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Tipp-Kick-Profi Daniel Nater

Bei ihm ist Fussball Kopfsache

Seit 38 Jahren tippt Daniel Nater bemalten Zinkfiguren auf den Kopf, um Tore zu schiessen und Turniere zu gewinnen. Der 55-jährige Tipp-Kick-Profi denkt noch lange nicht ans Aufhören. 

Text Dario Aeberli
Fotos Christian Schnur
Datum
Daniel Nater ist Tipp-Kickprofi. Konzentration ist in diesem Sport das A und O.

Daniel Nater ist Tipp-Kick-Profi. Konzentration ist in diesem Sport das A und O.

Manchmal verhält sich Daniel Nater, als wäre er nicht Spieler, sondern bloss Trainer an der Seitenlinie. Da schreit er seine Fussballer an: «Wo schiesst du hin? Lass dir doch Zeit!». Dabei hat der 55-Jährige den Spieler in den eigenen Händen, wortwörtlich.

Nater ist Tipp-Kick-Profi. Er tippt auf einen Knopf über dem Kopf einer bemalten Zinkfigur, was deren Bein hervorschnellen lässt und den Ball so ins Tor kickt. «Kein anderes Spiel kommt dem echten Fussball so nahe», sagt Nater. Der Druckerverkäufer steht in seiner Wohnung in Mettmenstetten ZH in schwarz-hellblauem Poloshirt, langen, schwarzen Trainerhosen und schwarzen Joggingschuhen. Nicht ohne Grund: «Beim Tipp-Kick-Spielen muss man hin und wieder zum Sprint ansetzten und ist immer in Bewegung», sagt Nater.

Auf der Brust trägt er das Logo des 1. Tipp-Kick-Clubs Kaiserslautern ‘86, jenes deutschen Clubs, für den er seit 2018 spielt, aktuell in der zweiten Mannschaft in der zweithöchsten Liga. 2019 gewann er mit den Lauterern den deutschen Cup-Pokal. In Deutschland, so Nater, sei das Niveau auch beim Tipp-Kick deutlich höher als in der Schweiz. Ab September soll der Spielbetrieb in Deutschland nach der Coronapause wieder aufgenommen werden. Höchste Zeit also, um wieder in Form zu kommen.

Innerist, Vollspannschuss oder den Ball über den Torhüter lupfen, der Tipp-Kickprofi kann alles.

Innerist, Vollspannschuss oder den Ball über den Torhüter lupfen: der Tipp-Kick-Profi kann alles.

Nater hat seinen Clubkollegen Markus Kälin für zwei, drei Trainingsspiele zu sich eingeladen. In die Mitte des Wohnzimmers stellen die beiden nun den Tipp-Kick-Tisch auf. Das ein Meter lange und 70 Zentimeter breite Spielfeld hat etwas Staub angesetzt.

«Bis das alte Ballgefühl wieder zurückkommt, brauchen wir sicher ein, zwei Spiele», sagt Nater und testet, ob die Beine seiner Figuren noch richtig durchschwingen. Kälin betrachtet währenddessen die grüne Filztischplatte mit kritischem Blick. «Die könntest du auch wieder einmal entfuseln», sagt Kälin. Im Profisport sind schliesslich Kleinigkeiten entscheidend.

«Den Piraten kennt ganz Deutschland»

Nater wurden 2009 Einzelschweizermeister im Tipp-Kicken, der Thurgauer Kälin Vizemeister. Nater stand ganze fünfmal im Finale, konnte jedoch nur einmal gewinnen. In den letzten Jahren sei die Szene in der Schweiz etwas eingeschlafen. An den Turnieren nehmen manchmal noch 20 Spieler und vereinzelt Spielerinnen teil. «Am Turnier im Jahr 1986 in Jona SG erreichten wir den Peak mit 90 Teilnehmern», sagt der 55-Jährige.

Deshalb schloss er sich 2018 einem Club im Mutterland des Tipp-Kicks an: Deutschland. Dort erfand 1921 ein Möbelfabrikant das Fussballbrettspiel Tipp-Kick. Bis heute gibt es nur die eine Fabrik in Schwenningen in Baden-Württemberg, die die Fussballfiguren aus Zink herstellt.

