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Geistheiler

Göttliche Gabe oder Hokuspokus?

Im Appenzell hat Geist- und Gebetsheilen eine lange Tradition. Der Film «Zwischenwelten» versucht, den Geheimnissen dieser Heilerinnen und Heiler auf die Spur zu kommen – zwei von ihnen haben auch dem Migros-Magazin ihre Praxistür geöffnet.

Text Ralf Kaminski, Lisa Stutz
Fotos Desirée Good
Datum
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Der Heiler André Peter behandelt einen jungen Patienten im Film «Zwischenwelten».

André Peter (76) sitzt auf einem Stuhl hinter seiner Patientin, eine Hand auf ihrem Rücken, die andere unter ihrem Hals, sein Blick vertieft. «Spüren Sie etwas?» Beatrix Braun nickt. «Ein leichtes Kribbeln vorne.» Die 70-Jährige ist bereits seit 2016 sporadisch bei Peter in Behandlung, wegen Neurodermitis, einer schrecklich juckenden Hautkrankheit, bei der man sich oft die Haut blutig kratzt.

«Ich hatte das früher am ganzen Körper und habe zehn Jahre lang alles versucht: Hautärzte, Schulmedizin, Homöopathie – nichts hat geholfen», erzählt die Kunstmalerin aus St. Gallen. In ihrer Verzweiflung ging sie 1991, als sie noch in München wohnte, zu einem Handaufleger. «Um ehrlich zu sein war ich sehr skeptisch. Aber ich dachte: Nützt es nichts, so schadets nicht.»

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Das Handauflegen gehört zur typischen Behandlungsmethode von André Peter.

Zuerst verschlechterte sich die Lage, was bei dieser Form der Behandlung offenbar häufig ist, dann jedoch schaffte der Heiler, was vorher niemand zustande gebracht hatte: Die Neurodermitis besserte sich und verschwand schliesslich ganz. Ab und zu jedoch kehrt sie zurück, oft als Folge von belastenden Situationen im Leben, sagt Beatrix Braun. Mit Hilfe von André Peter lässt sich die Krankheit jedoch erfolgreich in Schach halten. Oft reichen zwei, drei Besuche, dann ist wieder Ruhe für ein oder zwei Jahre. «Auch insgesamt fühle ich mich nach seinen Behandlungen immer gestärkt», sagt sie.

Lebenstipps von der «weissen Hexe»

Derweil sitzt Regula Meyer ihrer Patientin Marlis Cremer gegenüber. Meyer bezeichnet sich selbst nicht als Heilerin, sondern als Lebensberaterin oder auch als «weisse Hexe». Von aussen sieht ihre Arbeit aus wie die einer Psychologin. Kein Handauflegen, keine Pendel. Doch die Antworten auf die Lebensfragen ihrer Klientinnen sind nicht das Ergebnis einer jahrelangen Ausbildung, sondern «überkommen» die 59-Jährige einfach so.

Marlis Cremer hat einen Block mit Fragen dabei. Seit 17 Jahren besucht die 54-Jährige die Lebensberaterin regelmässig. Es geht um Beruf, Familie, Beziehungen. Meyer gibt Tipps: mehr Selbstvertrauen haben, sich mehr abgrenzen, «die Probleme der anderen sind nicht deine Probleme!». Meyer weiss Erstaunliches über den Zustand von Marlis Cremers Mutter während der Schwangerschaft. Die -Patientin macht sich Notizen. «Sie ist beeindruckend», sagt sie über Meyer. «Ihre Antworten sind so echt, auf den Punkt ausgedrückt. Es ist genau das, was mir guttut.»

Lebensberaterin Regula Meyer

Lebensberaterin Regula Meyer mit Klientin Marlis Cremer.

André Peter und Regula Meyer sind zwei der Protagonisten von Thomas Karrers Film «Zwischenwelten», der diese Woche in den Kinos startet. Darin stellt er Heilerinnen und Heiler vor, die in der Region Appenzell praktizieren und ihre Methoden oftmals bereits von den Eltern und Grosseltern übernommen haben. «In Appenzell Innerrhoden gibt es mehr Gebetsheiler als Hausärzte», erzählt der Regisseur im Film.

