeit schliessen. Das ist ein komisches Gefühl. Plötzlich haben wir ganz viel Zeit. Wir haben uns in eine einsame Berghütte zurückgezogen und erholen uns erst mal ein bisschen. Hier spielen wir Backgammon, lesen viel und zeichnen. Für unsere drei Angestellten haben wir Kurzarbeit angemeldet. Angst vor der Zukunft haben wir momentan aber nicht. Wir können von unseren Reserven noch ein Weilchen leben.»

Martin Emmenegger (44)

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Mitinhaber Hairclub, Luzern

«Die ersten paar Tage haben wir unsere Kunden auf spätere Termine umgebucht. Dank unseres Onlinebooking-Systems konnten wir das von zu Hause aus erledigen. Trotzdem war ich seit der Schliessung ein paar Mal im Coiffeursalon: Einige Kunden haben Haarprodukte und -farbe bestellt, damit sie sich den Haaransatz selbst nachfärben können. So kommt auch ein wenig Geld rein. Eine Kundin hat einen Gutschein gekauft und fünf Haarschnitte im Voraus bezahlt. Das hilft. Denn auch wenn wir Kurzarbeit anmelden können, laufen die Miete und andere Fixkosten trotzdem weiter. Für mich ist Haarestylen nicht Arbeit, sondern Leidenschaft. Der Salon fehlt mir schon sehr. Es ist ungewohnt, so viel Zeit zu haben und trotzdem nichts Richtiges machen zu können. Ich muss fast ein wenig die Zeit totschlagen. Wichtig ist mir, mich täglich einmal zu bewegen, im Wald oder auf dem Hometrainer. Zudem vertreibe ich mir die Zeit im Garten oder in der Küche: Das Brot kaufe ich nicht mehr ein, sondern backe es selber. Zwischendurch hilft eine Netflix-Serie. Ich hoffe, dass wir den Salon nach dem 19. April wieder öffnen können – habe aber Zweifel.»

Florian Stahel (29)

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Soldat, Wohlen AG

Die Armee erlebt gerade die grösste Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch Sie mussten einrücken – haben Sie damit gerechnet?

Ich hatte vor wenigen Wochen noch mit meinem Chef darüber gewitzelt, dass ich vielleicht ausfalle. Ich bin Autolackierer und sein Stellvertreter. Aus Spass wurde Ernst. Vorletzte Woche habe ich ein SMS von der Armee erhalten, dass ich mich auf die Mobilmachung vorbereiten soll. Am nächsten Tag folgte schon der Alarm per Telefon. Die Mobilmachung haben wir im Wiederholungskurs gelernt, in 72 Stunden muss man eingerückt sein. Wir trafen uns am Bahnhof Luzern.

Und dann?

Jetzt bin ich in Emmen in der Kaserne – drei Kompanien sind hier eingerückt. Zwei davon stehen bereits im Einsatz, eine in Basel, die andere in Baden. Meine Kompanie ist noch hier stationiert, aber die Situation kann sich jeden Tag ändern. Wir sind bereit.

Was ist Ihre Funktion?

Ich habe in der Rekrutenschule die Ausbildung zum Spitalsoldaten gemacht. Ich bin aber kein Pfleger, sondern diene im sogenannten Tech-Zug. Wir unterstützen etwa die Sicherheitsleute in einem Spital und erledigen handwerkliche Arbeiten. Dafür wurde ich ausgebildet.

Freuen Sie sich auf den Ernsteinsatz?

Meine Motivation ist es, das Spitalpersonal zu unterstützen. Das treibt mich an in einer Zeit, in der ich nicht weiss, wann ich wieder nach Hause kann.

