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Wildgarten

Wo die wilden Bienen wohnen

Die «Gartenwildnis Agasul» im Zürcher Oberland ist eine Oase der Biodiversität und ein Zufluchtsort für Insekten: Wildblumen und Nistplätze locken die Tierchen in Scharen an. Was hier vorgelebt wird, können auch Balkonbesitzer nachmachen – mit den richtigen Pflanzen- und Pflegetipps.

Text Yvette Hettinger
Fotos Tina Steinauer
Datum
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Gelebte Artenvielfalt: Der wilde Garten in der Zürcher Oberländer Gemeinde Agasul

Geil!, könnte man beim Anblick von Dani Pelagattis Garten denken: Einfach nicht mehr jäten, dann sieht es irgendwann so aus. Das 1500-Quadratmeter Areal in Agasul ZH versinkt förmlich in einem Meer aus bunten Wildblumen. Dottergelbe Färberkamille und blaugraue Tauben Skabiosen leuchten da, Natternkopf reckt sich neben Nachtkerzen in die Höhe. Wicke windet sich durch Nachbarsgewächse wie Storchenschnabel, Hornklee, Brennnessel, Wilde Möhre, Mohn und Disteln.

Was sich andere fleissig vom Leib halten, kultiviert Hobbygärtner Dani Pelagatti (48) hier gezielt. «Ja, ich säe Unkraut», sagt er, während er durch seine mannshohe Wildnis führt, in der es unaufhörlich summt. Allerdings: einfach wachsen lassen gehe dann doch nicht.

Gemeinsam mit seinem Partner Sander Kunz (42), der als Kulturvermittler arbeitet, hat er die Liegenschaft vor vier Jahren übernommen; seither wecken sie die Fläche mit viel Einsatz aus ihrem Dornröschenschlaf, um Artenvielfalt und Insektenfreundlichkeit zu ermöglichen. «Wir mussten richtig roden.» Dann galt es, den Boden zu öffnen, denn auch Wildbienen sollten sich hier wohlfühlen; viele nisten in der Erde. «Ein Kraftakt», sagt Pelagatti rückblickend, und sein Partner fügt an: «Hacken, hacken, hacken.»

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Dann legten die Männer den Garten an, Ast- und Steinhaufen kamen hinzu, Totholz und Nisthilfen: Was in den vergangenen Jahren landläufig als «Bienenhotel» bekannt wurde, beansprucht in Agasul eine ganze Wand mit zahlreichen Nistgelegenheiten.

Irgendwo auf Kniehöhe ist ein Surren zu vernehmen. Dani Pelagatti bückt sich. Ein zentimeterlanger Brummer ist im Anflug: fetter, schwarz glänzender Leib, blau oszillierende Flügel. Das Tier schwankt ein wenig, bleibt kurz in der Luft stehen und stürzt sich dann kopfvoran in die pinkfarbene Blüte des Muskatellersalbeis. «Schwarzblaue Holzbiene», sagt Pelagatti und richtet sich wieder auf, während das Insekt vor seinen Augen ein Blütenstaubbad nimmt.

Tiere und Pflanzen interessieren den wissenschaftlichen Illustrator und Naturfreund seit Kindesbeinen. In seinem Garten kommen und gehen heute unzählige Amphibien, Vögel und Insekten, darunter zahlreiche Schmetterlinge und gut 60 Bienenarten.

Lockende Pflanzen. Einige Pflanzen sind wahre Insektenmagnete. Man kombiniere diverse Arten – und staune …

Hotspot für Bienen und Besucher

Etwa 600 Wildbienenarten gibt es in der Schweiz. Im Gegensatz zu den Honigbienen leben sie meist als Einsiedler. Allerdings sind auch sie bedroht, was für die Landwirtschaft ein Problem ist: Für die Bestäubung von Nutzpflanzen sind Wildbienen sogar noch wichtiger als Honigbienen. Deshalb haben sich 42 europäische Organisationen der Erforschung der Wildbienen angenommen, darunter die eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope. Sie untersucht die verschiedenen Faktoren, die die Bienengesundheit beeinflussen, und forscht zurzeit intensiv über die Wirkung von Pflanzenschutzmitteln auf weibliche Mauerbienen und deren Nachwuchs. Das Ziel ist, die Lebensbedingungen für Bienen zu verbessern und den Bestand sicherzustellen. Denn Wildbienen brauchen ganz bestimmte Blütenpflanzen, um überleben zu können.

