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Lucia Miggiano

Die Frau, die uns das Glück lehrt

Glücklich sein ist harte Arbeit, sagt Lucia Miggiano. Sie unterrichtet Glück und erzählt, wie man es beeinflussen kann. 

Text Rahel Schmucki
Fotos Désirée Good
Datum
Ihr Glas ist übervoll: Die Glückstrainerin Lucia Miggiano am Rhein in Basel.

Lucia Miggiano ist Sekundarlehrerin und Glückstrainerin.

«Sie haben mich im Internet gefunden? Was für ein Glücksfall», sagt Lucia Miggiano. Und sie muss es ja wissen, denn die 58-Jährige ist Lehrerin im Schulfach Glück oder wie sie es nennt: Glückstrainerin.

Die Schweiz ist das drittglücklichste Land der Welt, knapp hinter Finnland und Dänemark. So steht es zumindest im World Happiness Report der UNO. Für diese Rangliste werden äussere Umstände wie Zugang zu Bildung, Geld, Gesundheitswesen, Korruption oder die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, gemessen. Sind wir deswegen wirklich glücklicher als unsere Nachbarn? «Im Tram habe ich oft nicht diesen Eindruck», sagt Lucia Miggiano.

Die Tipps von Lucia Miggiano

So werden Sie glücklich

  • Machen Sie jeden Tag ihr Bett – wenn der ganze Tag schiefläuft, haben Sie die eine Sache geschafft und richtig gemacht
  • Lächeln Sie
  • Sagen Sie ihren Liebsten, dass Sie sie lieben
  • Beenden Sie möglichst die Dinge oder Aufgaben, die Sei angefangen haben
  • Tanzen Sie in der Küche bei Ihrer Lieblingsmusik
  • Nehmen Sie ein leeres Heft oder ein hübsches Büchlein und schreiben Sie 30 Tage lang jeweils am Abend drei Situationen oder Dinge auf, die Sie zum Lächeln gebracht haben. Es müssen keine ganze Sätze sein, es reichen Stichworte, bei denen Sie auch nach ein paar Tagen wissen, was sie bedeuten.

Weitere Infos finden Sie hier.

Die 58-Jährige aus Aesch BL sitzt auf einer Holzbank am Rheinufer in Kleinbasel und blinzelt in die milchige Frühlingssonne. Hier kommt sie her, wenn sie etwas Ruhe sucht. Der kalte Wind bläst durch ihr langes graues Haar, den schwarzen Mantel hat sie bis ganz oben zugezogen. Heute hat die Sekundarlehrerin frei.

Zufriedenheit ist beeinflussbar

Das mit dem Glücklichsein sei leider nicht so einfach. «Anhaltendes Glück ist harte Arbeit», sagt Miggiano. Dabei stützt sie sich auf eine Studie der US-Amerikanerin Sonja Lyubomirsky, die herausfand, dass unsere persönliche Zufriedenheit beeinflussbar ist. Genauer gesagt 40 Prozent davon. 50 Prozent sei genetisch bedingt und 10 Prozent hängen von den aktuellen Lebensumständen ab.

Um über das Glück zu sprechen, verwendet Miggiano Metaphern und benutzt ihre Hände, um sie zu verbildlichen. Die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer sei, müsse man anders betrachten. Wo befindet sich das Glas? Neben einem Wasserhahn? Habe ich das Werkzeug, mein halb leeres Glas aufzufüllen? Trotzdem ist ihre Antwort: «Mein Glas ist übervoll und wird immer mehr», sagt Miggiano. Und das heisse nicht, dass es ihr jeden Tag gut gehe. Sie unterscheide zwischen Glücksmomenten und langanhaltendem Glück. Jeder habe mal einen schlechten Tag. In diesem Moment geht ein Mann an der Bank vorbei und gibt einen absurden Laut von sich. Miggiano muss lachen. «An einem schlechten Tag hätte mich dieser Mann vielleicht genervt, aber heute amüsiert mich diese Situation.»

Tag des Glückes - Porträt von Frau Lucia Miggiano in Basel

Ihr Glas ist übervoll: Die Glückstrainerin Lucia Miggiano am Rhein in Basel.

Jeder entscheidet für sich

Zufriedenheit und Glück seien sehr individuell. Lucia Miggiano vergleicht das mit einem Massanzug. Alle brauchen etwas anzuziehen, aber bei jedem sehen die Kleider anders aus. «Was einen glücklich macht, kann sich auch über die Jahre verändern.» Laut ihr muss man sich zuerst selber kennenlernen, um herauszufinden, was einen glücklich macht. Und dann entscheiden, was man damit anfangen will. «You decide, du entscheidest», sagt Miggiano immer wieder.

Das musste auch sie selber zuerst herausfinden. Sie arbeitete als Flugbegleiterin, Dolmetscherin und machte schliesslich in einer Bank Karriere. Da sei sie mehr zufällig die Karriereleiter hochgestiegen. «Weil ich immer bereit war ja zu sagen.» Mit 45 Jahren dann der Bruch: Sie kündigte ihre gut bezahlte Arbeit und meldete sich für die Ausbildung zur Sekundarlehrerin an. Das hat sich über eine längere Zeit abgezeichnet. Zum Beispiel als die Bank nach den Terroranschlägen in New York am 11. September plötzlich in Stahl investierte und ihr bewusst wurde, dass damit Waffen gemeint sind. Den Entscheid traf sie aber erst nach einem Gespräch mit ihrem Sohn, der sie fragte, was sie eigentlich arbeite. «Ich wusste nicht genau, wie ich ihm meinen Job erklären sollte und war auch nicht mehr wirklich stolz auf meine Arbeit», sagt Miggiano heute. Der Kaderjob war zwar gut bezahlt, aber habe sie nicht mehr glücklich gemacht. Da fing sie sich an mit dem Glück zu beschäftigen.