David Eppenberger (50)

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Freier Agrarjournalist, Reinach AG

Als freier Agrarjournalist ist es David Eppenberger gewohnt, zu Hause zu arbeiten. Da kann er in Ruhe seine Texte schreiben. Oder er konnte es zumindest bis vor Kurzem: Seit die Schule geschlossen ist, sind seine drei Kinder, 9-, 13- und 15-jährig, jeden Tag zu Hause. «Statt Ruhe herrscht jetzt Dauerbetrieb», sagt Eppenberger. Anfangs waren seine zwei Buben und die Tochter noch viel draussen. Jetzt aber hat der Kanton Aargau alle Spiel- und Sportplätze geschlossen, Freunde zu tref- fen ist ohnehin nicht mehr möglich. «Wir leben zum Glück in einem grossen Haus mit Garten.» Und inzwischen haben die Kinder von der Schule auch Aufgaben erhalten. Eppenberger und seine Frau haben für sie ein kleines Schulzimmer eingerichtet, haben einen Tisch in einen Zwischengang ihres alten Bauernhauses gestellt. Das klappt. «In den Pausen machen sie gemeinsam Kraftübungen, die der Älteste von seinem Fussballtrainer auferlegt bekommen hat.» Nur Eppenberger selbst ist in diesen Tagen noch nicht wirklich zum Arbeiten gekommen.

Andrea Müller (43)

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Primarlehrerin, Luzern

Der Anblick ist ungewohnt. Andrea Müller sitzt in ihrem Schulzimmer im Luzerner Säli-Schulhaus vor 20 leeren Stühlen. «Die Kinder und die Arbeit mit ihnen fehlen mir sehr.» Ihr Job ist jetzt ein völlig anderer als noch vor ein paar Wochen: Sie stellt Material für den Fernunterricht zusammen, schreibt den Eltern Mails oder legt ihren Schülerinnen und Schülern Bücher in den Briefkasten. Einmal pro Woche telefoniert sie persönlich mit den Kindern. «Wir reden über den Stoff, die Aufgaben, ob es Probleme gab und wo sonst der Schuh allenfalls drückt.» Der Kontakt sei sehr wichtig. Auch die Kinder untereinander telefonieren und schreiben sich Briefe, um in Kontakt zu bleiben. Andrea Müller arbeitet inzwischen von zu Hause aus – jeden Vormittag, um so ihr übliches Pensum abzudecken. Am Nachmittag geht sie mit dem Hund spazieren, ruft ihre Eltern und Freunde an, liest oder macht Frühlingsputz. «Langweilig wird es mir nicht.» Sie hofft aber, dass sie nach den Frühlingsferien die Kinder wieder im Schulzimmer betreuen kann.

Jeff Lüscher (39)

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Swiss-Pilot, Zürich

«Mein letzter Flug fand am 4. März statt: nach Berlin und zurück. Danach hatte ich zwei Wochen Ferien – die das Coronavirus nun ungeplant verlängert hat. Immerhin bin ich auf Pikett für den 30. und 31. März, denn es gibt jetzt einige Flüge, um gestrandete Schweizer heimzuholen. Den nächsten planmässigen Einsatz habe ich am 3. April nach London, und es würde mich sehr freuen, wenn der tatsächlich stattfände. Dass die aktuelle Situation den Luftverkehr grundsätzlich verändern wird, glaube ich aber nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich alles wieder normalisiert. In der Zwischenzeit bleibe ich zu Hause und erledige Dinge, die sonst immer aufgeschoben werden. Ich räume etwa die Wohnung auf. Ausserdem gehe ich velofahren, solange das noch geht, und verbringe viel Zeit mit meiner Frau, die im Homeoffice arbeitet. Schön ist, dass wir jetzt mittags und abends gemeinsam kochen und essen können, das ist wegen meiner Schichtarbeit sonst selten. Es ist wichtig, sich eine Tagesstruktur zu schaffen.»

Daniel Schälli (42)

Daniel Schälli (42), Hotelier

General Manager der Hotels Villa Orselina und La Barca Blu bei Locarno TI

Eigentlich wollten Sie Ihre Hotels Ende März öffnen. Gibt’s noch Gäste, die für die kommenden Monate nicht storniert haben?
Ein paar gab es tatsächlich, die haben wir alle persönlich informiert, dass wir den Saisonstart verschieben. La Barca Blu öffnet Mitte Mai, Villa Orselina am 5. Juni. Zumindest hoffen wir das Stand jetzt. Aber wir beobachten natürlich die Lage und passen uns an, falls nötig.

