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Wir sind ganz Ohr

Podcasts liegen im Trend. Nicht nur Medienhäuser erreichen mit ihren Themen ein Publikum, auch Private gehen erfolgreich auf Sendung – wie Jenni Herren, Nadine Sommerhalder und Sereina Tanner mit ihrem «ehrlichsten Mama-Podcast der Schweiz».

Text Lisa Stutz, Monica Müller, Yvette Hettinger
Fotos Dan Cermak
Datum
Podcasterinnnen Sereina Tanner, Jenni Herren und Nadine Sommerhalder mit Baby Juno.

Wenn sich Sereina Tanner, Jenni Herren und Nadine Sommerhalder (von links) übers Elternsein unterhalten, sind die Mikrofone eingeschaltet. Mitten drin: Baby Juno

Alle drei hatten genaue Vorstellungen von ihrer ersten Geburt. Bei allen kam es anders. Sereina Tanner (35) malte sich eine möglichst natürliche Geburt aus. Doch dann brauchte sie in den 36 Stunden alles an Chemie, was das Spital zu bieten hatte. Jenni Herren (36) wollte eigentlich im Geburtshaus gebären. Doch dann musste sie während der Geburt notfallmässig ins Spital gebracht werden. Man empfahl ihr eine Periduralanästhesie (PDA), und schliesslich kam ihr Baby mit Saugglocke zur Welt. Nadine Sommerhalder (34) wollte ihr Kind, wie im Yoga geübt, schön aus sich herausatmen. Doch ihr Sohn lag in einer ungünstigen Position, und wilde Wehen liessen sie das ganze Spital zusammenschreien.

Mit dem Moment, der die drei Freundinnen zu Müttern gemacht hat, beginnt auch ihr Podcast «It’s a mom’s world». Hört man den drei Frauen dabei zu, wie sie ihre Geburten verarbeiten, hat man das Gefühl, man lausche einer intimen Frauenrunde. Sässe man mit ihnen am Küchentisch, man würde auch auspacken.Tatsächlich erleben die drei immer wieder, dass wildfremde Frauen sehr persönliche Erlebnisse mit ihnen teilen. Und sich für den ungeschminkten Einblick in ihren Familienalltag bedanken. Das freut sie sehr. Denn sie wünschen sich, dass ihr Podcast anderen Müttern dabei hilft, sich offener und ehrlicher auszutauschen. In ihrer Bubble sei es ganz normal, über schlaflose Nächte, wunde Nippel und eine sterbende Libido zu sprechen. Aber sie seien da wohl nicht ganz repräsentativ.

Die Drei kennen sich vom Radio

«Von uns modernen Frauen wird erwartet, dass wir im Job Gas geben, unsere Beziehung und Freundschaften pflegen und in der Rolle als Mutter aufgehen», sagt Nadine. «Das ist ein bisschen viel aufs Mal», ergänzt Jenni. Die drei lachen. Ob man Babys stille, sich eine längere Elternzeit leiste oder Kinder in der Kita betreuen lasse – jeder dieser sehr persönlichen Entscheide werde ständig von anderen bewertet. Ein Like, kein Like. Befinde man sich gerade in einer sensiblen Phase, habe man schnell das Gefühl: «Ich mache alles falsch», so Sereina.

Sereina Tanner, Jenni Herren und Nadine Sommerhalder haben sich bei Radio 24 kennengelernt. Auf Anhieb verstanden sie sich gut. Dass sie gleichzeitig ins Abenteuer Familie eingestiegen sind, hat sie zusammengeschweisst. Jede Woche treffen sie sich mit ihren Kindern Jari (3), Nilo (2), Joko (2), Nikka (2) und Juno (2 Monate) privat. Einmal im Monat nehmen die Väter die Kinder und die Frauen realisieren zwei neue Podcast-Folgen.

