Muggeli, rutsch ein wenig rüber», tönt es aus dem Stall. Heu raschelt, ein Schnauben ist zu hören. Jemand lacht. Kurz darauf tritt Julia Willi auf den Vorplatz des Reitstalls Isliker, der am Stadtrand von Winterthur liegt. Hinter Willi tritt nicht etwa ein Pferd aus der Stalltür – sondern eine Kuh: Circe, 14 Jahre alt. Ein Koloss von Tier, das fast so breit wie hoch wirkt und mit seinen 850 Kilogramm gut 14-mal mehr wiegt als seine Besitzerin. Trotz dieser imposanten Erscheinung versieht Julia Willi das Tier auch noch mit weiteren Spitznamen wie «Pflume», «Spätzli» und «Schnuggeli».
Die Kuhflüsterin
Sie schmusen, vollbringen Künststücke und springen gemeinsam über Hindernisse: Julia Willi und ihre Kuh Circe sind ein ungewöhnliches Duo. Und sie führen eine Beziehung, die auch mal mit blauen Flecken endet.

Das ungleiche Duo ist auf dem Weg in die Reithalle. Denn die 17-Jährige Julia hat ein spezielles Hobby: Sie dressiert Kühe und reitet auch auf ihnen. Da sie schon als Kind Reitstunden auf dem Hof nahm und später hier die Ausbildung zur Pferdewartin absolvierte, wusste sie, dass die Besitzer jemanden suchten, der sich um Circe kümmert. Sonst wäre das Tier geschlachtet worden. «Da habe ich gesagt, dass ich mit ihr üben werde.» Die Kuh war schon ein wenig Dressurtraining mit anderen Mitarbeitern gewohnt.
Kuhdressur hat auf dem Hof Tradition. Bruno Isliker, der ehemalige Hofbesitzer, hatte vor 20 Jahren damit begonnen. Er dressierte damals Sybille, die erste «Springkuh» der Schweiz. Mit ihr wurde er in der Fernsehsendung «Wetten, dass …?» sogar zum Wettkönig gewählt.

Eifersucht unter Freundinnen
Das Licht dringt nur spärlich durch die Scheiben der Reithalle. Es riecht nach Mist und Pferden. Circe schmiegt ihren Kopf mit derartiger Wucht an Julias Bauch, dass die junge Frau drei Schritte rückwärts stolpert. Was für die Kuh der Rasse Original Braunvieh Schmusen bedeutet, ist für Julia oft mit blauen Flecken verbunden. «Sie kann ihre Kraft nicht immer so gut einschätzen», sagt sie und muss lachen. Zudem sei Circe sehr eifersüchtig. «Wenn ich mit einer jüngeren Kuh trainiere, wird sie fuchsteufelswild.» Sie habe sie auch schon mit ihren Hörnern in die Seite gepikst, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken. «Das tut dann schon weh.»
Auch das Reiten hat seine Tücken: Es ist anspruchsvoller als auf Pferden, weil Kühe einen geraden Rücken und einen tieferen Rist als Pferde haben. Das bedeutet, dass man trotz Sattel viel weniger Halt hat. Anfangs fiel Willi oft hinunter. «Bestimmt einmal pro Woche. Der Hals befindet sich viel tiefer als bei Pferden, und man kann sich nicht daran festhalten.» Wenn die junge Frau wieder mal hinkend nach Hause kam, fragten ihre Eltern schon gar nicht mehr nach.

Erfolg ist ein hartes Stück Brot
Die Beziehung zwischen ihr und Circe sei «etwas Besonderes», sagt Julia und drückt ihr einen Schmatz auf die Nüstern. «Ich würde sogar sagen, dass sie meine beste Freundin ist.» Kühe seien viel mehr auf nur einen Menschen fixiert als Pferde. «Auch untereinander entwickeln sie Freundschaften, die ein Leben lang halten.» Circe erkennt Julia an deren Schritt, noch bevor sie in ihr Blickfeld tritt. «Sie kommt oft sofort angetrabt. Ich glaube schon, dass ich für sie die wichtigste Bezugsperson bin.» Die enge Beziehung ist auch dafür verantwortlich, dass Circe sich nun auf Julias Kommando auf den Boden der Reithalle legt. Langsam, wie in Zeitlupe lässt sie ihre Vorderbeine einknicken und kommt mit ihrem massiven Körper im Sand zu liegen.

«Die Dressur von Kühen ist schwierig – sie haben einen sturen Kopf.» Julia schätzt, dass Circe 40 Prozent der Kunststücke nur ausführt, weil sie ihr einen Gefallen tun will. «Wenn die Kuh am Boden liegt, dann ist sie mir ausgeliefert. Das ist untypisch für ein Fluchttier.» Die übrigen 60 Prozent der Dressur funktionieren über das Fressen. «Wenn sie über ein Hindernis springt, dann nur, weil sie weiss, dass sie ein getrocknetes Brotstück kriegt. Das liebt sie über alles.» Damit Circe sich auch bei den Shows zuverlässig hinlegt, hat Julia Willi das Kunststück während eines halben Jahres drei- bis viermal pro Woche trainiert.

Manege frei für Kuh Circe
Julia Willi hätte gerne als Pferdewartin auf dem Hof gearbeitet; im vergangenen Sommer hat sie die Ausbildung als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Doch die Stadtzürcherin stellte fest, dass der Lohn zu niedrig und die Arbeit auf lange Sicht zu hart ist. Also hat sie sich für eine zweite Ausbildung entschieden: Derzeit absolviert sie die KV-Lehre bei der Genossenschaft Migros Zürich. Viermal pro Woche geht sie ins Fitnesscenter. Im Sommer will sie sich einen Töff kaufen. «Ich mag es aktiv», sagt sie, während sie Circe für einen Ausritt aus der Halle lenkt.

Mit ihren 14 Jahren gehört Circe schon zum alten Eisen unter Kühen.
Oft würden Spaziergänger das Handy zücken, wenn sie dem Duo begegnen. Böse Kommentare seien aber selten. «Wenn die Leute fragen, ob das der Kuh nicht wehtue, sage ich, dass Circe das nicht mitmachen würde, wenn sie keine Lust dazu hätte.» Dafür sei das Tier einfach zu stur.
Im Frühling muss Julia für eine Weile auf ihr «Muggeli» verzichten: Circe geht mit dem Circus Knie auf Tournee. Sie tritt in einem Sketch mit dem Comedyduo Ursus & Nadeschkin auf. Nadja Sieger alias Nadeschkin hat Circe schon auf dem Hof besucht, damit sie sich kennenlernen. Ein Grund für Julia, eifersüchtig zu sein? «Nur ein wenig.» Ihr sei es wichtig, dass sich jemand um Circe kümmert. Ihrer «besten Freundin» soll es an nichts fehlen.