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Coronaleugner

Wenn das Virus die Familie spaltet

Was tun, wenn die eigene Partnerin oder der Sohn an Verschwörungstheorien glaubt? Wenn die Diskussionen die Familie belasten? Drei Angehörige erzählen.

Text Barbara Lukesch
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Corona, ein einziger, grosser Beschiss? Solche Diskussionen können Familie spalten. (Bild: iStock)

Corona, ein einziger, grosser Beschiss? Corona-Verschwörer sind eine Gefahr für den Familienfrieden. (Bild: iStock)

Karl Forster* gerät in Rage und verwirft die Hände: «Irgendwann habe ich meiner Frau sagen müssen, ‹entweder du hörst auf, mich mit deinen Verschwörungstheorien zu terrorisieren, oder ich laufe davon›.»

Kaum hatte die Pandemie begonnen, wusste Ursula Forster, dass Corona «ein einziger Betrug» sei und Impfen des Teufels, weil die Gefahr bestehe, mit Nanopartikeln verseucht zu werden. Ausserdem habe Klaus Schwab, der Gründer des Davoser Weltwirtschaftsforums WEF, mit seinem Slogan «The Great Reset» ja mehr als deutlich gemacht, was die Mächtigen planten: den grossen Umsturz nämlich.

Diskussionen mit ihr, erzählt der 66-Jährige, seien seither zum Scheitern verurteilt. Sie werfe alle Argumente in einen Topf, schwammig, wirr und widersprüchlich, verurteile alle und alles in Bausch und Bogen und sei gleichzeitig völlig immun gegenüber seinen Einwänden: «Alles, was ich sage, prallt an ihr ab wie an einer schwarzen Wand.» Sein Widerspruch reize sie höchstens zu der Drohung: «Warte nur ab, du wirst schon sehen!»

Sie sei diejenige, die wisse, was wirklich laufe. Das versuche sie ihrer Umgebung mit missionarischem Eifer kundzutun. Eingefleischten Coronaskeptikern, von der ehemaligen deutschen Fernsehmoderatorin Eva Hermann über Ärzte wie Pietro Vernazza bis zum deutschen «Corona-Ausschuss», glaube sie im Internet einfach alles.

In der Existenz bedroht

Dass sie dermassen anfällig für dieses Gedankengut sei, könne er zu einem Teil verstehen. Als Besitzerin einer kleinen Galerie sei sie vom Lockdown massiv betroffen: «Die finanziellen Einbussen gehen in die Zehntausende von Franken und bedrohen sie existenziell.» Gleichzeitig leide sie unter einer unheilbaren, aber kontrollierbaren Krankheit.

Nachdem sie nur schlechte Erfahrungen mit der Schulmedizin gemacht habe, sei sie bei einem «Arzt für Ganzheitsmedizin» endlich auf Hilfe gestossen: «Das hat ihr Weltbild stark geprägt und den Boden für ihre Vorbehalte gegenüber die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Bundesamt für Gesundheit BAG und Alain Berset bereitet.» Karl Forster putzt sich die Nase und macht eine kurze Pause: «Im Grunde haben Ursula und ich das Heu auf derselben Bühne, uns verbindet sehr viel. Aber bei diesem Verschwörungszeugs muss ich Grenzen ziehen, um mich, mein Wohlbefinden, aber letztlich auch unsere Beziehung zu schützen.»

Die Erde eine Scheibe?

Yvonne Meierhofer* will nur eins: im Gespräch mit ihrem Sohn bleiben. Eines Tages realisierte sie, dass sich der 20-Jährige Gedanken dazu machte, ob Bill Gates wohl versuche mit Covid-19-Impfungen die ganze Welt zu beherrschen, indem er den Menschen sogenannte Nanobots appliziere. Da erschrak sie. Ihr Sohn dachte darüber nach, ob die Erde keine Kugel sei, sondern eine Scheibe. Yvonne Meierhofer begann sich grosse Sorgen zu machen.