Heilen mit «Schöpfungsenergie»

Möglich macht diese Tradition ein liberales kantonales Gesundheitsgesetz, das schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts gegenüber Naturheilpraktikern offen war. Im Film geben einige Heiler unumwunden zu, dass sie nicht wissen, wie es genau funktioniert, was sie da machen – und dass es auch nicht immer funktioniert. Aber eben doch oft genug, dass sie davon überzeugt sind, besondere Fähigkeiten zu haben.

Das glaubt auch André Peter. «Schon als Kind hat man mir gesagt, dass durch mich Energien wirken», erzählt er in seiner kleinen Praxis in Heiden AR. Darauf habe er aber nicht viel gegeben, sei er doch in einer naturwissenschaftlichen Familie aufgewachsen. Später jedoch habe er realisiert, dass er tatsächlich etwas bewirken könne.

Für ihn selbst ein Schlüsselerlebnis war eine tödlich an Krebs erkrankte Frau. «Sie konnte vor Schmerzen das Bett nicht mehr verlassen. Als ich zu ihr kam, war die ganze Familie im Raum versammelt, was mich ziemlich nervös machte. Ich dachte, okay, ich mache das jetzt und verschwinde schnell wieder.» Kurz nach der Behandlung sei die Frau schmerzfrei aus dem Bett gestiegen, so Peter. «Sie starb eineinhalb Jahre später am Krebs, aber lebte bis dahin praktisch beschwerdefrei.»

Er erklärt sich sein Wirken mit Energien, die durch ihn fliessen und auf seine Patientinnen und Patienten einwirken. «Nicht ich heile, es ist die Schöpfungsenergie», sagt Peter. «Ich bin nur ein Hilfsmittel, ein Werkzeug, das von der geistigen Welt dafür eingesetzt wird. Es sind Energien, die im Hintergrund arbeiten und durch mich wirken.» Eine genauere Vorstellung von dieser geistigen Welt hat er nicht – andere würden wohl von Gott sprechen, aber dieser Begriff ist für ihn «zu vorbelastet».

Peter kann auch nicht immer helfen. Aber in rund 60 Prozent aller Fälle habe seine Behandlung eine Wirkung, schätzt er. «Ehrlich gesagt, ich kann es manchmal selbst nicht fassen, dass es funktioniert.» Zu ihm kommen Menschen aus allen sozialen Schichten, mit allen nur erdenklichen Gesundheitsproblemen. Er habe auch schon Krebs geheilt, sagt er und erzählt von zwei konkreten Fällen.

«Zwischenwelten» läuft derzeit in den Schweizer Kinos

Auch Regula Meyer konnte schon immer mehr wahrnehmen als die anderen, sagt sie. Richtig bewusst geworden ist ihr das allerdings erst mit 14 Jahren. «Meine Freundinnen fanden das seltsam, dass ich einfach so wusste, wie es anderen geht, oder einfach so Antworten auf ihre Fragen hatte.» Weil sie als Teenager dazugehören wollte, nahm sie sich vor, diese besondere Fähigkeit abzuschalten. «Das ist mir leider gelungen.»

In den folgenden Jahren habe sie sich selber immer mehr verloren. Bis ihr Zweijähriger sie später plötzlich fragte: «Was für ein Theater spielst du? Wer bist du?» Erst da habe sie sich wieder mit ihrer Begabung auseinandergesetzt. Durch Zufall fing sie an, Leute zu behandeln. Zuerst unentgeltlich. Doch dann meldeten sich immer mehr Menschen bei ihr, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen wollten. «Das hat mir gutgetan», sagt sie.

