Tag 1: Sonntag
«Ich bin positiv.» M., meine Partnerin, schaut zur Zimmertür herein. Sie trägt eine Maske und sagt diesen einen Satz: «Ich bin positiv.» Wir schauen uns verdutzt an. Sch…
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Die Partnerin unseres Autors wird positiv auf Corona getestet. Sie muss in Isolation, der Rest der Familie in Quarantäne. Wie das ist? Ein Tagebuch.
Leben unter Quarantäne: «Insgesamt etwas viel Innenwelt heute.»
«Ich bin positiv.» M., meine Partnerin, schaut zur Zimmertür herein. Sie trägt eine Maske und sagt diesen einen Satz: «Ich bin positiv.» Wir schauen uns verdutzt an. Sch…
Am Freitag sind wir aus Italien zurückgekehrt. Am Bahnhof Bologna wurde uns die Temperatur gemessen. Ich kam glatt durch, bei M. musste der Beamte zweimal ansetzen, dann winkte er auch sie durch. Da haben wir uns ein erstes Mal verdutzt angeschaut.
Am Abend hat M. zu Hause leichtes Fieber und Gliederschmerzen. Unter normalen Umständen würde man sagen: nicht der Rede wert. Sie werde am Samstag zum Corona-Test gehen, erklärt M. Dass sie positiv sein könnte, glauben wir beide nicht wirklich.
Dennoch werden wir vorsichtig. Entgegen unserer Gewohnheit essen wir nicht in der Küche, sondern setzen uns am 2,10 Meter langen Wohnzimmertisch an die beiden Kopfenden, prosten uns von ferne zu und stellen uns vor, wir wären das Königspaar in einem zweitklassigen Kostümfilm. Standesgemäss ziehen wir uns danach in die je eigenen Gemächer zurück – das King-Size-Bett in Bologna ist nur mehr eine ferne Erinnerung.
Am Samstagmorgen hole ich unseren Kater aus seinem Feriendomizil. Ich trage bereits überall eine Maske, auch draussen. Der Kater nimmt es gelassen.
Als ich nach Hause komme, ist M. aufgestanden. Das Fieber ist weg, die Gliederschmerzen nicht. «Es ist wohl doch nicht Corona», sagt sie. Zum Test will sie trotzdem.
Eigentlich wollte ich am Abend eine gute Freundin besuchen. Ich rufe sie an und sage ihr, M. gehe zum Corona-Test, aber es sei wohl nichts. «Vergiss es, wir treffen uns ein andermal», sagt sie.
Am Nachmittag kommt unser Sohn T. (14) aus seinen Ferien zurück. Er war mit Freunden ein paar Tage in der Innerschweiz. Weil er sein Handy verloren hat, weiss er nichts von den Einschränkungen zu Hause. Heisst: keine Umarmung zur Begrüssung, Erlebnisse nur auf Distanz erzählen.
Am Abend sitzen wir zu dritt an unserer Rittertafel. Anschliessend steht ein Film an: «The Bourne Supremacy». Mit Schutzkonzept. M. trägt Maske.
Das Testergebnis ist per SMS gekommen. M. muss sich umgehend mit dem Zürcher Contact-Tracing in Verbindung setzen, wo sie erste Anweisungen erhält: zehn Tage Isolation für sie, zehn Tage Quarantäne für ihre Mitbewohner (also unseren Sohn und mich) und alle, mit denen sie in den letzten Tagen «relevanten Kontakt» hatte. Weil wir in Italien die meiste Zeit maskiert waren, werden das glücklicherweise wenige sein.
Isolation heisst: M. muss sich für die kommenden Tage völlig zurückziehen. Verlässt sie ihr Zimmer, trägt sie Maske und hält Abstand. Wir richten uns also entsprechend ein: M. bekommt einen kleinen Tisch in ihr Zimmer gestellt, wo sie tagsüber arbeiten kann. Weil wir zwei Toiletten haben, teilen wir uns auf – M. die eine, T. und ich die andere.
Damit schrumpft unsere Tafelrunde wieder auf zwei – T. und ich behalten die Plätze an den Kopfenden bei.
M. geht es den Umständen entsprechend gut, das Fieber bleibt weg, zu den Gelenkschmerzen sind aber Schmerzen im Brustbereich hinzugekommen. Ich will wissen, ob auch ich positiv bin, und gehe deshalb noch am Nachmittag zum Test.
T. ist missmutig. Kein Handy, kein Auslauf. Wir informieren Nachbarn, Freunde und Verwandte über unsere Situation. Die meisten bieten sofort Hilfe an: «Können wir euch unterstützen?» – «Sollen wir euch die Einkäufe machen?» – «Sagt, wenn ihr etwas braucht!» Nur jemand meint: «Zum Glück haben wir uns in letzter Zeit nicht gesehen.» … Grossartig ist unsere Nachbarin: Noch am Sonntagabend schreibt sie ein Whatsapp: «Ich habe gebacken und euch ein Brot vor die Tür gestellt. En Guete!» Wow!
Ich koche gerade das Abendessen, als auf meinem Handy die Nachricht der Covid-App des BAG aufpoppt, dass ich mich vor zwei Tagen möglicherweise mit dem Coronavirus angesteckt habe. Ich rufe die mitgeschickte Nummer an und erfahre, was ich schon weiss.