Podcasts boomen, weil sie dem Zeitgeist entsprechen

Dass die drei Freundinnen sich ausgerechnet das Format Podcast ausgesucht haben, liegt für sie auf der Hand. Zum einen sind die erfahrenen Radiomacherinnen Profis, wenn es darum geht, spannende Gespräche zu führen. Zum anderen passt kein anderes Medium besser in ihre aktuelle Lebensphase. «Als Mutter fehlen dir immer ein paar Hände», sagt Jenni. In der Zeitung lesen? Über das Smartphone wischen? In einem Buch blättern?mFehlanzeige. Aber das Ohr, das ist noch frei.

Podcasts haben weltweit eine wachsende Fangemeinde. Wer zuhört, hat die Hände frei und lässt die bildschirmgestressten Augen für einmal ruhen. Podcast-Begeisterte können auf iTunes inzwischen aus 750 000 Podcast-Titeln auswählen. Täglich werden es mehr. Promitalks, Hörspiele, Dokumentationen, Ratgeber. Es geht um medizinische Sensationen und sensationelle Erfindungen, schwere Verbrechen oder leichte Küche. Es gibt Erstaunliches, Ungaubliches, aber auch erschreckend Banales, und natürlich zahllose Tipps – für smartes Leben, guten Sex, grandioses Versagen oder stilvolles Trauern.

Jeder kann einen Podcast erstellen

In den USA kann man mit Podcasts bereits Geld verdienen, und der Streamingdienst Spotify tüftelt an personalisierter Werbung. Sommerhalder, Tanner und Herren betreiben ihren Podcast privat und verdienen dabei nichts. Pro Folge verzeichnen sie 1000 Downloads, was für einen privaten Podcast in der Schweiz, der nicht monetär betrieben ist, viel ist. Sollte ein idealer Partner auftauchen, könnten sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen – sofern sie inhaltlich unabhängig bleiben.

Eigentlich kann jeder mit einem Smartphone einen Podcast erstellen und ausstrahlen. Für ein gutes Hörerlebnis empfehlen Expertinnen und Experten allerdings die Aufnahme in einem Studio und eine sorgfältige Bearbeitung. Hier kommt den Radiofrauen ihre Berufserfahrung zugute. Und auch eine weitere Voraussetzung für Erfolg erfüllen sie: Sie sind authentisch und ihre Zuhörerinnen und Zuhörer nahe dran. Sehr nahe sogar.

Wenn das Baby mit der Ambulanz ins Spital gefahren werden muss

Als Jenni Herren nach der Geburt ihrer zweiten Tochter ganz alleine im Geburtshaus lag, weil das Baby mit der Ambulanz in die Neonatologie gefahren werden musste, war Sereina Tanner bei ihr. Über die bangen Stunden ohne ihr Baby haben sie einige Tage später im Spital gesprochen. Jenni Herren überlegte lange, ob sie das aufgenommene Gespräch auch im Podcast senden lassen wollte. Schliesslich entschied sie sich gemeinsam mit ihrem Mann dafür.

Die Partner der Podcasterinnen finden das Projekt toll. Jennis Mann Marius äussert sich als Gast in der Folge «Sexy Time» zur Erotik in ihrer Beziehung, seit Kinder dazugekommen sind. Und Sereinas Partner hat sich die erste Folge «Plötzlich bist du Mama» bereits fünf Mal angehört – um diesem einschneidenden Moment nachzuspüren. So ist der Podcast für die Macherinnen und ihre Männer nebst einem Herzensprojekt auch ein ganz persönliches Zeitdokument. 

Unsere Tipps

Diese Podcasts musst du kennen

«SOS – Sick of Silence», Robin Rehmann, SRF:

Es kommen junge Menschen zu Wort, die vom Schicksal ausgebremst wurden. Nicht jeder traut sich, offen über Krankheit und Schicksalsschläge zu sprechen. Ihre Geschichten werden von Schauspielern erzählt. Hier geht's zum Podcast.

«Chrut und Rüebli», Migros:

Wie schmeckt Fleischersatz? Was heisst Zero Waste? Was kann ich für den Klimaschutz tun? Der Nachhaltigkeitspodcast klärt in Häppchen von etwa 15 Minuten über Umweltthemen auf und stellt die Menschen dahinter vor. Hier geht's zum Podcast.

