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 Zurück in die Schule

Ihr Plan B führte sie ins Klassenzimmer

Sie haben Lebenserfahrung, sind top motiviert und beheben erst noch den Personalmangel: Quereinsteiger und Umsteigerinnen in Lehrberufen.

Text Dario Aeberli, Monica Müller, Benita Vogel
Fotos Christian Schnur
Datum
Gabi Schwegler war als Quereinsteigerin mit dem Blick von aussen gefragt.

Gabi Schwegler war zuerst Journalistin, bevor sie sich zur Lehrerin ausbilden liess.

Sie interviewten Stars, pflegten Kranke oder fuhren professionell Ski. Im Lehrerberuf gibt es immer mehr Quereinsteigerinnen und Quereinsteier, die vorher in einem ganz anderen Gebiet tätig waren. Für die pädagogische Hochschule (PH) Zug sind solche Studenten eine Bereicherung. «Ihre zusätzliche Erfahrung wird im Schulumfeld sehr geschätzt», sagt Studienleiter Simon Bieli. Ähnliches Berichten die Kollegen von der PH Zürich. Quereinsteigende seien sehr motiviert, in der Regel bereits älter und hätten somit mehr Lebenserfahrung. «Wir erhalten laufend Rückmeldungen, dass sich Schulteams dank ihnen positiv weiterentwickelt haben», sagt Rektor Heinz Rhyn. Die PH Zürich verzeichnet seit 2019 ein deutliches Wachstum bei den Quereinsteigenden. In Zug haben bereits rund 40 Prozent der Studierenden zuvor in einem anderen Bereich gearbeitet. Der Zuger Bieli sagt denn auch: «Wir brauchen die Quereinsteigenden unbedingt, um den Lehrpersonenmangel einzudämmen.»

Denise Feierabend, Anne-Kathrin Schmucki, Gabi Schwegler, Stefan Tasic und Philipp Wüthrich sind genau diesen Umweg gegangen. 

Vom Querulanten zum Pädagogen

Stefan Tasić hat ein Herz für Störenfriede, weil er selbst auch einst einer war.

Stefan Tasić hat ein Herz für Störenfriede, weil er selbst auch einst einer war. 

Als Zahntechniker fehlte Stefan Tasić der soziale Kontakt. Als Lehrer einer 5. Klasse in Wilen bei Wollerau SZ kann er nun ganz viel verhandeln.

Hätte man Stefan Tasić (33) als Fünftklässler gesagt, dass er eines Tages Lehrer werde, er hätte nur laut gelacht. «Ich war ein schrecklicher Schüler», erzählt er, «desinteressiert, faul, störend.» Obwohl er später von der Real- in die Sekundarschule wechselte, fand er lange keine Lehrstelle. Auch vermutlich wegen des «ić» in seinem Namen.

Also nahm er, was er kriegte. Erst ein Praktikum in einer Privatschule, dann eine Lehrstelle als Zahntechniker. Manuell zu arbeiten gefiel ihm, doch der soziale Kontakt fehlte ihm. An den Wochenenden gab er Tauchkurse und merkte, wie gerne er unterrichtete. Also legte er sich ins Zeug, jobbte als Barkeeper, während er erst die Berufsmatur nachholte und dann die pädagogische Hochschule absolvierte.

«Mein grosses Plus ist: ich verstehe die Störenfriede», sagt er und lächelt. Am liebsten unterrichtet er Mathematik und Sport. Im Vorfeld der jährlichen Chilbi in Wilen kombiniert er die Fächer. Seine Klasse lernt dann Drinks im richtigen Verhältnis zu mixen und zu jonglieren, um eine Bar zu betreiben. Manchmal findet er es schwierig, sich abzugrenzen. Wandert er mit seiner Frau, denkt er an die nächste Schulreise. Hat er einen ehrenamtlichen Einsatz bei der Seerettung, filmt er noch schnell den Sturm für seine Klasse, die gerade das Thema Wetter durchnimmt.

