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Neue Dating-Apps

Keine Lust auf wisch und weg bei Tinder

Weg vom oberflächlichen Swipen, hin zu den inneren Werten. Laura Matter und Nicolas Schotten wollen das Online-Dating revolutionieren.

Text Kristina Reiss
Datum
Daten findet schon länger mehrheitlich online statt. Dieser Trend hat sich während der Pandemie verstärkt (Bild: VectorStock)

Daten findet schon länger mehrheitlich online statt. Dieser Trend hat sich während der Pandemie verstärkt (Bild: VectorStock)

Matteo (34) findet es «meistens wahnsinnig ineffizient», Sarah (22) hat «vom ständigen bewertet werden» die Nase voll. Die beiden reden vom Daten und Kennenlernen neuer Menschen. Etwas, das zunehmend online stattfindet. Wie auch sonst hätte man sich in einem Pandemie-Jahr verlieben sollen? Und doch: Lange, bevor Begriffe wie «Kontaktbeschränkungen» Einzug in unseren Wortschatz hielten, war Online-Dating für viele die erste Wahl. Tatsächlich hat jeder Zweite schon mal nach einem Partner im Internet gesucht, jede Fünfte davon ist erfolgreich. Doch nicht nur das: Paare, die sich online fanden, so zeigte kürzlich die Studie «Plos One» der Universität Genf, haben oft stabilere Beziehungen. So ist es nicht erstaunlich, dass die Mitgliederzahlen digitaler Partnerbörsen exponentiell in die Höhe geschossen sind; mittlerweile gibt es Tausende verschiedene Dating-Apps und Online-Portale.

Seit jedoch vor gut 20 Jahren Plattformen wie Parship oder ElitePartner mit ihren ausführlichen Fragebögen und umfangreichen Profilen auf den Markt kamen, hat sich die Art und Weise, wie wir daten, grundlegend verändert. Und das liegt nicht zuletzt an Apps wie Tinder und Co: Sie bieten einen niederschwelligen Zugang, der viel weniger Zeit erfordert. Der nächste Flirt ist hier nur einen Wisch entfernt. Lediglich anhand eines Fotos entscheidet die Nutzerin, ob ihr eine Person gefällt – falls ja, swipet sie das Bild nach rechts, falls nein nach links. Haben zwei User ihre Bilder gegenseitig nach rechts gewischt, entsteht ein Match und die beiden können über einen Chat kommunizieren. Das Top-oder-Flop-Ausschlussverfahren spült ständig neue Bekanntschaften aufs Handy – was auf Dauer allerdings ermüden kann. Bereits ist von einem «Romantic fatique»-Syndrom die Rede, also von einem Erschöpfungszustand in Sachen Romantik oder Burn-out in der Liebe, eingebrockt von Apps wie Tinder.

Dates werden zu Bewerbungsgesprächen

Auch Sarah und Matteo, die in Wirklichkeit anders heissen, kennen das nur zu gut. «Ist man eine Weile auf diesen Apps unterwegs, kann man gar nicht mehr unbefangen andere Menschen kennenlernen», erzählen sie. «Man denkt nur noch in Ausschlusskriterien.» Dates fühlen sich an wie Bewerbungsgespräche, jede Gelegenheit wird ergriffen, das Gegenüber auszusieben. Sobald die kleinste Unregelmässigkeit auftaucht: Weg nach links. Schliesslich gibt es noch fünfzig andere Möglichkeiten, die geprüft werden wollen. Am Ende kann man sich gar nicht mehr entscheiden – weil man andauernd befürchtet, noch etwas viel Tolleres zu verpassen.