«Baywatch, Berlin», Heufer-Umlauf, Schmitt und Lundt:

Das Konzept der Sendungen ist unklar, aber das Ergebnis sehr lustig. Auch, weil die drei Talker über sich selbst kichern können. Dass der Zuhörer sich wie die Kugel im Flipperkasten vorkommt, ist Absicht. Hier geht's zum Podcast.

«Kafi am Freitag», Kafi Freitag und Sara Satir:

Die beiden Frauen sind seit 2004 befreundet – sie haben sich im Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt. Zusammen gehen sie seither durch Höhen und Tiefen. In ihren Gesprächen sind sie ungefiltert ehrlich. Hier geht's zum Podcast.

«Der Einschlafen Podcast», Toby Baier:

«Ich hoffe, ich langweile dich zum Einschlafen!», erklärt der deutsche Informatiker und Familienvater. Seit acht Jahren lullt er seine Hörer erfolgreich in den Schlaf. Worüber er spricht, erfährt nur, wer lange genug wachbleibt. Hier geht's zum Podcast.

«Ratgeber», SRF 1:

Ein Thema, fünf Minuten: In schnell konsumierbaren Beiträgen werden hier Fragen des Alltags abgehandelt. So kurz die Sendungen sind, so breit ist das Spektrum der Inhalte: Sonnenbrillen, Fieber, 3-D-Drucker, Frühblüher oder richtiges Atmen. Hier geht's zum Podcast.

«Gemischtes Hack», Felix Lobrecht und Tommi Schmitt:

Zwei deutsche Jungs – der eine ist Comedian, der andere Comedy-Autor. Entsprechend humorvoll sind ihre Dialoge, die sich um alles Mögliche drehen. Immer mittwochs ist «Hacktag» – dann erscheint eine neue Folge. Hier geht's zum Podcast.

«Escapism», Julian Thorner:

Der Radiomoderator lädt Menschen ein, die etwas bewegen. Sie nehmen in seinem Wohnzimmer Platz und reden über Gott und die Welt, Pick-up-Trucks und Popkultur – und alles dazwischen. Immer inspirierend, nie langweilig. Hier geht's zum Podcast.

«Paardiologie», Charlotte Roche und Martin Kess-Roche:

Niemand bespricht seine Beziehung vor so vielen Zuhörern. Das Ehepaar redet über Sex, Geld und Spülmaschinen. Und immer geht es um die eine Frage: Kann die Liebe in einer langen Beziehung überleben? Hier geht's zum Podcast.

«Edi – Leben am Limit», SRF:

Der ehemalige Verbrecher Edi erzählt, wie es zu seinem Achterbahnleben kam. Spannend auch die Gespräche zwischen den Journalistinnen Sabine Meyer und Patricia Banzer. Sie haben den Fall Edi gründlich recherchiert. Hier geht's zum Podcast.

«KrimiKiosk», Verlag Petra Weber:

Hier werden wahre und erfundene Kriminalfälle in unterschiedlicher Länge präsentiert. Erfinderin und Moderatorin Henrietta Pazzo braucht nur
ihre eindringliche Stimme, um den Zuhörern Schauer über den Rücken zu jagen. Hier geht's zum Podcast.

«GDI-Podcast», Gottlieb-Duttweiler­Institut:

Der Zukunfts-Think-Tank erforscht Trends im Handel, Konsum und in der Gesellschaft und berichtet darüber im Podcast kurzweilig und leicht verständlich. Ganz nebenbei lernen die Hörer etwas über die Wirtschaft. Hier geht's zum Podcast.

«Wahrheit, Wein und Eisenring», Tamedia:

Sex, Drogen, Tod: In ihrem Promi-Talk spricht die Journalistin Yvonne Eisenring ausschliesslich Tabuthemen an. Dabei stehen ihr Giacobbo, Pesenti, Basman und Co. erstaunlich offen Rede und Antwort. Hier geht's zum Podcast.

