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Hamsterkäufe

Migros-Logistik leistet Sondereffort

Im Migros-Verteilzentrum Suhr lagern Nahrungsmittel im Wert von 200 Millionen Franken. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Logistikzentrale haben in den letzten Wochen Sonderschichten geleistet und aufs Wochenende verzichtet, um in den Filialen für genügend Nachschub zu sorgen. Jetzt wird auch direkt von den Produktionsbetrieben waren in die Filialen verteilt.

Text Benita Vogel und Michael West
Fotos Roger Hofstetter
Datum
Das Migros-Verteilzentrum Suhr

Den Schaltjahrtag dieses Jahres wird Thomas Gasser nicht so schnell vergessen. Beim Bereichsleiter Logistik des Migros-Verteilzentrums (MVS) in Suhr AG klingelte das Telefon nonstop: «Die Pasta-Regale sind leer. Die Kunden holen uns die Waren beinahe von den Lastwagen», bekam der 39-Jährige zu hören. Ein Engpass bei bestimmten Produkten war in den Filialen an diesem 29. Februar augenfällig geworden. Pasta, Reis oder Konserven, die tonnenweise im Food-Zentrallager der Migros lagern, waren in den Filialen Mangelware. «So etwas habe ich in meiner Karriere noch nie erlebt», sagt der Logistiker, der seine Branche aus dem Effeff kennt und seit gut vier Jahren Bereichsleiter im MVS ist.

Rexhep Murtezi (39), Teamleiter, Schichtleiter Leitstand

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zusätzliche Schichten pro Woche. Mittwochs und samstags gab es neu je eine dritte Schicht, hinzu kamen drei Schichten am Sonntag

«Eigentlich wollte ich mit Kollegen einen Road-Trip durch den Balkan machen. Als wir hörten, dass wir zusätzliche Schichten und das ganze Wochenende arbeiten werden, habe ich die Ferien verschoben. Wir haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Frei-Tagen und den Ferien zurückgeholt und Aushilfen organisiert. Ich war beeindruckt, wie viele sich freiwillig gemeldet haben. Es entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir unterhalten uns oft über das Corona-Virus und vor allem auch, wie wir uns davor schützen können, dennoch finde ich es wichtig, unser Leben nicht davon bestimmen zu lassen.»

Rexhep Murtezi (39), Teamleiter, Schichtleiter Leitstand

Was zu der Zeit niemand wusste: In Suhr liefen die Förderbänder bereits auf Hochtouren. «Wir waren schon eine Woche zuvor im Alarmzustand und beobachteten die täglich grösser werdenden Bestellungen.» Sie werden jeweils automatisch von den Filialen nach Suhr übermittelt und variieren, je nach der Menge, die tagsüber verkauft wird.

Vorräte reichen bis zu einem Jahr

«Als sich abzeichnete, dass der Nachschub aus unserem Lager nicht mehr reichte, um die Abverkäufe in den Filialen zu kompensieren, haben wir reagiert», sagt Gasser. Ein Krisenstab wurde einberufen, der entschied, den Filialen pro Bestellung zusätzliche Mengen zuzuteilen. Fortan bekamen sie, um die Bestände wieder auffüllen zu können, mindestens ein Drittel mehr geliefert, als sie bestellt hatten. «Über die nötigen Mengen verfügen wir – das war nicht das Problem», sagt Gasser. Die Vorräte bestimmter Produkte im Verteilzentrum reichen bis zu einem Jahr. Über 5000 Produkte zu einem Warenwert von 200 Millionen Franken lagern dort.

Natasa Pasero (40), Anlagebedienerin

480 000

Handelseinheiten (mehrere Packungen eines Produkts in einem grösseren Gebinde) wurden an einem Spitzentag verarbeitet, im Normalbetrieb sind es täglich 250 000 solcher Gebinde.