Nicolas Schotten (25) hat die Dating-App Lovetastic entwickelt, die auf die inneren Werte fokussiert statt auf Äusserlichkeiten. (Bild: © 2021 Livantis GmbH)
Nicolas Schotten (25) hat die Dating-App Lovetastic entwickelt, die auf die inneren Werte fokussiert statt auf Äusserlichkeiten. (Bild: © 2021 Livantis GmbH)

Das sprach auch Sarah an. «Ist das einzige Auswahlkriterium nicht nur ein bearbeitetes Foto, selektiert man nicht so schnell», findet die 22-Jährige, «man lässt sich eher auf jemanden ein, gibt ihm eine Chance.» Gleichzeitig werde man auch selbst nicht so schnell aussortiert. «Dieses ständige Bewertetwerden ist nämlich extrem anstrengend.» Mit ihrem heutigen Freund, den sie auf «Lovetastic» kennen lernte, schrieb sie erst zwei Monate hin und her, bevor sie Fotos austauschten.

Das nervte irgendwann auch Nicolas Schotten. Der 25-jährige Basler hatte gerade seinen Master in Wirtschaft abgeschlossen, als ihm die Idee kam, eine schweizerische Alternative zu Tinder zu entwickeln, eine Dating-App für innere Werte sozusagen. Seit eineinhalb Jahren ist seine App «Lovetastic» nun auf dem Markt; die 100.000 aktiven User sind mit 18 bis 55 Jahren breit gestreut. «Ich wollte eine Lösung, bei der Menschen nicht nur auf Äusserlichkeiten reduziert werden, man sich den anderen aber optisch trotzdem vorstellen kann», sagt Schotten. Deshalb setzt die App auf Personenbeschreibungen der Singles – Haarfarbe, Grösse, Beruf, Hobbies, Fitnesslevel – erst bei einem gegenseitigen Like können auch Fotos ausgetauscht werden. «Die optische Anziehung ist schliesslich nur einer von vielen Faktoren bei der Partnersuche», findet der Entwickler. Seit kurzem kann man seinem Profil ausserdem die eigene Stimme hinzufügen – und sich somit in einer weiteren Facette präsentieren.

Test wird zur Partnervermittlung

Auch Laura (21) Matter fand kein zufriedenstellendes Online-Dating-Angebot. Ende Jahr kommt ihre App «noii» auf den Markt. (Bild: zVg)
Auch Laura (21) Matter fand kein zufriedenstellendes Online-Dating-Angebot. Ende Jahr kommt ihre App «noii» auf den Markt. (Bild: zVg)

Laura Matter wollte ebenfalls weg vom oberflächlichen Dating. Weil sie kein zufriedenstellendes Angebot fand, nahm die Online-Marketing-Spezialistin die Sache selbst in die Hand. Noii heisst die alternative App der 21-jährigen Winterthurerin («noi» ist Italienisch und heisst «wir»), die Ende des Jahres auf den Markt kommt. Sie wird eine Mischung sein zwischen klassischer Partnervermittlung (Fragebögen ausfüllen, passende Profile vorgeschlagen bekommen) und Social-Dating-Apps wie Tinder und Ähnliche. Seit kurzem können sich Interessenten ausserdem auf der Website für Online-Speeddating anmelden. Ursprünglich wollte Laura damit nur herausfinden, worauf potenzielle User beim Daten Wert legen. Dann wurde sie vom grossen Interesse überrascht: Bis zu 80 Personen füllen jeweils den Fragebogen aus (Wofür bist du Feuer und Flamme? Was brauchst du in einer Beziehung?), aus denen das Team von noii wiederum 16 Singles mit ähnlichen Präferenzen auswählt – momentan noch händisch. Diese lernen sich dann an einem Abend per Zoom kennen, in wechselnden Zweierkonstellationen für jeweils sechs Minuten. Das Angebot ist für alle Altersgruppen offen.