Deutung von Tierbegegnungen

Mittlerweile ist Meyer seit 30 Jahren selbständig. Ein Spezialgebiet von ihr ist das Deuten von Begegnungen mit Tieren. Denn ihnen begegne man nie durch Zufall, davon ist sie überzeugt. So fragt denn auch ihre Patientin Marlis Cremer während der Sitzung, was ihre Begegnung mit einem Fasan zu bedeuten habe. «Das erinnert dich daran, dass du ein vollkommenes Geschöpf bist», erklärt Meyer. «Er steht dafür, dass du Kraft aus dir selber schöpfen kannst.» Für Marlis Cremer einleuchtend.

Bei Meyers Behandlungen gehe es immer darum, die Kunden an die Hand zu nehmen und zu sich selber zu führen. Und es kommen die unterschiedlichsten Menschen zu ihr, jung und alt, weiblich und männlich, mit den unterschiedlichsten Fragen. Einmal kamen Vater und Sohn, die eine Maschinenbaufirma führen. Sie wussten, dass eine Maschine einen Fehler hatte, fanden ihn aber nicht. «Da hatte ich schon ein bisschen Bammel», sagt Meyer. Sie konnte das, was sie sah und fühlte, schliesslich nicht technisch korrekt ausdrücken. «Also habe ich ihnen in meiner Sprache beschrieben, wo sich der Fehler befinden könnte.» Und siehe da: Sie fanden ihn.

In der Region Appenzell praktizieren besonders viele Geistheiler

Im mystisch nebelverhangenen Appenzell praktizieren besonders viele Geist- und Gebetsheiler.

Seriöse Heiler erkennen

- Die Stundenansätze werden im Voraus bekanntgegeben. Sie sind nicht übermässig hoch.

- Ein Heiler verspricht nicht sofortige Besserung oder Wunder. Sie oder er verspricht nur, das Beste zu geben.

- Ein Heiler oder eine Heilerin verlangt nicht, sich von der Familie oder dem Freundeskreis zu lösen.

- Ein Heiler lehnt die etablierte Medizin nicht ab und behauptet nicht, nur ihr oder sein Weg sei der richtige. Eine Heilerin oder ein Heiler rät niemals, eine vom Arzt verschriebene notwendige Behandlung zu unterbrechen.

- Eine Heilerin oder ein Heiler verabreicht oder verkauft keine Medi­kamente, sondern überprüft höchstens die Wirksamkeit eines vom Arzt verschriebenen Medikaments.

- Wenn ein Heiler auf eine versteckte Krankheit stösst oder diese Art von Krankheit nicht behandeln kann, dann zögert er nicht, den Patienten zum Arzt oder ins Spital zu schicken.

Zudem gibt es die ­Möglichkeit, einen Scharlatan anzuklagen, falls es sich um einen schwerwiegenden ­Missbrauch handelt.
 

Aus dem Buch «Heilerinnen und Heiler in der Deutschschweiz» von Riti Sharma und ­Magali Jenny, Favre 2009, bei exlibris.ch

Die Wissenschaft steht dem Phänomen des Geistheilens grundsätzlich skeptisch gegenüber. «Für die Wirkung solcher Behandlungen sind nach aktuellem Wissensstand Glaube und Placeboeffekte verantwortlich», sagt Peter Brugger. Der 63-jährige Leiter der Neuropsychologie der Rehabilitationsklinik Valens SG beschäftigt sich schon lange mit dem Zusammenhang zwischen Glaube und gesundheitlicher Wirkung.

«Etwas anderes als das konnte bis heute nicht überzeugend nachgewiesen werden. Sehr gut untersucht ist die Homöopathie, und auch dort wurde nie ein Wirkmechanismus gefunden, der über den Placeboeffekt hinausgeht.» Behaupte ein Heiler, er habe spezielle, übernatürliche Fähigkeiten, mit denen er helfen könne, gehe er damit nach heutigem Erkenntnisstand zu weit, sagt Brugger.

«Es ist allerdings schwierig, solche Behandlungen wissenschaftlich zu untersuchen, weil die behaupteten Fähigkeiten der Heiler so vielfältig sind.» Der eine sage, sein Bergkristall wirke ganz direkt, beim anderen müsse der Patient dabei noch auf die Nord-Süd-Achse ausgerichtet sein, während der dritte die Auflagestelle des Kristalls erst noch auspendeln müsse. «Eine solche Vielfalt erschwert eine objektive Überprüfung nach wissenschaftlichen Kriterien.»