Was bedeutet diese spätere Eröffnung für Ihre Hotels?
Diese Einnahmen werden uns Ende Jahr fehlen, insbesondere für Investitionen. Aber unsere Hochsaison ist zwischen Juni und August, von daher besteht die Hoffnung, dass uns Schlimmeres erspart bleibt. Schon so mussten wir jedoch die Saisonverträge einiger Mitarbeitenden verkürzen und Kurzarbeit einführen.

Wie gehen Sie selbst mit der Situation um?
Ich mache vieles von zu Hause aus, bin aber jeweils vormittags in der Villa Orselina für Korrespondenzen und Unterhaltsarbeiten. Meine Frau arbeitet Teilzeit im Pflegebereich und hat deshalb einigen Spielraum, unsere Kinder beim Online-Schulunterricht zu betreuen. Und abends machen wir jeweils mit der ganzen Familie einen kurzen Spaziergang oder Sport zu Hause. Kreativität ist gefragt, aber für die Kinder ist das alles schon nicht immer leicht.

Jonas Kampus (18)

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Klimaaktivist und Gymnasiast, Wetzikon ZH

«Anstelle der Freitagsdemos streiken wir derzeit digital und erstellen Posts auf Social Media. Wir bilden uns weiter und bereiten uns vor, um nach der Krise weiterzumachen. Jetzt zeigt sich plötzlich, was alles möglich ist. Klar ist: Flug- und Ölindustrie dürfen nicht gerettet werden, sie müssen nach der Krise kontrolliert abgewickelt werden. Natürlich mit sozialer Unterstützung für die in diesen Branchen tätigen Menschen. Bei mir steht in drei Monaten die Matura an, deshalb bin ich mit Lernen gut beschäftigt. Auch Präsenzunterricht findet statt, einfach über Video-Chat. Die Umstellung ist gar nicht so dramatisch. Und die sozialen Kontakte finden halt online statt. MeinTipp: den Humor behalten!»

Finley Gaio (20)

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Zehnkämpfer, Maisprach BL

«Normalerweise trainiere ich ein- bis zweimal täglich auf der Schützenmatte in Basel, unserem Leichtathletikstadion. Nun jogge ich im Wald, trainiere auf dem Rennvelo oder mache zu Hause Yoga. Meine 18-jährige Schwester und mein 13-jähriger Bruder üben jeweils mit, und wir lachen viel. Eigentlich wäre in der Trainingsplanung nun ein Technik-Block angesagt, aber Stabhochsprung, Weitsprung und Speerwurf lässt sich ohne Anlage nicht üben. Ich bin noch nicht so weit, dass ich im Wald mit Stecken werfe – aber wer weiss, vielleicht kommt das ja noch. Mir fehlt das Krafttraining im Migros-Fitnesspark, das Relaxen in Pool und Sauna. Und meine Kollegen aus der Trainingsgruppe vermisse ich. Klar telefonieren wir, aber viel Spannendes gibt es nicht zu erzählen. Ansonsten habe ich mein Pensum im Backoffice der Merian-Iselin-Klinik aufgestockt und arbeite zu Hause. Mein Zimmer war immer mein Rückzugsort. Jetzt erledige ich da auch den Job – das fühlt sich seltsam an. Ich versuche, das Beste aus der Situation zu machen, und hoffe, alles kommt gut.»

Esther Sauter (32)

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Studentin, Luzern

«Ich studiere Ethnologie und Erziehungswissenschaften an der Uni Zürich. Der Unterricht findet nun eben online statt, die Vorlesungen werden als Podcast zur Verfügung gestellt. In diesem Semester besuche ich auch ein Seminar, das wir nur zu dritt belegen. Dieser Rahmen macht mich in Zeiten der Coronakrise doppelt froh. Da wir so wenige sind, halten wir das Seminar via Skype ab. So können wir super diskutieren. Ich bin froh über diesen persönlichen Austausch in einer sonst virtuell gewordenen Welt. Das macht vieles einfacher, und es tut gut, mal wieder andere Gesichter zu sehen. Dass das Mittagessen mit Mitstudenten entfällt, wiegt jedoch schwer. Der menschliche Kontakt ist halt doch nicht zu ersetzen.»