Matteo hat es bereits ausprobiert. Nach dem Ende seiner letzten Beziehung entschied sich der 34-Jährige bewusst gegen Wisch-und-Weg-Apps. Am Online-Speeddating schätzt er vor allem die live Interaktion: «Dabei kommt man sich viel näher und kann sich innerhalb kürzester Zeit von acht Menschen einen ziemlichen guten ersten Eindruck verschaffen.» Bei Tinder hingegen warte man manchmal 24 Stunden auf eine Antwort, schreibe vor einem ersten Treffen ewig hin und her, nur um dann nach wenigen Minuten festzustellen: «Das wird nichts». Ausserdem sei Online-Speeddating viel weniger oberflächlich: «Jemand, der einen äusserlich nicht so anspricht, nimmt einen beim Video-Date vielleicht mit seiner Art ein.»

Treffen die zwei jungen Schweizer mit ihren alternativen Dating-Angeboten also gerade den Nerv der Zeit? Weg vom oberflächlichen Swipen hin zu den inneren Werten? «Jede Bewegung ruft auch immer eine Gegenbewegung hervor», sagt Lisa Fischbach, Psychologin und Forschungsleiterin bei der Online-Partnervermittlung ElitePartner. «Ich finde es gut, dass es diese Entwicklung gibt. Das entschleunigt.» Wer stabil und selbstbewusst sei und sich auch so präsentiere, habe gute Erfolgschancen bei Tinder und Co. Doch das ständige Verglichen- und Zurückgewiesenwerden könne auch belastend sein – vor allem für Menschen, die aufgrund einer Trennung mit Selbstzweifel kämpfen. Im Übrigen schade es nicht, auf verschiedenen Kanälen aktiv zu sein; nicht umsonst seien viele Suchende bei mehreren Dating-Plattformen angemeldet. Für den Sommer prognostiziert die Dating-Spezialistin allerdings nun erstmal einen ganz anderen Trend: Raus aus dem Netz, rein in die Realität! «Das wollen wir nach dieser Zeit doch alle.»

Die alternativen zu Tinder und Co.

Once 

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Basierend auf den Präferenzen spuckt der Algorithmus nur ein potentielles Date pro Tag aus. Wer mehr als ein Match in 24 Stunden wünscht, muss dafür bezahlen. Durchschnittsalter der Slow-Dating App: 30 Jahre.

Zoosk

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Die Singlebörse arbeitet mit Behavioral Matchmaking, eine von Zoosk entwickelte Technologie. Diese lernt, welche Personen dem Geschmack des Users entsprechen. Je öfter man Zoosk nutzt, umso intelligenter wird es also. Die meisten Mitglieder sind unter 45 Jahren. Profilerstellung ist kostenlos, Nachrichten schreiben und lesen ab 34,99 Franken im Monat.

Candidate

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Bei dieser Dating-App lernen sich User über ein Frage-Antwort-Spiel kennen. Anonym oder wahlweise mit Foto kann man anderen Singles bis zu fünf Fragen stellen. User sind im Schnitt zwischen 18 und 35 Jahren alt. Die Basis-Version ist gratis, Abos für zusätzliche Features ab 14 Franken im Monat.

Happn

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bedient sich des Geotagging. Es lassen sich also nur Leute matchen, die sich in der Vergangenheit auch tatsächlich schon einmal begegnet sind. Die App zeigt somit an, welchen anderen Nutzern man im Laufe des Tages in der Realität begegnet ist. Durchschnittsalter 20 bis 35. Als Gratisversion sowie mit zusätzlichen kostenpflichtigen Diensten.

Lovetastic

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Schweizer Dating-App, die ganz ohne Fotos funktioniert – zumindest am Anfang. Erst nach einem Match lassen sich Bilder austauschen. Durchschnittsalter 18 bis 65. Gratis; zusätzliche Features können gekauft werden.

noii

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Wertvolle Bekanntschaften statt oberflächliches xDating, verspricht diese Schweizer App, die Ende des Jahres auf den Markt kommt. Der Prototyp lässt sich bereits schon jetzt testen, ausserdem gibt es Online-Speeddatings (www.noii.ch).

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