Interview mit Podcast-Pionier Nico Leuenberger

«Den Güsel-Podcast würde ich mir anhören»

Podcast-Pionier Nico Leuenberger (36) aus Winterthur.
Podcast-Pionier Nico Leuenberger (36) aus Winterthur.

Der Podcast süchtige Nico Leuenberger kennt das hippe Sendeformat von der Pike auf. Als Gründer der Podcast-Schmiede weiss er ganz genau, wer unbedingt einen Podcast haben muss und wie man die Hörer bei der Stange hält.

Nico Leuenberger, täuscht der Eindruck, oder bietet im Moment jeder einen Podcast an, der irgendwie mit Kommunikation zu tun hat?

Es ist tatsächlich ein Hype. Das Angebot wächst rasant, die Hörerschaft auch. Das Gute daran: Es hat auch entsprechend häufiger gutes Material dabei.

Podcasts gibt es seit 2003. Woher kommt jetzt der Hype?

Sprachassistenten haben ihnen einen gehörigen Schub verliehen: Um einen Podcast zu konsumieren, muss man heute nicht mal mehr die Hände freihaben. Ich kann Brotteig kneten und Siri sagen, mir «Echo der Zeit» ­abzuspielen. Es ist auch Ausdruck einer Gegenbewegung: weg von den Bildschirmen, hin zu Hörerlebnissen. Nicht zuletzt hat der sensationelle amerika­nische Podcast Serial für unzählige Nachahmer gesorgt.

Wer hört sich denn all das Material an?

Studien haben die häufigsten Podcast-Hörer als 25- bis 45-jährig definiert. Sie sind überdurchschnittlich gebildet und haben ein ebensolches Einkommen. Sie sind gut informiert und breit interessiert. Das ergibt eine recht grosse Masse.

Wer kommt nicht mehr ohne eigenen Podcast aus?

Von einem Start-up wird heute einfach erwartet, dass es einen Podcast hat. Medienhäuser springen natürlich auch auf, das macht Sinn. Coaches und Berater können über dieses Format Kunden gewinnen. Auch immer mehr Verbände kommen auf den Geschmack. Gerade produziere ich einen Podcast für den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.

Bei wem funktioniert ein Podcast bestimmt nicht? Kann etwa die Müllabfuhr oder eine kantonale Verwaltung darauf verzichten?

Also den Güsel-Podcast würde ich mir auf jeden Fall anhören, wenn er gut gemacht ist. Die Fragen hinter jedem Podcast sind immer: Was hat man zu sagen? Und was will man damit erreichen? Übrigens kann man auch mal einfach eine kleine Serie erstellen, nicht jeder Podcast muss unendlich viele Folgen haben. Wie «Zündstoff» von der «Republik»: Nach fünf Folgen war Schluss, die Geschichte war erzählt. 

Kann man mit Podcasts Geld verdienen?

Das ist immer noch schwierig. Um einen Sponsor zu finden, braucht man eine grosse Reichweite, dafür ist der Markt in der Schweiz noch zu klein. Hier ist ein privater Podcast mit einigen 100 Hörern schon erfolgreich, ein kommerzieller mit mehreren 1000. Indirekt verdient man Geld mit Podcasts, wenn man Produkte anpreist und deren Umsatz steigern kann. Am besten betreibt man einen Podcast als Hobby oder Kommunikationsmittel.

Wo brauchen die Kunden ihrer Podcast-Schmiede am meisten Unterstützung?

Das Thema ist immer: Wie schaffen wirs, gehört zu werden? Wie finden wir Hörer, und wie wächst das Publikum?

Und wie gelingt das?

Ohne Konzept geht es nicht. Hinter einem guten Podcast steht viel mehr Planung, als beim ­Hören zu spüren ist. Dann braucht es gute Geschichten und eine möglichst charismatische Persönlichkeit, die sie erzählt. Sehr wichtig ist die Authentizität – der Hörer spürt, ob etwas ernst gemeint ist oder nicht. Ein guter Podcast-Macher weiss auch, wie lange seine Hörer Zeit haben, um ihm zuzuhören. Er muss aufhören können, bevor das Publikum abhängt.

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