Hat ein dunkelhäutiger Teenager es heute also leichter als Sie damals?
Schwer zu sagen. Der Druck in der Arbeitswelt ist heute eher höher, und ich bin nicht mit pausenlosen SVP-Kampagnen aufgewachsen, die einem ständig signalisieren, nicht dazuzugehören. Auf der anderen Seite gibt es heute in den Quartieren und auf den Schulhausplätzen eine Art postmigrantische Kultur und Gemeinschaft – das gab es früher weniger. Und daraus entsteht nun auch Gegenwehr. Die Schweizer Demonstra-tionen zu «Black Lives Matter» haben mich schwer beeindruckt. Da engagierten sich 20-Jährige mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit. Generell gab es einen Ruck durch die Gesellschaft – ich laufe heuteanders durch Bern als vorher.
Tatsächlich? Dann könnte sich diesmal wirklich etwas bewegen?
Ich hoffe es. Die Demos haben auf jeden Fall mehr Sichtbarkeit und Resonanz als üblich gebracht. Und eine neue Generation junger Menschen engagiert sich hier und vielerorts auf der Welt, um die Gesellschaft zu verändern – sei es nun bezüglich Klimawandel, Feminismus, politischer Rechte oder Rassismus. Das macht Hoffnung; fast alle gesellschaftlichen Fortschritte in der Schweiz wurden von solchen Bewegungen ausgelöst. In der Schweiz wurde Teilhabe niemandem geschenkt, nicht den Katholiken, nicht der Arbeiterbewegung, nicht den Frauen. Die Frage ist, wie diese Forderungen nun von der Strasse in die Institutionen getragen werden können, damit sich die politische Kultur tatsächlich verändert. Vergessen wir nicht: Ein Viertel der hiesigen Bevölkerung ist von der demokratischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Und das ganz bewusst: Die Schweiz hat die höchsten Einbürgerungsschranken Europas.
Auch beim «Schwarzenbach-Komplex», ein Projekt, das das Sie mittragen, wird die Frage gestellt: Wer gehört zur Schweiz?
Ja, und wer entscheidet darüber? Faktisch gehören die 25 Prozent ohne politische Mitsprache nicht dazu. Sie bezahlen Steuern und können nicht bestimmen, wie das Geld verwendet wird. Ist das wirklich richtig? Wem das Gefühl gegeben wird, nicht dazu zu gehören, der ist weniger motiviert, sich einzubringen und für das Land zu engagieren. So gesehen nutzt die Schweiz ihr Potenzial nicht. Dabei hätte sie mit ihrer reichen multikulturelle Tradition mit vier Sprachregionen die besten Voraussetzungen, auch die migrantischen Minderheiten einzubinden und die Vielfalt des Landes besser abzubilden und zu nutzen.
Weshalb fällt das so schwer?
Vermutlich weil einige Leute Pfründe und Privilegien abgeben müssten. Und wer tut das schon gern? Aber wir sollten uns diesen Auseinandersetzungen stellen, nur so lässt sich das Land und seine Innovationskraft erneuern. Konkret würde das heissen, die Schweiz als Einwanderungsland mit einer kolonialen Geschichte anzuerkennen und die Karten der Teilhabe neu zu mischen. Das wäre eine Riesenchance – macht aber vielen Angst. Ich kann die Angst nachvollziehen, aber gehört das nicht zur Veränderung?
Immerhin scheint es auch in der Schweiz nun Bewegung zu geben.
Ich bin optimistisch, es tut sich was. Entscheidend jedoch ist, erst mal durch diese Teflonschicht zu dringen, damit überhaupt allen klar wird, dass Rassismus ein gesellschaftliches Problem ist.