Auch der heutige Filmabend ist personell reduziert: T. und ich gucken «Batman», M. in ihrem Zimmer eine Serie.
Zürich-Binz: Irgendwo hier sitzt unser Autor und veranstaltet Heimkinoabende mit seinem Sohn.
Der Tag beginnt mit einem Lacher: Das Toilettenpapier ist ausgegangen. Ausgerechnet.
Zum Glück nicht für lange. Bereits am Mittag liefert LeShop Nachschub.
M. hat wellenartig auftretende Brustbeschwerden, Verdauungsstörungen und einen leichten Husten. Dennoch scheint Covid-19 bei ihr bisher glücklicherweise einen milden Verlauf zu nehmen.
Weil Montag ist, versuchen wir etwas zu arbeiten. T. macht widerwillig Hausaufgaben und lernt für die Gymiprüfung – Winkelbestimmung, zähe französische Vokabeln und «Anne Frank»-Lektüre. Dazwischen werden Workouts und Game-Sessions zur Auflockerung eingebaut.
Zwischendurch huscht M. mit Maske und Handschuhen in die Küche, macht sich einen Tee und verschwindet wieder. Gespenstisch.
Kurz nach Mittag die SMS des Unispitals: Ich bin negativ. Und, ehrlich gesagt, leicht erstaunt darüber. Zwar habe ich keinerlei Symptome, aber bis Freitag doch Tisch und Bett mit M. geteilt.
Auf die Dauer der Quarantäne hat das Testergebnis indes keinen Einfluss. Theoretisch könnte das Virus bei mir einfach noch nicht nachweisbar sein. Deshalb muss ich bis und mit nächsten Montag weitermachen.
Bleibt die Frage, wo sich M. eigentlich angesteckt hat. Die kurze Antwort: Wir wissen es nicht. Rechnerisch höchstwahrscheinlich nicht in Italien, sondern bereits zuvor in Zürich.
Gegen Abend kommt K. vorbei. Sie stellt T. ihr altes iPhone als Ersatzhandy zur Ver-fügung. Sie steht auf dem Vorplatz, ich gucke aus dem Küchenfenster im dritten Stock. Wir versuchen uns zu unterhalten, weil wir dabei aber schreien müssten und die halbe Siedlung unser Gespräch mithören würde, wechseln wir aufs Telefon – gestikulieren aber live munter weiter.
Die Tage beginnen sich zu gleichen und zerfliessen ineinander.
M.s Zustand ist nach wie vor recht gut. Zumindest körperlich. Psychisch macht sich allmählich der Lagerkoller breit. T. ist enttäuscht, weil er jetzt zwar ein Handy hat, aber die neue SIM-Karte noch nicht geliefert wurde. Auch das Social Distancing und die ständige Präsenz der Krankheit schlagen ihm auf die Stimmung. Verständlich.
Insgesamt etwas viel Innenwelt heute. Im Homekino läuft «The Bourne Ultimatum».
Draussen ist ein wunderbarer Herbsttag. M. fühlt sich heute deutlich besser (nur noch leichter Husten), sie möchte raus, «Bäume ausreissen».
Am Mittag erwarten wir eine Amigos-Lieferung. Ich war für die Nachbarschaftshilfe der Migros selbst schon als Bringer unterwegs, jetzt bin ich plötzlich ein Empfänger. Auch M.s Eltern, beide um die 80, wollen helfen. M. hat sie während des Lockdowns mitversorgt, jetzt möchten sie etwas zurückgeben – verkehrte Welt.
Endlich ist T.s SIM-Karte in der Post. Er legt gleich los. Endlich kann er wieder mit der Welt kommunizieren. Seine Stimmung bessert sich.
Derweil kämpft auch die Aussenwelt mit Corona: Das BAG meldet über 2800 Neuinfizierte, doppelt so viele wie am Vortag, und doppelt so viele wie nie zuvor. M. witzelt: «Bald seid ihr in der Wohnung mit mir sicherer als draussen.»
Am Nachmittag meldet sich das Zürcher Contract-Tracing per SMS bei mir. Ich müsse sofort und bis zum nächsten Montag in Quarantäne. Das ist zwar nun nichts Neues, aber es ist das erste Mal, dass sich der Kanton bei mir direkt meldet. Bisher lief der Kontakt immer über M. Jetzt habe ich mich zu melden und rufe deshalb zurück. Während ich über eine halbe Stunde in der Warteschlaufe hänge – «Contact-Tracing Kanton Zürich, Grüezi! Bitte haben Sie etwas Geduld, wir sind gleich für Sie da» –, koche ich eine Bolo.
Beim Nachtessen rutscht bei M. die Stimmung in den Keller. Sie hört uns nur und sieht uns kaum. Einzig der Kater foutiert sich ums Social Distancing und besucht sie stundenlang in ihrem Reich. M.s Zimmer ist inzwischen eine multifunktional eingerichtete Schlaf-, Trainings-, Arbeits-, Kino-, Lese-, Ess- und Kommandostation.
Heute gibts keinen gemeinsamen Film. T. telefoniert mit seinem besten Freund.
Nichts Neues aus der Quarantäne, ausser: Halbzeit! «Nur» noch fünf Tage. Die zweite Hälfte einer Zeiteinheit vergehe schneller als die erste, heisst es. Nun, wir werden sehen.
Bleiben Sie gesund! Wir versuchen es auch – und bleiben positiv.