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Konsum

Moral wird beim Einkauf immer wichtiger

Mit dem Fairphone hat Bas van Abel einen Meilenstein in nachhaltiger Elektronik gesetzt. Der holländische Designer engagiert sich weiter für die Kreislaufwirtschaft und für mehr Verantwortung beim Einkaufen.

Text Ralf Kaminski
Fotos Désirée Good
Datum
Fairphone-Gründer Bas van Abel im Garten des GDI in Rüschlikon

Fairphone-Gründer Bas van Abel im Garten des Gottlieb Duttweiler Instituts in Rüschlikon ZH.

Sie haben 2013 mit der Entwicklung des Fairphones begonnen. Hatten Sie da schon im Hinterkopf, dass die moralischen Ansprüche der Konsumenten steigen werden?

Das war damals eher ein Nebenaspekt. Mich hat schon lange vorher die Beziehung zwischen Menschen und Produkten beschäftigt. Im IT-Bereich war ich immer ein Anhänger von Open-Source-Software, zu der jeder Zugang hat und beitragen kann. Smartphones sind zwar zu unseren ständigen Begleitern geworden, doch die Entfremdung zwischen Nutzer und Herstellungsprozess ist riesig. Niemand weiss genau, wie und von wem sie hergestellt werden, weil das irgendwo in fernen Ländern passiert.

Und das wollten Sie ändern?

Ich wollte dieser Entfremdung entgegenwirken und gleichzeitig die Konsumenten motivieren, mehr Verantwortung dafür zu übernehmen, was sie kaufen. So gesehen war Moral ein Thema, aber nicht das zentrale Motiv. Heute spielt es im Marketing von Fairphone natürlich eine wichtige Rolle. Gestartet sind wir aber nicht als Firma, sondern als Kampagne. Wir wollten mehr Bewusstsein schaffen, dass Rohstoffe meist unter problematischen Bedingungen geschürft werden. Nicht nur gibt es dabei viel Kinderarbeit, in den vergangenen 30 Jahren sind zudem Tausende in solchen Minen gestorben, etwa im Kongo. Eigentlich könnten wir das wissen, neigen aber dazu, es zu verdrängen.

Fairphone-Gründer und Sozialunternehmer

Bas van Abel (42) hat das Fairphone erfunden und ist Gründer von De Clique, einem Unternehmen, das Lebensmittelreste und Abfälle aus ­Restaurants in den Niederlanden einsammelt, sie an Wiederverwerter weitervermittelt und so hilft, eine Kreislaufwirtschaft zu fördern. Van Abel ist ­ursprünglich Designer und Ingenieur, heute aber ganz darauf fokussiert, Alltag und Konsum der Menschen nachhaltiger zu gestalten. 2018 war er Unternehmer des Jahres. Er lebt mit seiner Part­nerin und drei Kindern in Utrecht (NL) und war kürzlich beim Gottlieb Duttweiler Institut zu Gast.

Weshalb der Fokus aufs Smartphone?

Weil es viele dieser Herstellungsprobleme auf sich vereint. Klar kann man als Bürger auch Petitionen unterstützen oder Geld spenden, aber das packt das Problem nicht bei der Wurzel. Ich wollte eine direktere Verbindung schaffen zwischen den Menschen hier und den furchtbaren Arbeitsbedingungen dort, mit dem Ziel, die Elektronikbranche nachhaltiger zu machen. Der Schlüssel dazu ist der Konsument.

Wie fair ist das Fairphone?

Da muss ich jetzt etwas ausholen. Ein Smartphone besteht aus über 80 verschiedenen Mineralien, die in Minen rund um die Welt aus dem Boden geholt werden. Ausserdem ist bei der Herstellung eine riesige Kette von Fabriken und Zulieferern involviert, denn ein Mobiltelefon besteht aus 1200 Komponenten. Dies alles zu kontrollieren, ist nahezu unmöglich. Man könnte genauso gut versuchen, den Weltfrieden zu schaffen. Wir fokussieren auf ein paar Aspekte mit den dringendsten Problemen, etwa auf Gesundheit und Sicherheit der Minenarbeiter. Dazu haben wir ein Konsortium gegründet, mit dem wir versuchen, gewisse Regeln durchzusetzen, etwa Schürfen ohne Kinderarbeit in Uganda. Doch die gibt es natürlich trotz unserer Bemühungen auch dort noch immer, weil es an Orten ohne Schulen und Infrastruktur kaum Alternativen gibt und die Familien auf jedes bisschen Einkommen angewiesen sind. Unsere Mission ist, die Situation zu verbessern – wer ein Fairphone kauft, trägt dazu bei. Und inzwischen nutzen auch andere Hersteller unsere Lieferketten.

Der Weg ist das Ziel sozusagen?