«Wir haben fast doppelt so viele Bestellungen bearbeitet wie an einem normalen Tag. So etwas habe ich in den 18 Jahren, die ich hier arbeite, noch nie erlebt. Ich überwache, dass Multipackungen mit den Produkten für die Filialen richtig auf Paletten platziert werden. Wenn eine Packung vom Roboter beispielsweise nicht richtig abgestellt wird, muss ich die Störung beheben. Ich war etwas nervös und hoffte, dass es nicht zu viele Störungen gibt. Sie können viel Zeit kosten. So kritisch ist die Lage im Moment zum Glück nicht mehr.»

Natasa Pasero (40), Anlagebedienerin

Die grosse Herausforderung für Gasser und sein Team war vielmehr die Zeit: Zwischen dem Eingang der Bestellungen und der Auslieferung verstreichen im normalen Tagesgeschäft bis zu 48 Stunden. Das heisst: Einige Filialen erhielten erst nach zwei Tagen neue Ware, weil nicht alle Filialen gleichzeitig bedient werden konnten. In einer Ausnahmesituation wie dieser dauert das zu lange.

Die höheren Liefermengen pro Filiale blieben nicht die einzige Massnahme. Mit einem Algorithmus wurde – basierend auf dem Bedarf der Filialen – berechnet, welche Lieferungen vorübergehend weggelassen werden konnten. So blieb in den Lastwagen mehr Platz für die stark nachgefragten Produkte. Vor allem aber wurden die Kapazitäten hochgefahren: Die 450 Mitarbeitenden leisteten Zusatzschichten und verzichteten auf das freie Wochenende. «Wir haben die ganze letzte Februar-Woche und die erste März-Woche im 24-Stunden Schichtbetrieb gearbeitet», sagt Gasser. Roboter und Förderanlagen liefen sieben Tage lang pausenlos. Eine besondere Situation – auch für das Personal. Staplerfahrer Ali Cekcu (40) liess beispielsweise das geplante Wochenende mit der Familie sausen, um Lastwagen für die Filialen zu beladen. Schichtleiter Rexhep Murtezi (39) verschob seine Ferien. «Wir waren angespannt, weil wir nicht genau wussten, wie viele zusätzliche Produkte wir verarbeiten und ob wir das mit der gewohnten Zuverlässigkeit schaffen würden», beschreibt er die heisse Phase in Suhr. Glücklicherweise sei die Anlage störungsfrei gelaufen und das Personal sehr motiviert gewesen. Auch Logistik-Chef Gasser ist beeindruckt von der Leistung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: «Viele haben sich spontan für Zusatzschichten gemeldet und sich grossartig eingesetzt. So was geht nur, wenn man ein starkes Team mit allen wichtigen Fähigkeiten vor Ort hat.» Es gab grosse Mengen zu bewältigen: Bis zu 10 000 Paletten pro Tag verliessen das Lager in der letzten Februar-Woche – üblich ist die Hälfte.

Ali Cekcu (40), Staplerfahrer

10 000

Paletten haben das Verteilzentrum an Spitzentagen verlassen, im Normalbetrieb sind es 5500 Paletten.

«Plötzlich musste ich viel mehr Lastwagen mit Paletten beladen. Das spürte ich am Abend vor allem in meinen Handgelenken, weil ich sie zum Gasgeben und Bremsen brauche. Ein mulmiges Gefühl habe ich, wenn Chauffeure aus Italien Waren holen oder bringen. Dort gibt es ja viele Corona-Fälle. Ich halte immer etwas Abstand zu ihnen.»

Ali Cekcu (40), Staplerfahrer

Vollbepackter Lastwagen

Auch die Logistiker der Migros-Genossenschaften und die Filialmitarbeitenden bekommen den Dauereinsatz in Suhr zu spüren. LKW-Fahrer Robert Thalwitzer von der Genossenschaft Zürich ist mit einem zu 100 Prozent gefüllten Fahrzeug unterwegs. «Normalerweise ist der Sattelschlepper weniger stark beladen», sagt der 31 Jährige. Er achtet sehr genau auf das veränderte Fahrverhalten, das der vollgepackte Auflieger mit sich bringt. Die Ware ist in den Filialen heiss begehrt. Mile Jukic (48), Rayonleiter für Pasta in der Migros Affoltern am Albis, sagt: «Penne und Hörnli von M-Classic sind besonders gefragt.» Die Verkaufsregale werden zwei- bis viermal häufiger aufgefüllt als sonst.