Da er in derselben Gemeinde zur Schule gegangen ist, wo er jetzt unterrichtet, begegnet er auch immer wieder seiner ehemaligen Lehrerin. Sie könne sich nur an wenige positive Momente mit ihm als Schüler erinnern: Wie er beispielsweise auf einer Velotour einer Kollegin half, die Kette einzuhängen. Tasić lacht laut. Er möchte die Individualität seiner Schülerinnen und Schüler fördern und ihnen beibringen zuverlässig und ehrlich zu sein.

Die schnellste Lehrerin der Schweiz

Denise Feierabend möchte den Kindern in ihrer Klasse lehren, dass sie ihrer Leidenschaft folgen sollten.

Denise Feierabend möchte den Kindern in ihrer Klasse lehren, dass sie ihrer Leidenschaft folgen sollten.

Vor drei Jahren hat sie an den Olympischen Spielen die Goldmedaille gewonnen, jetzt ist Denise Feierabend Primarlehrerin in Vilters SG.

«28 Jahre lang habe ich auf diesen Moment hingearbeitet. Meine Tage waren von morgens bis abends durchgeplant. Tausende Stunden habe ich im Kraftraum trainiert, immer hundert Prozent gegeben, manchmal noch etwas mehr – und dann gewann ich 2018 mit meinem Team im Parallelslalom die Goldmedaille an den Olympischen Winterspielen. Danach war bei mir die Luft draussen. Ich hatte mein Ziel erreicht, beendete meine Karriere als Skifahrerin und wusste: Ich will Lehrerin werden.

Jetzt übernehme ich mit 32 Jahren meine erste Klasse. Ich freu mich auf die nächsten zwei Jahre mit dieser Rasselbande. Kindern Lesen und Schreiben beizubringen, ist für mich eine extrem sinnvolle Aufgabe. Ich möchte meine Schülerinnen und Schülern dazu ermutigen, ihrer Leidenschaft zu folgen, so wie ich das tat. Als Ex-Skirennfahrerin weiss ich, wie wichtig eine gute Vorbereitung ist – und dass trotzdem alles anders kommen kann. Meine Goldmedaille lasse ich bewusst zuhause, denn jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt für mich. Lange wird es vermutlich nicht dauern, bis die Kinder herausfinden, was ich vorher gemacht habe. Bereits im Praktikum riefen Schüler mit spitzbübischem Lachen: 'Wir haben Sie im Fall gegoogelt!'»

Vom Newsroom ins Klassenzimmer

Gabi Schwegler war als Quereinsteigerin mit dem Blick von aussen gefragt.

Gabi Schwegler war als Quereinsteigerin mit dem Blick von aussen gefragt.

«Früher als Journalistin hatte ich Karin Keller-Sutter, Samuel L. Jackson und Charlotte Gainsbourg vor dem Mikrofon. Heute sitzen mir Fabio, Jennifer und Chiara im Klassenzimmer gegenüber. Als ich mich vor gut vier Jahren entschied, den Newsroom  zu verlassen und den Quereinstieg zur Sekundarlehrerin zu beginnen, stiess ich häufig auf Unverständnis. ‘Wieso willst du dich mit pubertierenden Freaks herumschlagen statt Promis zu treffen?’, fragten sie mich. Bereits nach den ersten Wochen im Klassenzimmer konnte ich antworten: Weil ich jeden Tag Wertschätzung erlebe und als Mensch für andere Menschen wichtig bin.

Ob ich die fast vierjährige Ausbildung an der PH Zürich begonnen hätte, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet? Wohl eher nicht. Die Doppelbelastung des Studiums und der Klassenlehrerinnenfunktion brachte mich an meine Grenzen. Und die ‘pubertierenden Freaks’ waren manchmal anstrengend – aber eben auch warmherzig. Nach dem Basisjahr an der PH eine Stelle zu finden, war ein Zuckerschlecken. Als Quereinsteigerin war ich gefragt, weil sowohl Schulleitungen als auch andere Klassenlehrpersonen den Blick von aussen mögen und die Erfahrungen aus einem anderen Berufsfeld als Gewinn für den Schulalltag betrachten.»

