Peter Schneider, Psychoanalytiker und Verfasser des Buchs «Follow the Science», das sich dem Thema Verschwörungstheoretiker widmet, ordnet das irritierende Phänomen ein.
Peter Schneider, was würden Sie tun, wenn Ihr 30-jähriger, bisher unauffälliger Sohn zum Verschwörungstheoretiker würde?
Boah. Ich wäre total verzweifelt. Vielleicht wäre die pragmatischste, aber auch ehrlichste Art, ihm diese Verzweiflung zu zeigen und damit an sein schlechtes Gewissen zu appellieren. Dafür ist er Gott sei Dank sehr empfänglich. Darüber hinaus würde ich versuchen, mit ihm im Gespräch zu bleiben. Ich würde verstehen wollen, was da bei ihm abgeht.
Lassen sich die Betroffenen mit Hilfe von Fakten von ihren Theorien und Wahnideen abbringen?
Ich befürchte nein. Zurzeit wird ja verlangt, der Wissenschaft mehr Bedeutung einzuräumen und Vertrauen zu schenken. Aber die Wissenschaft liefert nur bedingt Fakten, die einen Corona-Skeptiker wirklich überzeugen können. Dass die Erde in Wahrheit eine Kugel ist, haut niemanden von diesen Leuten vom Hocker.
Warum haben Verschwörungstheorien gerade jetzt Hochkonjunktur?
Als treibender Faktor spielt sicher der Lockdown eine Rolle, der die Leute dazu bringt, stundenlang einsam und allein vor dem Computer zu sitzen. Auf diesem Weg stossen sie nicht nur auf Verschwörungstheorien, sondern finden auch «Freunde» und fühlen sich in einer Gemeinschaft aufgehoben. Die Pandemie wirkt dabei wie ein grosses Dach, unter dem sich ganz unterschiedliche Menschen versammeln können und das ihnen so etwas wie einen politischen Rahmen verleiht.
Es heisst, diese Theorien hätten eine so grosse Faszination, weil sie vorgeben, etwas erklären zu können, was bisher nicht erklärbar ist – die Corona-Pandemie nämlich. Das wirke beruhigend.
Daran habe ich meine Zweifel. Schauen Sie sich nur einmal den veganen Starkoch Attila Hildmann an, der wirkt alles andere als beruhigt auf mich. Was er ausstrahlt, ist eine rechte Portion Grössenwahn. Und das hat er meiner Einschätzung nach mit den meisten Verschwörungstheoretikern gemeinsam: Sie halten sich für die Durchschauer, während sich alle anderen für dumm verkaufen lassen. Auf diese Weise stellt sich natürlich schnell das Gefühl ein, dass man endlich einmal seine persönlichen Defizite stopfen kann. Was für ein narzisstischer Gewinn!
Das klingt, als handele es sich um eine Sucht.
Das ist auch so, und entsprechend schwierig ist der Ausstieg. Diese Leute würden ja nicht nur ihre «Freunde» verlieren, sondern auch eine Form des Denkens, eine Weltsicht. Wer sich von QAnon abwendet, muss für sich mühsam ein neues Weltbild entwerfen. Und dass es in dieser Welt vielerorts nicht zum Besten steht, ist unbestritten. Mit dieser Tatsache bleiben sie dann allein zurück.
«Follow the Science» von Peter Schneider ist bei exlibris erhältlich.