Damit reagierte sie wie die meisten Angehörigen von Menschen, die sich von Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern angezogen fühlen. Ob Eltern, Grossmütter, Ehemänner, Onkel oder Patentanten: sie befürchten, ihre Liebsten könnten ausge­grenzt werden, Freundschaften oder gar den Arbeitsplatz verlieren und in eine schwere persönliche Krise geraten. Fieberhaft überlegen sie, wie sie den Betroffenen helfen könnten.

Yvonne Meierhofer merkte schnell, dass es überhaupt keinen Zweck hatte, ihrem Sohn zu widersprechen oder ihn gar zu belehren. Dann sei er in Opposition gegangen: «Mir aber ist es enorm wichtig, mit ihm in Verbindung zu bleiben – im Wissen, dass junge Menschen wie Matthias fast niemanden haben, der unvoreingenommen mit ihnen redet.»

Es entspreche ihrer Grundhaltung, verstehen zu wollen, was die Menschen bewege, statt sie zu schubladisieren, so im Sinne von: «Verschwörungs­theoretiker? Deckel drauf!» Sie nehme jede Gelegenheit wahr, um Matthias zuzuhören, schaue sich auch einen Teil seiner Videos an oder informiere sich selber im Internet. Gewisse Ideen leuchteten ihr auch ein. Schliesslich liege in unserer Welt so vieles im Argen, da könne sie seine Skepsis gegenüber den Mächtigen gut verstehen.

Kommt dazu, dass der Zwanzigjährige unter dem Aspergersyndrom leidet und ähnlich wie Ursula Forster «miserable Erfahrungen mit der Schulmedizin gemacht hat». Kein Wunder, begegne er Ärzten mit grosser Skepsis. Dessen ungeachtet gibt sich Yvonne Meierhofer überzeugt, dass Matthias, nicht zuletzt dank dem Austausch mit ihr, in der Lage sei, seine Ansichten kritisch zu überprüfen und mit der Zeit Distanz zu gewinnen.

Es droht der Arbeitsplatzverlust

Susanne Mittler* liebt ihre 28-jährige Enkelin Rosa über alles und verfolgt mit Freude, wie beliebt und erfolgreich die junge Frau in ihrem Beruf als Lehrerin ist. Mit dem Ausbruch der Pandemie aber driftete Rosa so massiv in Verschwörungstheorien ab, dass ihre Grossmutter nur noch fassungslos und schockiert war: «Bill Gates ist des Teufels, die WHO eine Bande von Lügnern, Schutzmasken ein Verbrechen an Kindern.» Die 72-Jährige seufzt und lässt erahnen, wie gross ihre Verzweiflung ist: «Zu allem hin ist sie überzeugt, dass alle, die nicht an diesen Wahnsinn glauben, eines Tages einen schrecklichen Preis zahlen werden.»

Den höchsten Preis zahle allerdings die junge Frau selber. Seit Monaten verfolgten sie Panik, Angstzustände, Schlaflosigkeit und Alpträume. Dazu riskiere sie ihren Arbeitsplatz, weil sie alle Schutzmassnahmen verweigere und jeden, der ihr über den Weg laufe, von ihren wirren Theorien zu überzeugen versuche. Was tun? Die Grossmutter hat es immerhin geschafft, ihrer Enkelin eine Psychotherapeutin zu vermitteln, mit der sie jetzt regelmässig telefoniere und – «hoffentlich» – etwas Abstand von ihrer schwierigen Situation gewinnen könne.

Gefragt, wie sie sich Rosas Abdriften erkläre, holt Susanne Mittler etwas aus. Rosa habe eine schwere, von viel Gewalt überschattete Kindheit gehabt und verfüge allen beruflichen Erfolgen zum Trotz über wenig Selbstvertrauen. Da seien die Verschwörungstheoretiker wie gerufen gekommen, die ihr ein verlockendes Angebot gemacht hätten: «Komm zu uns, und du gehörst zu den Auserwählten, ja, den Weisen, die den Durchblick haben und mehr wissen als alle anderen.»