Christa Rigozzi (36)

Christa Rigozzi zuhause im Tessin mit ihren Zwillingsmädchen.

Moderatorin, Monte Carasso TI

«Mein Alltag hat sich total verändert und ich muss mich daran gewöhnen. Ich arbeite nur noch von zu Hause aus für die nächsten zwei Monate. Zudem muss ich täglich was für die Kinder organiseren, damit sie beschäftigt sind, da wir zu Hause bleiben müssen. Das ist nicht so einfach, aber es geht uns allen gleich. Ich geniesse einfach die Zeit mit meiner Familie. Ich habe eine To-Do-Liste gemacht, mit allem, was ich vorher nicht erledigen konnte, da ich ständig unterwegs war. Zum Beispiel ein Buch lesen, basteln mit den Kids, backen und kochen, Schränke aufräumen, Kleider ausmisten, Kühlschrank und Gefrierschrank putzen, Fenster reinigen, ... und dann wiederholt sich alles wieder. Es ist eine Zeit zum Nachdenken, wir müssen alle solidarisch sein und zusammenhalten. Nur zusammen können wir das überstehen und kämpfen.»

Stefan Büsser (35)

Stefan Büsser muss zuhause bleiben.

Radiomoderator bei SRF und Comedian.

Stefan Büsser, Sie gehören mit ihrer Lungenkrankheit Cystische Fibrose und als Diabetiker zur Risikogruppe. Wie verhalten Sie sich?
Seit etwa einer Woche bleibe ich alleine zuhause in meiner Wohnung. Nur mein Hund leistet mir Gesellschaft. Für mindestens einen Monat werde ich mich hier isolieren und keinen physischen Kontakt zu anderen Menschen haben. 

Fühlen Sie sich gesund?
Ich hatte in den letzten Tagen starken Husten, aber kein Fieber. Natürlich denkt man dabei gleich an Corona. Ich weiss aber nicht, ob ich mir das eingebildet habe, oder ob das wirklich Symptome waren. Heute geht es mir bereits wieder besser.

Wie gefährlich ist der Corona-Virus für Sie?
Das weiss niemand so genau. Wie sich das Corona-Virus auf Menschen mit Vorerkrankungen auswirkt, weiss man bisher vor allem aus Erfahrungen aus China. Da dort die Diagnose Cystische Fibrose nicht wirklich bekannt ist, weiss man nicht, welche Folgen das Virus für Menschen wie mich hat.

Fällt Ihnen die Isolation schwer?
Zwei oder drei Tage waren für mich nicht schwierig. Ich kann mit meinen Freunden und mit meiner Familie über Facetime telefonieren und sie sehen. Die nächsten Wochen werden aber sicher nicht einfach. Mein Hund hat noch nie so viel Aufmerksamkeit von mir bekommen, wie in diesen Tagen.

Was machen Sie den ganzen Tag alleine zuhause?
Ich bin zurzeit «radiobeurlaubt», kann also kein Radio machen. Das heisst ich kümmere mich zuhause um Videos, Social Media und gebe viele Interviews. Jeden Tag gehe ich viermal mit meinem Hund im Wald spazieren – immer mit Sicherheitsabstand zu anderen Spaziergängern und Joggern – und meditiere etwa eine Stunde pro Tag.

Haben Sie einen Tipp, wie man diese Zeit am besten übersteht?
So gut wie möglich ablenken und Corona nur in alkoholischer Form konsumieren (lacht). Nein ehrlich, ich versuche nur ein- oder zweimal täglich auf den Newsticker zu schauen und mich nicht wahnsinnig zu machen.

 

Bilder: zVg

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