Glücks-Fakten

  • Das Streben nach Glück ist ein grundlegendes menschliches Ziel und wird von der UNO als solches anerkannt.
  • Das Wort «Glück» stammt vom mittelniederdeutschen Gelucke und dem mittelhochdeutschen Gelücke ab. Beides stammt wiederum von dem Wort «gelingen»
  •  Am 20. März ist der Weltglückstag
  • In Buthan misst man die Entwicklung des Landes nicht mit dem Bruttosozialprodukt sondern mit dem Bruttosozialglück

Die 10 glücklichsten Länder nach dem World Happiness Report der Uno: 

  1. Finnland
  2. Dänemark
  3. Schweiz
  4. Island
  5. Norwegen
  6. Niederlande
  7. Schweden
  8. Neuseeland
  9. Österreich
  10. Luxemburg

In der Ausbildung zur Lehrerin stolperte sie immer wieder über ein Ziel im Lehrplan 21: «Der Schüler, die Schülerin kann sich selbst einschätzen und reflektieren». Sie suchte nach einer Methode, um ihren Schülern und Schülerinnen dabei zu helfen. Dabei stiess sie auf das Fritz-Schubert-Institut für Persönlichkeitsentwicklung und dessen Schulfach Glück, in dem auch die Lebenskompetenz und Lebensfreude gefördert wird. «Ich bin ein sehr kognitiver Mensch und nicht esoterisch. Da war diese Ausbildung genau das Richtige für mich.»

Das Schulfach Glück kann sie an ihrer Schule nicht als einzelne Stunde geben, aber sie lässt viel davon in den normalen Unterricht einfliessen. Zum Beispiel müssen ihre Schülerinnen und Schüler in Zweiergruppen einen Hindernissparcour überwinden. Eine Person mit verbundenen Augen, die andere Person muss sie nur mit der Stimme leiten. Dass soll das Gefühl von Verantwortung und Vertrauen erlebbar machen. Nach diesen Übungen spricht Miggiano mit der Klasse darüber, wie sich jede einzelne Person gefühlt hat und was man davon für den Alltag mitnehmen kann.

Nebenbei bietet sie Seminare für Lehrpersonen und Coaches an und wird bereits auf der Strasse erkannt. «Als ich vor kurzem im Supermarkt einen fremden Mann in der Schlange hinter mit wütend anfauchte, schaute er mich lange an und sagte nur: Sie sind doch die, die glücklich ist.» Sie musste einfach nur laut lachen.

Glücksforscher Binswanger Mathias

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen und forscht unter anderem zum Thema Glück. 2006 veröffentlichte er sein Buch «Die Tretmühlen des Glücks». (Bild zVg)

Interview mit Mathias Binswanger

Macht Geld glücklich?

Die Schweiz ist im Wold Happiness Report auf dem dritten Platz. Sind wir glücklicher als unsere Nachbarn?
Wenn ich am Morgen durch die Bahnhofstrasse in Zürich gehe, habe ich nicht diesen Eindruck.

Wieso ist die Schweiz dann so weit vorne?
Das hat zum einen mit der Mentalität zu tun. In der Deutschschweiz haben wir zum Beispiel oft das Gefühl, wir müssten eigentlich glücklich sein, weil es uns materiell so gut geht. Also geben wir bei der Befragung einen höheren Wert an, als eigentlich zutrifft. Bereits in der Westschweiz und im Tessin sind die angegebenen Werte tiefer, weil man da eine andere Mentalität hat. Zum anderen ist die Arbeitsplatzunsicherheit der Unglücksfaktor Nummer Eins. Das ist sicher mit ein Grund, weshalb die Schweiz in diesem Report oft weit vorne ist.

Wie misst man Glück?
Glücksstudien basieren immer auf dem persönlichen Empfinden der befragten Personen. Glück ist also etwas sehr Subjektives.

Macht Geld glücklich?
In ärmeren Ländern trifft das zu. Wenn man nichts hat, ist man froh über jeden zusätzlichen Franken. Die meisten Menschen in der Schweiz werden aber nicht glücklicher, wenn sie mehr Geld bekommen. Weil sich ihr Leben im Alltag dadurch nicht grundlegend ändert. Das Glück ist in diesem Fall abhängig vom Vergleich mit den anderen. Haben alle anderen mehr als ich, bin ich unglücklich, egal wie viel ich habe. Die Reicheren sind also demensprechend glücklicher, weil sie mehr haben als die anderen.

Kann man sich Glück kaufen?
Jein. Mit schönen Dingen erkaufen wir uns nur ein kurzfristiges Glück, das aber nicht lange anhält.

Was macht uns alle glücklich?
Beziehungen zu unseren Freunden und Familien, aber auch eine Arbeit, die wir gerne machen und in der wir einen Sinn erkennen.

Und Schoggi?
Mit Schoggi erzielen wir zwar ein kurzfristiges emotionales Wohlbefinden, aber das ist nicht dasselbe wie anhaltendes Lebensglück.

Macht uns Corona unglücklich?
Corona hat sicher keinen positiven Einfluss auf unser Glück. Die Einschränkungen in unserer Freiheit kann man mit einer Zwangseinweisung ins Kloster vergleichen. Das Klosterleben kann schön sein, wenn man das denn will. Aber wenn man dazu gezwungen wird, ist es eben ein Zwang.

Haben Sie einen Tipp gegen den Corona-Blues?
Lernen Sie sich an kleinen Dingen zu erfreuen, gehen Sie trotz Homeoffice nach draussen und treffen Sie ab und zu Freunde.

Macht nicht glücklich, aber ist trotzdem fein

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