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Hasskommentare im Netz

«Frauen werden angegriffen, weil sie Frauen sind»

Der Ton in Kommentaren gegen Frauen ist anders als bei allen anderen Kommentaren. Er ist oft sexistisch und aggressiv. Dagegen kann man sich wehren.

Text Rahel Schmucki
Datum
Auftritt im Fernsehen: Aufgrund ihrer Aussagen in der SRF-Sendung Einstein wurde die Astrophysikerin Susanne Wampfler im Internet angegriffen.

Auftritt im Fernsehen: Aufgrund ihrer Aussagen in der SRF-Sendung Einstein wurde die Astrophysikerin Susanne Wampfler im Internet angegriffen.

«Wenn jemand in so jungen Jahren Professorin wird, kapiert jeder, dass da Vitamin B vorhanden war...»

«Boah, Süsses Mädel. Sieht noch so jung aus und schon einen Doktortitel…»

«Früher waren Astrophysiker noch Genies. Heute nur noch irgendwelche unkreative Bürokraten zu diesen sicher auch diese Porträtierten gehören.»

Drei von unzähligen Kommentaren, die die Astrophysikerin Susanne Wampfler (39) in den vergangenen drei Wochen im Internet über sich und Arbeitskolleginnen lesen musste. Sie und zwei weitere Forscherinnen von der Universität Bern hatten in der SRF-Sendung «Einstein» über ihre Arbeit in der Weltraumforschung gesprochen. Und über ihre Rolle als Frau in der Wissenschaft.

Wampfler ist sich Kritik gewohnt, sie hatte auch mit negativen Kommentaren gerechnet. «Trotzdem hat es mich getroffen, solche Dinge über mich zu lesen», sagt sie. Sie wolle sich von solchen Kommentaren aber nicht einschüchtern lassen.

Kritik gibt es zu allen Fernsehbeiträgen oder Zeitungsartikeln. Aber wenn darin Frauen vorkommen, lesen sich die Kommentare anders. Sie zielen stärker auf die Person und machen das Geschlecht zum Thema. Häufig sind sie sexistisch, nicht selten offen aggressiv.

Hasskommentare-Twitter-Screenshot

Die Uni Bern stellte sich via Twitter umgehend hinter die in den Sozialen Medien attackierten Wissenschaftlerinnen.

«Frauen werden in Kommentaren oft angegriffen, weil sie Frauen sind», sagt Soziologin Lea Stahel von der Universität Zürich. So klar die Diagnose, so schwierig ist es, die Gründe dafür stichhaltig zu erforschen. Stahel vermutet, dass dieses Verhalten gegenüber Frauen mit dem Geschlechterrollenverständnis in unserer Kultur zu tun hat.

Die meisten Kommentare im Internet werden von Männern geschrieben. «Wenn eine Frau in ein Feld eintritt, das bisher als männerdominiert galt, verletzt sie in den Augen dieser Personen eine Hierarchie», sagt Stahel. Einen negativen Kommentar könne man als eine Art Sanktion für diesen Eingriff in die Männerdomäne verstehen. Einen genauen Typus eines Schreibers von negativen Kommentaren über Frauen lasse sich in der bisherigen Forschung nicht definieren. Tendenziell seien die frauenverachtenden Kommentatoren aber eher politisch rechts orientiert und befürworten eine Ungleichheit zwischen Mann und Frau.

Anonymität lässt Hemmschwelle sinken

Die sozialen Medien und die Kommentarfunktionen auf News-Plattformen haben die Hemmschwelle für öffentliche Anfeindungen gesenkt. Ein paar wenige Tipps auf der Handy-Tastatur und jeder kann bequem vom Sofa aus austeilen – ohne hin stehen zu müssen, ohne irgendjemandem ins Gesicht zu sehen. Nicht mal zu erkennen geben müssen sich die Kritiker. Sie verwenden oft ein Pseudonym. Wenig erstaunlich stammen die primitivsten Kommentare häufig von anonymen Absendern.

