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Liv und Zoé Egli

Sie haben keine Angst vor dem Fallen

Die Schwestern Liv und Zoé Egli sind an der Kletterwand zuhause. Sie trainieren bis zu 20 Stunden in der Woche und klettern in der Schweizer Nationalmannschaft. Ihr Ziel: die olympischen Spiele.

Text Rahel Schmucki
Fotos Daniel Winkler
Datum
Zoé (links) und Liv Egli trainieren jeden Tag in der Kletterhalle. «Wir waren etwa 4 und 5 Jahre alt, als wir den ersten Kletterkurs besuchten», erinnert sich Liv.

Zoé (links) und Liv Egli trainieren jeden Tag in der Kletterhalle. «Wir waren etwa 4 und 5 Jahre alt, als wir den ersten Kletterkurs besuchten», erinnert sich Liv.

Liv (17) und Zoé (19) Egli tauchen ihre Hände in den kleinen schwarzen Beutel und verteilen das weisse Pulver über ihre Handflächen. Konzentriert stellen sie sich vor die vier Meter hohe Wand, setzen den ersten Fuss auf einen farbigen Knubbel, greifen mit den Händen nach den ersten Griffen. Und bewegen sich nach wenigen Sekunden wie Spinnen an der  überhängenden Kletterwand. Mal ist ein Bein über den Händen, mal müssen sie zum nächsten Griff springen. Ungesichert. Auf dem Boden liegen dicke Matten, die Stürze abfedern sollen. In der Halle in Wilderswil BE dürfen sie jederzeit mit einem Badge trainieren – und das tun sie auch. «So 18 bis 20 Stunden pro Woche», sagt Zoé. «Und zwischen Frühling und Herbst sind wir alle zwei Wochen an einem Wettkampf», ergänzt Liv.

Die Schwestern aus Hünibach BE klettern seit sie denken können, ihre Eltern, selbst passionierte Kletterer,  haben sie schon als kleine Kinder in die Kletterhalle mitgenommen. «Wir waren etwa 4 und 5 Jahre alt, als wir den ersten Kletterkurs besuchten», erinnert sich Liv. Seither hat sie der Sport nicht mehr losgelassen. Heute trainieren die beiden im Kader der Schweizer Nationalmannschaft und erklettern sich regelmässig gute Resultate an nationalen und internationalen Wettkämpfen. Mitte Mai erreichte Zoé an der Juniorinnen Europameisterschaft in Russland Rang 5 und ihre Schwester Rang 7 in der Disziplin «Lead» (siehe Box).

Die Diziplinen im Klettern

Im Klettern unterscheidet man zwischen drei Disziplinen: Boulder, Lead und Speed. Beim Bouldern sind die Kletterwände höchstens 4 Meter hoch, der Boden ist mit dicken Matten ausgelegt und die Kletternden sind ohne Sicherung auf den überhängenden und steilen Wänden unterwegs. Lead und Speed nennt man das Klettern am Seil, bei dem der Sportler oder die Sportlerin von einer anderen Person am Boden gesichert wird. Beim Lead ist das Ziel eine schwierige Route möglichst gut zu klettern, beim Speed kommt es vor allem auf die Geschwindigkeit an.

SAC und die Migros

Die Migros engagiert sich für den Schweizer Bergsport und pflegt eine neue Partnerschaft mit dem Schweizer Alpen-Club SAC. Teil der vierjährigen Partnerschaft ist auch das Sportklettern, das dieses Jahr erstmals eine olympische Disziplin ist.

Trainingspartnerinnen und Konkurrentinnen

Liv und Zoé trainieren immer zusammen. Jeden Tag. Als im Lockdown alle Kletterhallen schliessen mussten, haben sie sich zuhause kurzerhand eine kleine Wand aus Holz gebaut. Meistens sind die beiden, die auch Mitglied beim Schweizerischen Alpenclub (SAC) sind, in der Halle, ab und zu aber auch an einem Felsen draussen. «Streit gibt es bei uns eigentlich fast nie, wir harmonieren gut zusammen», sagt Liv. Für sie, die jüngere der beiden, war immer klar, dass ihre grössere Schwester an der Kletterwand besser ist als sie. «Das war ja auch wegen dem Altersunterschied immer logisch», sagt sie. Und doch holt Liv ihre grosse Schwester langsam ein. «Für mich ist es nicht so einfach zu sehen, dass Liv mir mit ihren Leistungen immer näher kommt, mich vielleicht bald einholt», gibt Zoé lachend zu. Bis jetzt sei sie aber immer noch ein bisschen besser als ihre jüngere Schwester. Und das spornt Liv erst recht an.

 

Nach dem Einwärmen an der Kletterwand gehen die Schwestern zum Fingertraining über. Dafür gibt es in der Halle eine überhängende Wand, an der kleine Holzlatten befestigt sind. Zoé hält sich mit den Fingerkuppen fest und hängt sich mit dem ganzen Gewicht daran. Ruckartig zieht sie sich hoch und springt mit den Händen zwei Latten höher – und nochmals zwei Latten höher. An ihren Armen und auf den Schulterblättern spannen sich Muskeln. Daneben macht Liv Klimmzüge, um ihre Arme zu trainieren.

Die beiden Schwestern sind gleich gross, gleich schwer und tragen dasselbe Trikot. Es gibt aber doch ein paar Unterschiede. «Liv schafft mehr Klimmzüge als ich und ist an der Wand ein bisschen mutiger», sagt Zoé. Das liege wahrscheinlich auch daran, dass sie selber schon öfter verletzt war und deshalb mehr Respekt vor schwierigen Sprüngen habe. Liv blieb bis jetzt glücklicherweise unfallfrei

Olympische Luft schnuppern?

Damit die beiden Sportkletterinnen genügend Zeit fürs Training finden, besuchen sie das Sportgymnasium in Bern. Das heisst, sie machen ihre Matura in fünf statt in vier Jahren und können so mehr Zeit in der Kletterhalle und an Wettkämpfen verbringen. «Wir haben nicht so viele Präsenzstunden, aber immer viele Hausaufgaben», erklärt Liv. So sind sie zeitlich viel flexibler und können sich die Arbeit selber einteilen. Zoé macht bereits diesen Sommer ihre Matura und will dann Geographie und Mathematik studieren. Liv macht ihren Abschluss in zwei Jahren, aber sie hat bereits ähnliche Pläne wie Zoé: Auch sie will Mathematik studieren.

Ein klares Ziel haben die beiden aber auch im Sport bereits ins Auge gefasst: Die Weltmeisterschaft im Klettern 2023. Sie findenin Bern statt. Dort können sich die beiden für die Olympischen Spiele in Paris 2024 qualifizieren. «Dass wir uns da qualifizieren, ist eher unwahrscheinlich, aber wir werden es sicher versuchen», sagt Zoé und nimmt Anlauf, um einen Griff am oberen Ende der Wand zu erreichen. Das Training geht für die beiden jetzt erst so richtig los.

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