Aber was ist mit dem Warzenbesprecher aus «Zwischenwelten»? Dieser erzählt Regisseur Karrer, dass er diese Gebete zur Behandlung von Warzen von seinem Vater übernommen und keine Ahnung habe, wie und weshalb sie wirkten. Doch bei Kühen habe er eine Erfolgsquote von nahezu 100 Prozent, bei Menschen 80 bis 90, Pferde hingegen seien schwierig.

«Tatsächlich gibt es Placeboeffekte auch bei Tieren, das ist gut erforscht», sagt Brugger. Dabei gehe es nicht nur um die Behandlungsmethode, sondern auch um den Umgang des Arztes mit den Patienten. «Auch eine Kuh nimmt Empathie, Freundlichkeit und Körperkontakt wahr – und wenn sie das als positiv empfindet, kann das durchaus eine Wirkung haben.» Dass es in diesem Fall bei Pferden weniger gut funktioniere, lasse sich vielleicht damit erklären, dass nicht jeder mit jedem Tier gleich gut zusammenspiele. «Es gibt Menschen, die mögen eher Katzen statt Hunde. Und dieser Heiler ist vielleicht eher ein Kuh- als ein Pferdeflüsterer…»

Was passiert beim Placeboeffekt?

Claudia Witt, Direktorin des Instituts für komplementäre und inte­grative Medizin am Universitätsspital Zürich
Claudia Witt, Direktorin des Instituts für komplementäre und inte­grative Medizin am Universitätsspital Zürich

Der Placeboeffekt fasziniert die Forschung schon lange. Wie er funktioniert, weiss Claudia Witt (51), Direktorin des Instituts für komplementäre und integrative Medizin am Universitätsspital Zürich. «Wir sprechen von Placeboeffekt, wenn es zu einer Verbesserung der Symptome kommt, ohne dass die durchgeführte Therapie dafür spezifisch wirksam ist.»

Ein typisches Beispiel ist die Einnahme einer Pille ohne Wirkstoffe, die beim Patienten dennoch eine Verbesserung erreicht. Das könne aber auch ohne Medikament passieren. «Es hängt von den Erwartungen ab, die eine Person an das Ergebnis einer Therapie hat – höhere Erwartungen haben einen stärkeren Effekt.»

Und Erwartungen liessen sich durch vieles beeinflussen, auch durch Worte oder Situationen. «Im Gehirn werden dann verschiedenen Substanzen ausgeschüttet. Auch Optimismus führt zu höheren Erwartungen.» Placeboeffekte spielen in der Medizin eine wichtige Rolle. «Je nachdem können sie 10 bis 60 Prozent des Therapieergebnisses ausmachen.»

Also doch alles nur Placeboeffekte beim Geistheilen und Handauflegen? Heiler André Peter räumt ein, dieser spiele eine wichtige Rolle, ist jedoch überzeugt, dass beim Heilen noch mehr passiert, und der Erfolg nicht abhängig davon ist, ob jemand daran glaubt oder nicht. Auch letzteren habe er schon helfen können. 

Eine Gabe, die eigentlich alle hätten?

Regula Meyer wiederum glaubt, dass fast alle Menschen mediale Anlagen haben – nur lassen sie nicht alle zu. «Jeder kennt das: Man kommt in eine Situation und merkt: Ups, hier stimmt was nicht.» Bei manchen sei dieser Sinn stärker ausgeprägt, bei anderen schwächer. Grund hierfür sei, dass Eltern ihren Kindern immer wieder sagen, dass es so etwas nicht gibt. «Vielleicht war ich einfach resistent gegen Erziehung», lacht sie.