Genau – mehr liegt derzeit nicht drin, dafür sind wir einfach zu klein. Wir arbeiten aber in diversen Bereichen an Verbesserungen. So sind wir momentan zum Beispiel die einzigen, die Herstellerfirmen für soziales Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitenden belohnen, indem wir ihre Marge erhöhen. Und das Fairphone ist so designt und konstruiert, dass man es länger nutzen und selbst reparieren kann. Smartphones bestehen aus extrem hochwertigem Material und sind doch meist Wegwerfprodukte, weil man nicht mal einen schwächer werdenden Akku austauschen kann. Das zwingt die Kunden, sich stets wieder ein neues Gerät zu kaufen. Und wenn man das Telefon in der Hand hat, ist der Schaden schon angerichtet, er passiert zum grössten Teil in der Herstellung. Je weniger davon also gekauft werden und je länger sie genutzt werden, desto besser und nachhaltiger.

Ein schwieriges Geschäftsmodell.

Allerdings! Wir wollen zwar Fairphones verkaufen, aber möglichst wenige pro Person. Doch unser Ansatz funktioniert: Laut Greenpeace sind wir die nachhaltigste Firma im Bereich Unterhaltungselektronik. Dass man etwa das Fairphone 3 selbst warten und reparieren kann, verlängert seine Lebensdauer und reduziert die CO2-Emissionen um 30 Prozent. Und alles begann mit einer Crowdfunding-Aktion. Am Ende hatten wir 7,5 Millionen Euro von Leuten gesammelt, die ein nachhaltigeres Smartphone wollten, das noch gar nicht existierte, von einer Firma, die so etwas noch nie gebaut hatte und die aus mir und einem Praktikanten bestand. Eineinhalb Jahre später hatten wir 40 Mitarbeitende und waren das am schnellsten wachsende Tech-Start-up von Europa.

Review des Fairphone 3

Digitec verkauft das Fairphone 3 nicht nur, es hat auch getestet, ob man es tatsächlich so leicht reparieren kann, wie der Hersteller behauptet. Hier gehts zur Review.

Wie viele Geräte haben Sie verkauft?

Rund 250 000. Wir sind bisher aber primär in Westeuropa aktiv. Die meisten unserer Kunden kommen aus Deutschland, gefolgt von den Schweizern und den Holländern. Die Schweiz war von Anfang an immer in den Top Fünf bei unseren Absatzzahlen. Und pro Kopf hat sie die höchste Fairphone-Dichte der Welt. Aber andere Länder holen auf, der Absatz nach Grossbritannien und Frankreich wächst derzeit stark.

Haben Sie schon überlegt, in andere Bereiche zu expandieren?

Das Smartphone ist das komplexeste Produkt in diesem Bereich und noch ist es zu früh für eine Expansion, auch wenn wir uns solche Gedanken machen. Mit unseren rund 80 Mitarbeitenden sind wir auch immer noch vergleichsweise klein. Aber wir zeigen, dass man sehr wohl etwas verändern kann, wenn man will. 

Weltweit gibt es rund 3,5 Milliarden Smartphone-Nutzer. Nur ein kleiner Bruchteil von denen nutzt ein Fairphone – so wichtig scheint die Moral in diesem Bereich nicht zu sein.

Das kommt drauf an, wie man die Zahlen anschaut. Es gibt unser Produkt erst seit fünf Jahren, und bisher beschränken wir unsere Bemühungen auf Westeuropa. Unser Marktanteil beträgt dabei etwa 0,1 Prozent. Das klingt nach wenig, aber wir haben das mit einem minimalen Bruchteil der Mittel und Mitarbeitenden der grossen Hersteller erreicht. Und im Gegensatz zu den anderen wächst unser Marktanteil stetig. Wir haben gezeigt, dass es ganz klar einen Markt für nachhaltige Mobiltelefone gibt – umso mehr als das moralische Bewusstsein der Konsumenten in der westlichen Welt und in Teilen Asiens in den letzten Jahren enorm gewachsen ist.

Und inzwischen viele Bereiche umfasst: Lebensmittel, Plastik, Reisen, Transport, Energie. Weshalb ist das moralische Konsumieren plötzlich so wichtig geworden?

Ökologisches Bewusstsein war in einer Nische schon seit den 1970er- und 80er-Jahren präsent. Aber seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 ist dieses Bewusstsein auch im Mainstream angekommen. Nachhaltigkeit ist ein gesellschaftlicher Megatrend geworden. Dazu haben auch die Digitalisierung und die sozialen Medien beigetragen. Auf diesen Kanälen schlägt Firmen mit problematischen Geschäftsmodellen heute erheblicher Widerstand entgegen.

Wen kümmern solche Fragen, wen eher nicht?