Susanne Mittler stöhnt hörbar: «Dieser Versuchung konnte sie nicht widerstehen.» Um so wichtiger sei es, dass sie jetzt Alternativen finde, die sie stärker faszinierten, beispiels­weise in Form einer zusätzlichen Ausbildung, die sie interessiere und ihr Freude bereite: «Ich hoffe inständig, dass ihr das gelingt.»

*Alle Namen geändert

Peter Schneider, Psychoanalytiker und Schriftsteller

(Bild: SRF/Oscar Alessio)

Peter Schneider

«Das ist eine Form von Sucht»

Peter Schneider, Psychoanalytiker und Verfasser des Buchs «Follow the Science», das sich dem Thema Verschwörungstheoretiker widmet, ordnet das irritierende Phänomen ein.

Peter Schneider, was würden Sie tun, wenn Ihr 30-jähriger, bisher unauffälliger Sohn zum Verschwörungstheoretiker würde?
Boah. Ich wäre total verzweifelt. Vielleicht wäre die pragmatischste, aber auch ehrlichste Art, ihm diese Verzweiflung zu zeigen und damit an sein schlechtes Gewissen zu appellieren. Dafür ist er Gott sei Dank sehr empfänglich. Darüber hinaus würde ich versuchen, mit ihm im Gespräch zu bleiben. Ich würde verstehen wollen, was da bei ihm abgeht.

Lassen sich die Betroffenen mit Hilfe von Fakten von ihren Theorien und Wahnideen abbringen?
Ich befürchte nein. Zurzeit wird ja verlangt, der Wissenschaft mehr Bedeutung einzuräumen und Vertrauen zu schenken. Aber die Wissenschaft liefert nur bedingt Fakten, die einen Corona-Skeptiker wirklich überzeugen können. Dass die Erde in Wahrheit eine Kugel ist, haut niemanden von diesen Leuten vom Hocker.

Warum haben Verschwörungstheorien gerade jetzt Hochkonjunktur?
Als treibender Faktor spielt sicher der Lockdown eine Rolle, der die Leute dazu bringt, stundenlang einsam und allein vor dem Computer zu sitzen. Auf diesem Weg stossen sie nicht nur auf Verschwörungstheorien, sondern finden auch «Freunde» und fühlen sich in einer Gemeinschaft aufgehoben. Die Pandemie wirkt dabei wie ein grosses Dach, unter dem sich ganz unterschiedliche Menschen versammeln können und das ihnen so etwas wie einen politischen Rahmen verleiht.

Es heisst, diese Theorien hätten eine so grosse Faszination, weil sie vorgeben, etwas erklären zu können, was bisher nicht erklärbar ist – die Corona-Pandemie nämlich. Das wirke beruhigend.
Daran habe ich meine Zweifel. Schauen Sie sich nur einmal den veganen Starkoch Attila Hildmann an, der wirkt alles andere als beruhigt auf mich. Was er ausstrahlt, ist eine rechte Portion Grössenwahn. Und das hat er meiner Einschätzung nach mit den meisten Verschwörungstheoretikern gemeinsam: Sie halten sich für die Durchschauer, während sich alle anderen für dumm verkaufen lassen. Auf diese Weise stellt sich natürlich schnell das Gefühl ein, dass man endlich einmal seine persönlichen Defizite stopfen kann. Was für ein narzisstischer Gewinn!

Das klingt, als handele es sich um eine Sucht.
Das ist auch so, und entsprechend schwierig ist der Ausstieg. Diese Leute würden ja nicht nur ihre «Freunde» verlieren, sondern auch eine Form des Denkens, eine Weltsicht. Wer sich von QAnon abwendet, muss für sich mühsam ein neues Weltbild entwerfen. Und dass es in dieser Welt vielerorts nicht zum Besten steht, ist unbestritten. Mit dieser Tatsache bleiben sie dann allein zurück. 

«Follow the Science» von Peter Schneider ist bei exlibris erhältlich.

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