Welche Wildbienen leben überhaupt in meiner Nähe?
Auf der Onlineplattform «FuturePlanter» erfährt man es. Hier kann man sich bienenfreundliche Pflanzen passend zum Standort empfehlen lassen.

Stechen Wildbienen?
Nur, wenn sie sich massiv bedroht fühlen, also von Fingern oder Füssen gequetscht werden oder zwischen Kleidung und Haut geraten. Der Schmerz durch die Stiche ist gering und hält nur kurz an. Gefährlich ist ihr Stich nur für Wildbienenallergiker.

Machen Wildbienen Honig?
Nein. Sie sammeln zwar Nektar und Pollen, brauchen diese aber sofort als Treibstoff und für kleine Vorräte an sogenanntem Pollenbrot, mit dem sie ihre Nachkommen versorgen. Im Gegensatz zu Honigbienen leben sie nicht in grossen Völkern, die es mit Honigvorräten über den Winter zu bringen gilt.

 

In der Gartenwildnis in Agasul ist indes kein Bienensterben festzustellen – im Gegenteil. «Ich glaube, wir sind für einige Arten eine rettende Insel», sagt Dani Pelagatti. Naturschützer bescheinigen ihm immer wieder, dass eine solche Insektendichte aussergewöhnlich sei.Und so lockt der Garten im Zürcher Oberland nicht nur die Tierwelt an. Seit er unter dem Namen «Gartenwildnis Agasul» auf Instagram zu sehen ist, pilgern Flora- und Faunafans aus allen Ecken des Landes in das Dorf im Zürcher Oberland – die meisten von ihnen im Sommer, wenn Pelagatti und Kunz anlässlich des «offenen Gartens» auch wildfremden Besuch willkommen heissen. Dann führt Pelagatti gerne durchs Reich und erklärt, was da fleucht und kreucht. Die Kommentare reichen von «Schön, aber das will ich zu Hause lieber nicht» bis zu «Wo gibt es dieses Saatgut?».

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Bis die Liegenschaft zum Erblühen kam, mussten Dani Pelagatti (links) und Sander Kunz kräftig Hand und Gartenwerkzeug anlegen.

Das Know-how hat Pelagatti durch Beobachten, Fachliteratur und den Austausch mit Experten erworben. An die 900 Pflanzenarten gedeihen bei ihm. Ein Hardliner sei er aber nicht. «Das Klima ist im Wandel, und ich beobachte, was das für die Natur im Garten bedeutet.» Getreu dem Motto «Ein Naturgarten ist kein Naturschutzgebiet» sät er munter Samen unterschiedlicher Herkunft in seinen Experimentierbeeten aus.

Regelmässig müssen die beiden aber auch eingreifen, um allzu wuchsfreudige Arten zu dezimieren. «Beetpflege beansprucht einen grossen Teil unserer Gartenzeit», verrät Dani Pelagatti. Einfach wachsen lassen geht eben doch nicht.

So engagiert sich die Migros

Ein Insektenhotel findet auf jedem Balkon Platz und bietet auch Mauerbienen ein Zuhause. Bauanleitung auf blog.doitgarden.ch.
Fertige Wildbienenhäuser kann man auch bestellen.

Wildbiene + Partner profitiert von der Sammelaktion «Nature Heroes», die im Frühling in der Migros stattfand.

Die Migros fördert biologisches Gärtnern und baut das Sortiment an Bio-Gartenprodukten stetig aus. So ist es ihr Ziel, bis Ende 2020 mit Produkten des Labels «Migros-Bio Garden» einen Anteil von 25 Prozent am Umsatz des Pflanzenpflegesortiments zu erreichen. Im Juni 2020 war das Ziel bereits übertroffen mit einem Anteil von 29,5 Prozent.

Was kann man selber im Garten oder auf dem Balkon für die Biodiversität tun? Praktische Tipps – zusammengestellt von «Plattform Bienenzukunft», einem von Engagement Migros unterstützten Projekt – finden sich auf der Website des Förderfonds der Migros-Gruppe, daneben auch Wissenswertes rund um Honig- und Wildbienen.

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