Robert Thalwitzer (31), Lastwagenfahrer der Genossenschaft Migros Zürich

100%

Zu 100 Prozent ist der Auflieger von Robert Thalwitzers Sattelschlepper gefüllt.

«Wenn ich am Steuer meines 40-Tonners sitze, blende ich die Aufregung rund um Corona aus. Ich bin dann restlos auf den Verkehr konzentriert, auf einen vorsichtigen Fahrstil und auf die Stationen meiner Tour, die ich auch voll beladen möglichst pünktlich erreichen muss.»

Robert Thalwitzer (31), Lastwagenfahrer der Genossenschaft Migros Zürich

Nur kurze Verschnaufpause: noch höhere Mengen

Zwischenzeitlich gab es im Verteilzentrum Suhr zwar eine Verschnaufpause. Die war aber nur von kurzer Dauer. Inzwischen stehen der Logistik-Chef Thomas Gasser und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder im Dauereinsatz: Nachdem der Bundesrat am Freitag, 13. März 2020 verschärfte Massnahmen wie die Schliessung der Schulen bekannt gab, begann der Run auf Lebensmitteln in den Filialen aufs Neue. In Suhr laufen die Anlagen wieder pausenlos und die Angestellten arbeiten in drei Schichten wieder durch – samt Wochenende. Die Non Stop-Produktion dürfte vorläufig anhalten.  «Wir liefern gesteigerte Mengen an Waren aus», erklärt Gasser. Neu werden die Migros- Filialen zudem mit Produkten direkt ab den Industrie-Betrieben der Migros beliefert, beispielsweise von der Jowa, die unter anderem Pasta herstellt.

Mile Jukic (48), Rayonleiter in der Migros-Filiale Affoltern am Albis ZH

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Etwa zwei- bis viermal so oft wie sonst muss Mile Jukic die Verkaufsregale mit Pasta von M-Classic auffüllen.

«Wir haben mehr mit Bestellungen und mit dem Aufräumen von Verkaufsregalen zu tun als sonst. Ich empfinde die Stimmung im Supermarkt aber nicht als angespannt. Vor Weihnachten oder Ostern ist die Hektik grösser.»

Mile Jukic (48), Rayonleiter in der Migros-Filiale Affoltern am Albis ZH

Gesundheit im Fokus

Logistik-Chef Thomas Gasser ist sicher: «Hätten wir die Kapazitäten nicht hochgefahren, hätten auch Anfang März noch Lücken in den Filialen bestanden.» Heute seien die Filialen gut versorgt. Im Migros-Verteilzentrum hat sich die Arbeitslast denn auch entspannt. Sonntagsarbeit war im März bisher nicht nötig.

Der Fokus liegt nun auf der Gesundheit der Mitarbeitenden des Verteilzentrums Suhr. Die Erholung von den Sonderschichten ist die eine Sorge, das Corona-Virus die andere. «Bei hohen Personalausfällen könnten wir die Landesversorgung zwar sicherstellen, müssten aber unsere Dienstleistungen reduzieren.» Der Betrieb einer solchen Hightech-Anlage benötigt viel Fachwissen. Fällt zu viel Personal aus, ist es schwierig, Ersatz zu finden, weil es in der Wirtschaft an Fachkräften mangelt. Vorsichtsmassnahmen wurden bereits getroffen. Die grosse Betriebs Tagessitzung findet neu online statt. Das Mittagessen im Personalrestaurant wird gestaffelt durchgeführt, um zu grosse Menschenansammlungen zu vermeiden. Ein Teil der Belegschaft arbeitet zu Hause. «Und es gelten die Verhaltensregeln des Bundes.» Weitere Massnahmen sind angedacht: etwa die Messung der Körpertemperatur vor Arbeitsbeginn. Und auch über das Szenario einer Quarantänestation hat Gasser nachgedacht. Eine solche könnte im Notfall auch im Verteilzentrum eingerichtet werden.

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