Man muss über sich selbst hinausdenken können, eine Balance finden zwischen Eigeninteressen und denen der Allgemeinheit. Durch unsere Existenz kreieren wir Dinge und zerstören andere. Dennoch rate ich von einer allzu dogmatischen Position ab, denn schaut man genauer hin, findet man auch bei sich selbst meist beide Positionen, abhängig von Thema und Situation. Auch ich kaufe manchmal etwas ein, weil es gerade praktisch oder günstig ist. Und das ist okay, solange man insgesamt ein Gleichgewicht findet. Es ist doch auch auffällig, wie viele Leute sich mit 40 nochmals beruflich umorientieren, weil sie in der noch verbleibenden Berufszeit etwas Sinnvolles tun möchten, und nicht einfach nur mit irgendwas Geld verdienen.

 

Fairphone-Gründer Bas van Abel, 2020 am GDI

«Je mehr Menschen wohlhabend sind, desto mehr beschäftigen sie solche Themen», sagt Bas van Abel. «Je gerechter die Welt, desto nachhaltiger und gesünder ist sie auch.»

Aber es sind schon eher wohlhabende Leute der westlichen Welt, die es sich überhaupt leisten können, sich solche Gedanken zu machen, nicht?

Richtig. Deshalb lässt sich ökologische Nachhaltigkeit nicht von Ungleichheit trennen. Je mehr Menschen wohlhabend sind, desto mehr beschäftigen sie solche Themen. Je gerechter die Welt, desto nachhaltiger und gesünder ist sie auch.

Viele Konsumenten denken aber weiterhin vor allem an sich selbst.

Ohne Zweifel, aber ich würde abraten, hier zu sehr zu moralisieren, das verstärkt nur die Polarisierung. Auch diese Leute sind mit Dilemmas konfrontiert, mit denen sie umgehen müssen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen grundsätzlich gut sind und einander brauchen. Wenn sich ein genügend grosser Teil der Menschheit in die richtige Richtung bewegt, kann er die anderen mitziehen und so eine Gesamtverbesserung erreichen.

Was raten Sie Unternehmen, wie sie mit den höheren Erwartungen der Konsumenten umgehen sollen?

Am besten zeigen sie ganz offen, dass auch sie mit diesen Themen ringen. Dass sie ehrlich bemüht sind, eine Besserung zu erreichen, dies aber nicht immer so leicht ist; Plastik etwa ist in vielen Fällen die bessere Lösung als Papier oder Holz. Sie sollten zeigen, dass sie offen sind für Vorschläge ihrer Kunden. Der grösste Fehler ist zu glauben, man dürfe keine Verletzlichkeit zeigen – wer das macht, wird umso verletzlicher. Denn es ist schlicht unmöglich, immer alles richtig zu machen. Und manchmal muss man auch bewusst daran arbeiten, das Verhalten der Kunden zu ändern. Idealerweise gemeinsam mit ihnen, sonst fühlen sie sich rasch bevormundet, was meist Gegenreaktionen auslöst. Da ist cleveres Marketing gefragt. Dass das grundsätzlich funktioniert, zeigen die vielen Dinge, die wir kaufen, obwohl wir sie gar nicht brauchen.

So wird das Fairphone produziert | VPRO Dok

Konsumenten sind mächtig. Sollten sie das häufiger nutzen?

Unbedingt! Einerseits können sie direkt ihre Meinung äussern, andererseits signalisieren sie mit ihren Einkäufen, was ihnen wichtig ist und auf was sie verzichten können. Je häufiger sie zu nachhaltigen Produkten greifen, auch wenn die etwas mehr kosten, desto mehr wird sich das Unternehmen in diese Richtung entwickeln. Und je mehr dies tun, desto besser für die Welt und seine Bewohner. Was auch helfen würde: grundsätzlich weniger zu kaufen und mehr zu reparieren.

Womit wir wieder beim Fairphone wären. Hatten Sie zuvor ein anderes Smartphone?

Nein, das Fairphone war mein erstes, ich bin also erst recht spät auf diese Welle aufgesprungen.

Und weshalb kamen Sie als Designer und Ingenieur zum sozialen Unternehmertum?

Ich habe schon als Kind Dinge im Haushalt auseinandergenommen, etwa unseren Toaster. Ich wollte einfach verstehen, wie das funktioniert. Meine Mutter war wenig begeistert, aber immerhin konnte ich den Toaster irgendwann auch wieder zusammensetzen. Dieses Verstehenwollen und die Reparierbarkeit gehören auch zum Kern des Fairphones. Hinzu kam das Bewusstsein, dass bei der Herstellung dieser Geräte vieles falsch läuft und man das verändern könnte. 

In welchen Bereichen sind Sie selbst ein moralischer Konsument?

Das hängt von der Tagesform und der Situation ab. Ich versuche, möglichst wenig zu fliegen, aber wenn ich mit der ganzen Familie unterwegs bin, ist mir das Zugfahren manchmal zu teuer. Ich kaufe saisonale und regionale Produkte, und ich bin heute viel besser bei der Abfalltrennung als früher. Es macht mir sogar Spass, weil ich weiss, wie viel Gutes ich damit bewirke.

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