Zwar werden die klar aggressiven und sexistischen Kommentare auf Newsseiten wie von SRF gar nicht erst aufgeschaltet. Aber auf Facebook, wo die Artikel ebenfalls veröffentlicht werden, werden die Kommentare erst nach der Veröffentlichung moderiert. Viele befinden sich zudem im Graubereich. Sie sind nicht offen sexistisch, aber herablassend und von frauenfeindlichen Klischees geprägt.

Kommentarschreiber zu finden, die über ihre negativen Äusserungen zu Frauen sprechen, ist schwierig. Einer, der hinsteht ist Jürg Streuli (69). Die Zuger Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin hatte ihn 2018 angezeigt, weil er sie auf einer Facebookseite als Lügnerin bezeichnete.

Er sagt, sexistisch äussere er sich nie. Die Anklage Spiess-Hegglins kam für ihn völlig überraschend. «Ich hätte nie damit gerechnet, dass die Politikerin meinen Kommentar jemals zu Gesicht bekommen würde», sagt Streuli. Das sei ihm eine Lehre gewesen. Ihm sei bewusst geworden, dass er über einen Menschen geschrieben hat, der verletzbar ist. «Ich äussere meine Meinung immer noch auf Facebook, versuche aber auf der sachlichen Ebene zu bleiben.»

Mit Algorithmen gegen «Hate Speech»

Sophie Achermann von der Frauen-Organisation Alliance F sagt, gegen Beleidigungen oder Hasskommentare sollen sich Frauen wehren. Wird jemand persönlich beleidigt, kann sich die betroffene Person überlegen, ob sie Anzeige erstatten will. Wichtig sei aber auch, den Angriffen öffentlich entgegenzutreten, direkt da, wo sie stattfinden. «Auf SocialMedia und den Zeitungsplattformen werden Meinungen gemacht, jeder Kommentar prägt und hinterlässt eine Wirkung», sagt Achermann. Deshalb sei es da besonders wichtig, dagegen anzuschreiben, Sexismus zu entlarven und zu benennen.

Das Projekt «Stop Hate Speech» von Alliance F, das vom Förderfonds Engagement Migros unterstützt wird, setzt da an: Ein Algorithmus sucht im Netz mit Hilfe von Stichworten nach Hasskommentaren und listet diese auf. Eine Gruppe von Freiwilligen nimmt sich dann jeden einzelnen Kommentar vor und gibt Contra. «Das nennt man Counterspeech und funktioniert bis jetzt ganz gut», sagt Achermann. In den kommenden Monaten will die Organisation eine Auswertung machen, was ihre Bemühungen gebracht haben.

Counterspeech hat auch die Universität Bern gemacht. Als Susanne Wampfler die Kommunikationsabteilung auf die negativen Kommentare aufmerksam machte, veröffentlichte die Universität ein Statement auf Twitter: «Nach der Sendung SRF-Einstein über Forscherinnen in den Naturwissenschaften erhielten unsere Wissenschaftlerinnen zum Teil sehr üble und beleidigende Kommentare. Das ist inakzeptabel. Wir stehen hinter unseren Forscherinnen und wehren uns mit ihnen.»

Für Susanne Wampfler war das ein wichtiger Schritt. «Am liebsten würde ich nur über meine Forschung sprechen. Es ist aber wichtig, dass wir alle das Thema in die Öffentlichkeit tragen.»

Suchen Sie Hilfe?

Selber von Hasskommentaren betroffen? #NetzCourage ist ein gemeinnütziger Verein, der sich dezidiert und aktiv gegen Hassrede, Diskriminierung und Rassismus im Internet stellt.  

Hilfe für Kinder und Jugendliche gesucht? Der Verein zischtig.ch setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche beste Medienbildung und Prävention erfahren.

Sich selber gegen Hasskommentare einsetzen? Das Projekt Stop Hate Speech will auf das Phänomen auf eine lokale und innovative Weise reagieren. 

 

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