Ausserdem lassen sich Konflikte heute auch anders führen, etwa mit Wirtschaftssanktionen, Zölle oder Cyberattacken.
Ja, das sind neue Konfliktformen, in die so ziemlich alle grösseren Staaten bereits involviert sind. Cyberangriffe sind besonders niedrigschwellig und bieten viele Möglichkeiten für eine asymmetrische Kriegführung. Dessen extremste Stufe, dass nämlich ein Land einem anderen die ganze Infrastruktur abschaltet, ist bisher noch nicht eingetreten. Man stelle sich vor: ganze Regionen auf einen Schlag ohne Strom, Wasser oder Internet. Die Existenz solcher alternativer Konfliktformen mag das Risiko eines klassischen Kriegs senken, aber ein guter Trost ist das nicht.
Verglichen mit dem 8. Mai 1945 steht Europa heute gut da, gehört zu den lebenswertesten und komfortabelsten Gegenden der Welt. Wird sich das bewahren lassen in einer zunehmend chaotischeren Welt, die mit Herausforderungen wie dem Klimawandel konfrontiert ist?
Auf den ersten Blick scheint Europa tatsächlich ein Vorbild, viele dieser Errungenschaften kamen jedoch nur auf Kosten anderer zustande. Weltweit sind Ressourcen und Lebenschancen sehr ungleich verteilt, und dank der globalen Kommunikationssysteme wissen das heute alle. Internationale Konzerne schaffen nicht nur Arbeitsplätze, sondern stabilisieren im Zusammenspiel mit korrupten schwachen Regierungen furchtbare Zustände in weniger entwickelten Ländern. Auch die Schweiz hat ihren Wohlstand nicht nur aus eigener Kraft erarbeitet, sondern profitiert von der internationalen Arbeitsteilung und von ihrer Stellung als Steuerparadies. Sie verursacht dabei auch erhebliche Klimaschäden und erschwert die Finanzierung strukturschwacher Staaten. Man darf sich also nicht wundern, wenn gerade die besser ausgebildeten Menschen in besonders stark betroffenen Ländern auf die Idee kommen, lieber bei uns zu leben. Die paradoxe Mischung aus lukrativem «Brain gain» und fremdenfeindlichen Verlustängsten, mit der viele wirtschaftlich entwickelte Nationalstaaten auf die Zuwanderung reagieren, wird nicht so rasch verschwinden. Angesichts einer sich verschärfenden ökologischen Problematik stellt sich tatsächlich die Frage, ob der Status Quo in Europa aufrecht erhalten werden kann.
Das Ziel müsste sein, dabei zumindest weniger Schaden anzurichten. Was kann die Schweiz dazu beitragen?
Dazu bräuchte es globale Regeln, die von internationalen Institutionen auch tatsächlich durchgesetzt werden können. Würde sich die Schweiz dafür starkmachen, wäre sie nicht mehr nur Teil des Problems, sondern könnte Teil der Lösung werden.