Andreas Meile, ­Mediensprecher des Schweizerischen Verbands für natürliches Heilen (SVNH)
Andreas Meile, ­Mediensprecher des Schweizerischen Verbands für natürliches Heilen (SVNH)

Auch beim Schweizerischen Verband für natürliches Heilen (SVNH) ist man überzeugt, dass bei diesen Behandlungen nicht nur der Placeboeffekt spielt: «Aus unserer Erfahrung können wir sagen, dass es da noch mehr gibt», sagt Andreas Meile (53), Mediensprecher des SVNH und Leiter des Psi-Zentrums Seeland. «Aber auch wir können den Himmel nicht bestätigen. Es ist für uns nicht messbar, was da genau passiert.»

Der SVNH ist eine Non-Profit-Organisation, die sich seit über 30 Jahren für die seriöse Naturheilarbeit einsetzt. «Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem wir Therapeuten überprüfen», erklärt Meile, der auch als Medium tätig ist. «Wer besteht, bekommt ein Label, das seine Seriosität belegt.» Überprüft werde jedoch immer nur der Heiler, nicht seine Methode.

Achtung, Scharlatane!

Der Verband, der über 1000 Mitglieder hat, führt pro Jahr 30 bis 40 Prüfungen durch. Aber auch er hat keinen Überblick über die gesamte Schweizer Heiler-Szene. «Tatsache ist: Von den vielen Heilern, die ihre Dienste anbieten, lassen sich nur wenige von uns überprüfen», sagt Meile. «Da fragt man sich schon, wovor die anderen Angst haben.» Er rät Patienten, auf Mund-zu-Mund-Propaganda zu hören, zu prüfen wie lange jemand schon therapiert und natürlich auf das Label des SVNH zu achten. Ausserdem: «Behandlungskosten von 120 bis 170 Franken pro Stunde sind in Ordnung – alles, was teurer ist, ist unverschämt, finde ich.»

Einige komplementärmedizinische Therapien werden mittlerweile von der Krankenkasse übernommen – verursachen jedoch vergleichsweise wenig Kosten. 2019 waren es 17 Millionen Franken. Das entspricht 0,05 Prozent der Gesamtkosten von 34,1 Milliarden in der obligatorischen Krankenversicherung.

Georg Otto Schmid, Leiter der Evangelischen Informationsstelle relinfo in Rüti ZH
Georg Otto Schmid, Leiter der Evangelischen Informationsstelle relinfo in Rüti ZH

Auch Georg Otto Schmid (54), Leiter der Evangelischen Informationsstelle relinfo in Rüti ZH, hat ab und zu mit Heilern zu tun. «Vorwiegend allerdings, wenn etwas schiefgeht und sich enttäuschte oder geschädigte Kunden an uns wenden.»

Er sieht einige Gefahren bei der Geistheilung und anderen komplementärmedizinischen Verfahren. «In unserer Arbeit hören wir immer wieder von Todesfällen wegen des bewussten Verzichts auf wissenschaftsbasierte Medizin», sagt der Religionswissenschaftler.

Und es gebe Heiler, die versuchten, ihren Patienten ihre Weltanschauung aufzudrängen. Um einige herum bildeten sich gar Glaubensgemeinschaften mit problematischen Effekten. «Wer von seiner Kundschaft hört, wie heilsam sich seine Tätigkeit ausgewirkt hat, kann zur Überzeugung gelangen, kein normaler Mensch zu sein, sondern eine spirituelle Mission zu haben.» In solchen Situationen könne es zu persönlichen Abhängigkeiten oder gar sexuellem Missbrauch kommen.

André Peter hat auch schon Klienten erlebt, die in ihm mehr sahen als das simple, bescheidene Werkzeug, als das er sich selbst sieht. «So etwas blocke ich immer sofort ab, das kann ich gar nicht brauchen», erklärt er und schüttelt lachend den Kopf.

Geistheiler André Peter

André Peter in seiner Praxis in Heiden AR.

Mit den 67 Franken pro Behandlung, die er in Rechnung stellt, gehört er wohl auch eher zu den günstigeren Heilern. Und verglichen mit früher behandelt er heute viel weniger, höchstens noch ein gutes Dutzend Patienten pro Woche. Aber solange die Energien durch ihn fliessen, möchte er sie auch nutzen. «Ein reines Herz ist wichtig», sagt er im Film. «Dass man echt helfen will, das passiert vom Herzen, nicht vom Kopf aus.»