Vom Spital ins Schulhaus

Anne-Kathrin Schmucki liebt ihren Job über alles. Ist medizinisches Knowhow gefragt, ist sie gleich zur Stelle.

Anne-Kathrin Schmucki liebt ihren Job über alles. Ist medizinisches Knowhow gefragt, ist sie gleich zur Stelle. 

Seit zehn Jahren unterrichtet Anne-Kathrin Schmucki (33) nun bereits im Schulhaus Krämeracker in Uster ZH. Ihre erste Ausbildung lässt sie dennoch nicht ganz los.

Das Dilemma
Als kinderliebende Pfadfinderin interessiert sich Anne-Kathrin Schmucki für den Lehrerberuf und doch ist die Faszination für die unbekannte Spitalwelt stärker.

Pflegefachfrau
Die ersten Monate als Lernende sind ernüchternd: blöde Dienste, keine Verantwortung. In dieser Phase meldet sich Schmucki für die Lehrerausbildung an, bringt sich selbst Mathematik auf Maturaniveau für die Aufnahmeprüfung bei und besteht sie. Die Ausbildung im Spital schliesst sie aber dennoch ab. «In der Chirurgie ist es dann richtig spannend geworden, wir waren ein tolles Team, eine eingeschworene Gemeinschaft.»

Lehrerin
Um sich beide Türen offen zu halten, lässt sich Schmucki nach der Lehre in der Pflege zur Lehrerin ausbilden und jobbt nebenbei im Spital. Seit bald 10 Jahren unterrichtet sie nun und liebt ihren Job: Die Vielfalt der Kinder, die freie Gestaltung des Unterrichts, die thematische Breite, der Austausch mit den Eltern – das alles entspricht ihr sehr.

Zwei Herzen
Als der Kantonsspital Winterthur Schmucki während des Lockdowns anfragt, ob sie bei Bedarf aushelfen würde, sagt sie sofort zu. Zum Einsatz kommt es aber nicht. Als Weiterbildung darf sie sich bald zwei Monate einem schulfremden Projekt widmen. Sie kann sich gut vorstellen, dann in einem Spital zu arbeiten.

Nach der Halbzeit ins Schulzimmer

Für Philipp Wüthrich hat die Arbeit mit Kindern etwas Bodenständiges.

Für Philipp Wüthrich hat die Arbeit mit Kindern etwas Bodenständiges.

Das halbe Berufsleben war schon um, da begann Philipp Wüthrich (49) ganz von vorne. Verfasste der studierte Geograph bisher Studien zu Verkehrs- und Umweltthemen, liess er sich nun zum Primarlehrer ausbilden. «Ja, Primalehrer, weil es viel zu wenige Männer in diesem Job gibt.» Die Arbeit mit Kindern habe etwas Bodenständiges. «Es ist wichtig, mit jedem einzelnen eine Beziehung aufzubauen und die Gruppendynamik so zu gestalten, dass die Kinder gerne in den Unterricht kommen.» Zuerst ging Wüthrich aber selbst zur Schule. Drei Jahre Vollzeitstudium an der Pädagogischen Hochschule Luzern und Praktika folgten. «Das verlangte viel Disziplin –  von mir, meiner Familie und auch finanzielle», erzählt der dreifache Vater. Eine klassische Jobsuche gab es nicht, er bekam ein Angebot einer Schule, wo er ein Praktikum absolvierte. Den Schulstoff rüberzubringen sei nicht die grosse Herausforderung – Unterrichtseinheiten testet er auch mal zu Hause mit seinem 9-jährigen Sohn. «Konflikte und Mobbing sind schwieriger. Die Lebenserfahrung hilft aber dabei.» Und mit bald 50 und als Quereinsteiger erhalte man von Eltern und dem Team auch Kompetenz attestiert. Nach einem Jahr Unterrichten ist für Wüthrich klar: «Es ist anstrengend, ja. Aber wenn die Kinder vom Gamen mit dem Opa erzählen oder vom kranken Hamster, sind das schöne Beweise, dass es gelungen ist, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen.»

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