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Exhumator Heinz Wicki

Der Mann, der den Toten hilft

Es ist kein Job wie jeder andere: Heinz Wicki holt Verstorbene aus dem Boden, wenn sie schlecht verwesen oder umgebettet werden sollen. Er sieht seine Arbeit als Berufung und lässt sich durch nichts erschüttern.

Text Ralf Kaminski
Fotos Désirée Good
Datum
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«Während die Seele weiterzieht, bleibt der Körper zurück – auch für ihn muss man sorgen», findet Exhumator Heinz Wicki.

Behutsam entfernt Heinz Wicki die letzten Erdbrocken von dem Skelett im offenen Sarg. Ein leichter Modergeruch steigt aus der Grube, mehr nicht. Das ist manchmal auch anders. Wenn der Verstorbene im Sarg schlecht verwest ist, muss der 61-jährige Exhumator mit intensivem, scharfem Fäulnisgeruch klarkommen, während er seine Arbeit macht. «Dann trage ich stets eine Maske, damit ich diesen Gestank nicht tagelang in der Nase habe.» Und nach der Arbeit wechselt er die Kleidung umgehend, denn auch darin bleibt der Geruch hängen.

Doch die Toten auf dem Friedhof Kilchberg ZH sind unerwartet unproblematisch. Wickis Firma Tony Linder und Partner AG hat den Auftrag, die Verstorbenen auf einem Teil des Friedhofs umzubetten, weil der Boden dort nicht ideal für die Verwesung ist und einige der Gräber zudem abgelaufen sind. Bisher aber sind alle rausgeholten Toten «gut skelettiert», bestehen also nur noch aus Knochen, was den Exhumator eher überrascht hat.

An anderen Orten mit dieser Art Boden stösst er regelmässig auf Wachsleichen, Tote, die so gut konserviert sind, dass man noch problemlos ihre Gesichtszüge erkennen kann.«Manchmal sind sogar die Augen noch erhalten und schauen dich an, wenn du den Sarg öffnest.»

Obwohl Wicki inzwischen 40 Jahre Erfahrung in diesem Beruf hat, ist es auch für ihn jedes Mal wieder eine Überraschung, was ihn erwartet, wenn er einen Sargdeckel hebt. Ausser er riecht es schon vorher. Zwischen 5000 und 7000 solcher Exhumationen machen er und sein Team pro Jahr, schätzt er.

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Vorsicht befreit Heinz Wicki das Skelett der Verstorbenen von Erdbrocken.

Die Verstorbene in Kilchberg liegt seit 2005 im Grab und war bei ihrem Tod 83 Jahre alt. Neben ihrem Skelett findet Wicki auch Kleidungsreste und Schmuck. «Synthetische Gewebe halten ewig», kommentiert er, während er das Skelett sorgsam freilegt und dann Knochen für Knochen auf eine Plastikplane legt, samt Grabbeigaben.

Obwohl der Geruch nicht unangenehm ist, trägt er auch hier eine Maske, um sich vor Sporen zu schützen. Ganz am Schluss setzt er den Kopf auf die Knochen, legt einen Zettel dazwischen mit den Angaben der Verstorbenen, macht ein Foto und packt die Plastikplane zusammen. Die Gebeine werden nun in einer Holzkiste bis zur Wiederbestattung zwischengelagert.

Ein Faible für Friedhöfe

Ursprünglich hat Heinz Wicki eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner gemacht. Doch schon als junger Mann begegnete er bei einem Auftrag auf dem Friedhof einem Exhumator – und war fasziniert von dieser Arbeit. Weshalb, kann er bis heute nicht so richtig erklären. «Ich möchte den Toten helfen, dass sie verwesen können», sagt der Urner, dessen starker Dialekt gelegentlich nicht leicht zu verstehen ist. «Vielleicht ist es eine Berufung», mutmasst er. Vielleicht hat es auch mit seinem katholischen Glauben zu tun. «Während die Seele weiterzieht, bleibt der Körper zurück – und auch für ihn muss man sorgen.»

Eine offizielle Ausbildung gibt es nicht für seinen Job. «Ich habe mir einiges selbst beigebracht und mich dafür unter anderem bei der Rechtsmedizin bedient», sagt Wicki. Mittlerweile bildet er aber selbst Leute aus.

Klar ist, dass er für diese Arbeit bestens geeignet ist: Er ekelt sich vor nichts und gruselt sich auch nie. «Ich könnte das auch nachts machen», versichert er. An Geister oder andere übernatürliche Wesen, wie sie sich in Horrorfilmen nachts an solchen Orten rumtreiben, glaubt er nicht. Überhaupt mag er Friedhöfe und kann an keinem vorbeigehen, ohne ihn sich und seine Bodenbeschaffenheit genauer anzusehen.