Peter ­Brugger, ­Leiter der Neuropsychologie der Rehabilitationsklinik Valens SG

Peter Brugger (63) ist Leiter Neuropsychologie der Rehabilitationsklinik Valens in Valens SG

«Auch die Schulmedizin bedient sich der Einbildungskraft des Patienten»

Brugger beschäftigt sich schon lange mit der Wirkung von Placebos und dem Zusammenhang zwischen Glaube und gesundheitlicher Wirkung. Er engagiert sich zudem, die Machenschaften von Scharlatanen im Gesundheitsbereich offenzulegen. 

 

Sind für die Wirkung solcher Behandlungen primär Glaube und Placeboeffekte verantwortlich?

Ja, etwas anderes als das konnte bis heute nicht überzeugend nachgewiesen werden. Die Forschung dazu ist jedoch weiter im Gang. Sehr gut untersucht ist die Homöopathie, und auch dort wurde nie ein Wirkmechanismus gefunden, der über den Placeboeffekt hinausgeht. 

 

Aber auch die können einiges bewirken.

Absolut. Wenn ich glaube, dass mir etwas hilft, dann wirkt sich diese Zuversicht tatsächlich positiv auf das gesundheitliche Problem aus. Auch wenn man schwer krank ist, macht es einen Unterschied, ob man zuversichtlich ist oder das Schlimmste befürchtet. 

 

Hält eine eingebildete Wirkung tatsächlich auch länger an?

Ja, weil die Einbildung eben auch eine reale Wirkung hat – mitunter sogar eine stärkere, als wenn ein Medikament unwissentlich eingenommen wird. Das gilt für rote Kügelchen genauso wie für Erdstrahlen oder Gesundbeten. Es geht halt schon in Richtung von «Der Glaube versetzt Berge». Und auch die Schulmedizin bedient sich der Einbildungskraft des Patienten. Problematisch wird es, wenn man sich bei jedem gesundheitlichen Problem nur auf Heiler verlässt und glaubt, die naturwissenschaftliche Medizin sei auf dem Holzweg.

 

Die Grenze einer komplementärmedizinischen Behandlung liegt bei richtig ernsthaften körperlichen Problemen, etwa einem Knochenbruch, richtig? Der heilt durch nichts von heute auf morgen.

Das tut er nicht, aber der Heilungsprozess kann gefördert oder behindert werden. Wenn ein Patient depressiv ist und das Schlimmste befürchtet, schwächt das sein Immunsystem, und das verzögert die Heilung des Bruchs. Ist der Patient aber zuversichtlich, dass alles bald gut kommt, beschleunigt das die Heilung. So gesehen kann da auch die Komplementärmedizin eine durchaus positive Wirkung haben. Und Heiler mit ihrem empathischen Umgang haben da gegenüber gestressten Ärzten im Akutspital vielleicht sogar einen Vorteil, weil sich die Patienten besser betreut fühlen.

 

Aber es gibt sicher auch viele Scharlatane.

Garantiert. Die Dunkelziffer von Leuten, die mit Heilsversprechen Geld verdienen und kaum etwas bewirken, ist riesig.

 

Ist es da nicht problematisch, dass solche Behandlungen von den Krankenkassen vergütet werden? 

Ja, das finde ich tatsächlich bedenklich. Vor allem im Fall der Homöopathie, von der viele noch immer glauben, sie wirke über den Placeboeffekt hinaus, was erwiesenermassen nicht der Fall ist. Ich finde, eine Krankenkasse sollte nur dann für Placeboeffekte aufkommen, wenn die behandelnde Instanz nicht mehr verspricht, als sie leisten kann. Wenn ein Heiler weiss, dass sein Stein keine Kräfte hat, aber dessen Auflegen bei seinen Patienten erfahrungsgemäss dank Placeboeffekt eine positive Wirkung auf ihr Problem hat, dann finde ich eine Vergütung in Ordnung. 

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