 

Die beiden Profis Nater und Kälin wechseln bei diesen Figuren das Kick-Bein aus. Die Spieler sehen dann aus, als hätten sie silberne Prothesen erhalten. Die Füsse sind im Gegensatz zu jenen Figuren, die Nicht-Profis brauchen, flach und rechteckig. «So kann man viel genauer zielen, wohin man den zwölfeckigen Ball schiessen will», sagt Nater.

Jeder Tipp-Kicker gestalte und schleife die Füsse nach seinen eigenen Vorlieben. Dabei spielt auch die Länge eines Beines eine Rolle. «Mit einem langen Bein kommt man besser unter den Ball und kann ihn so über den Gegenspieler lupfen.» Unter den zahlreichen Kreationen in der Tipp-Kickerwelt ragt eine Spielfigur Naters heraus: der Pirat. Ursprünglich war er mal gelb lackiert, mittlerweile – nach 35 Jahren im Einsatz – ist die Figur jedoch so abgegriffen, dass bloss noch unter den Armen etwas gelbe Farbe übriggeblieben ist.

Das Markenzeichen des Pirats ist sein extrem dünnes Bein, fast wie ein Holzbein. «Den Pirat kennt ganz Deutschland», sagt Nater. Kälin beginnt zu lachen und sagt: «Es stimmt, den kennt jeder – weil seine Schüsse so unberechenbar sind. Nicht mal Daniel weiss, wo der Ball hinfliegen wird.»

«Er hat den Sport revolutioniert»

Beim Aufwärmen für das erste Testspiel zeigt Naters Pirat sein Können. Einen Eckball zieht er direkt auf das Tor Kälins, der den Treffer nur mit einer Glanzparade seines Torhüters abwehren kann. Nater greift sich entsetzt an den Kopf. Ein andermal lupft der Pirat den Ball lässig über die Freistossmauer und versenkt ihn im Netz. Nater ballt die Faust zur Jubelpose.

Mit schnellen Handgriffen richten die beiden ihre Spieler alle paar Sekunden neu aus, rennen um den Tisch und bücken sich wieder zu den Spielern. Mit dem sogenannten Farbspiel möchten sie möglichst lange in Ballbesitz bleiben. Denn beim Tipp-Kick ist der Ball zweifarbig: Eine Hälfte ist schwarz, die andere weiss. Welche Farbe nach einem Spielzug oben liegt, entscheidet, welches Team am Zug ist.

Tipp-Kick

Die Spielregeln

  1. Die Spielerinnen und Spieler wählen eine Ballfarbe.
  2. Die Ballfarbe, die oben ist, entscheidet, wer am Zug ist.
  3. Das Spiel dauert zweimal fünf Minuten.
  4. Jede Mannschaft besteht aus zwei Spielern: einem Kicker und einem Torwart.
  5. Die Verteidiger müssen mindesten zwei Kickerlängen Abstand vom Ball haben.
  6. Aufs Tor schiessen darf man immer, ausser bei Einwurf sowie  An- und Abstoss.

Bis in die 1980er-Jahre war es purer Zufall, auf welcher Farbe der Ball zu stehen kommt. Dann kam Normann Koch. «Er ist der beste Spieler aller Zeiten», sagt Nater. Ein einziges Mal erreichte er mit viel Glück und dank eines Sahnetages seines Torhüters ein 1:1 Unentschieden gegen die Legende. «Normann hat herausgefunden, wie man den Ball seitlich so anspielen kann, dass er die Farbe nicht wechselt. So blieb immer er am Zug. Mit dem Farbspiel hat er den Sport revolutioniert!»

Beim Testspiel gegen Kälin funktioniert Naters Farbspiel nicht wie gewünscht. Anstatt dass der Ball rotiert, ohne die Farbe zu wechseln, rollt er unkontrolliert über das Feld. Als dann auch Kälin ein Fehler passiert, will Nater ihn schnellstmöglich auskontern, sprintet um den Tisch, stellt den Spieler in Position, verfehlt dann aber klar das Tor mit seinem Schuss. «Nicht so überhastet», ruft Nater, halb zu sich, halb zum Spieler in seiner Hand.

Gleich nach dem Spiel pocht er auf eine Revanche. In diesen Augenblicken kann man sich gut vorstellen, warum er dem Sport treu geblieben ist, seitdem er als 16-Jähriger an seinem ersten Turnier in Winterthur teilnahm. Seine Begeisterung ist ungebrochen. «Ich hoffe, die Tipp-Kick-Szene in der Schweiz nimmt bald wieder Fahrt auf.»

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