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Auf dem Friedhof Kilchberg sind die Toten gut verwest.

Leichte, lockere Böden, in denen das Wasser gut ablaufen kann, eignen sich besonders gut für die Verwesung. Auch hilft es, wenn der Sarg aus einem leichten Holz ist und darin auf Plastik oder synthetisches Gewebe verzichtet wird.

Problematisch sind Lehmböden, in denen sich Wasser sammelt und den Toten umhüllt. So entstehen gut konservierte oder aufgedunsene Wachsleichen. «Die sind oft so stabil, dass man sie als Ganzes aus dem Sarg heben und aufrecht hinstellen kann.» Erst wenn sie in einen geeigneteren Boden umgebettet sind, beginnt der Verwesungsprozess, der in fünf bis sieben Jahren lediglich ein Skelett übrig lässt.

In Kilchberg hat Wicki bisher nur ein paar wenige Tote gefunden, bei denen noch etwas Fettgewebe vorhanden war, alle anderen sind gut verwest. Für die Umbettung haben Wicki und seine Mitarbeiter eine neue Grube ausgehoben und mit etwas Kies gefüllt. Hier werden die Gebeine der Toten nun nebeneinandergelegt.

Sorgfältig rekonstruiert der Exhumator die Knochen eines Toten, vom Kopf mit den Haarresten und dem künstlichen Gebiss bis runter zu den Fussknöcheln, inklusive Grabbeigaben. «Da findet man so einiges, etwa Schmuckstücke oder Alltagsgegenstände, die dem Verstorbenen etwas bedeutet haben. Das betten wir immer alles mit um.»

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Knochen für Knochen rekonstruiert Wicki das Skelett des Verstorbenen im neuen Grab.

Belastet ihn nie etwas, das er sieht? Wicki denkt kurz nach und schüttelt den Kopf. «Ich kann immer gut abschalten, wenn ich mit der Arbeit fertig bin.» Und dies, obwohl er bei Einzelexhumationen manchmal auch einiges weiss über die Verstorbenen, gelegentlich sogar schon Tote aus dem Boden geholt hat, die er persönlich kannte. Oder aus den Überresten auf Krankheiten oder Unfälle schliessen kann. 

Die Arbeit fühle sich jedoch bei jedem Toten anders an, sagt er. «Es ist schwer zu erklären, aber manchmal spüre ich einfach gewisse Dinge oder Energien.» Er zuckt mit den Schultern und kann dies nicht genauer ausführen. Auch mit Kindern hat er es immer wieder zu tun. «Einmal hatten wir eines, das nahezu perfekt konserviert war, so was bleibt schon in Erinnerung.»

Gelegentlich sind Angehörige dabei, die sicherstellen wollen, dass alles pietätvoll vor sich geht. Oder einen weiteren Schritt im Trauerprozess machen möchten. «Ab und zu bin ich nebenher auch noch Seelsorger», sagt Wicki, dem aber eigentlich lieber ist, wenn er mit seinem Team alleine arbeiten kann. «Es ist schon vorgekommen, dass Leute sehr bleich wurden und mit dem Anblick nicht umgehen konnten. Da musste ich mich dann länger um die Lebenden kümmern als um die Toten.»

Entspanntes Verhältnis zum Tod

Wicki ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder, macht gerne Langstreckenläufe und geht in den Bergen klettern. Sein Beruf ist auch zu Hause und im Umfeld immer wieder ein Thema. «Einige wollen es aber auch nicht allzu genau wissen.» Wenn er von Fremden nach seinem Beruf gefragt wird, sagt er manchmal nur, er mache Friedhofssanierungen, um neugierigen Fragen auszuweichen, die sonst unweigerlich kämen.

Und, wenig überraschend, hat er ein sehr entspanntes Verhältnis zum Tod. «Klar trauere ich, wenn jemand stirbt, der mir nahesteht.» Aber der Tod sei etwas ganz Natürliches, das halt einfach dazugehöre. «Ich habe keine Angst davor, hoffe aber schon, dass er noch ein wenig wartet», sagt er lächelnd. Er weiss aber bereits, dass er in seinem Wohnort Silenen UR begraben werden möchte.

Doch nun muss er weiter, es gibt noch einiges zu tun auf dem Friedhof Kilchberg. «Lueget zuenech», sagt er zum Abschied, eine Formel, die er seit Jahren immer bei allen verwendet. Und die irgendwie sehr passend wirkt für jemanden, der so pausenlos mit dem Tod beschäftigt ist.

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