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80er-Trend ist zurück

Das Comeback der Rollschuhe

Die einen tun es am See, andere im Wohnzimmer oder in der Disco: Rollschuhfahren. Dank Corona und Social Media feiern wir Wiedersehen mit der Trendsportart der Achtzigerjahre – und wie!

Text Jeanette Kuster
Fotos Anna-Tina Eberhard
Datum
Jeanette Kuster in der Rollerdisco in Gossau

Jeanette Kuster in der Rollerdisco in Gossau

Wollte man die letzten Jahre durch die Gegend rollen, griff man zu Scootern oder Inline-Skates. Klassische Rollschuhe? Die trugen höchstens noch ein paar Kinder und besonders hartgesottene Fans. Doch als das Coronavirus 2020 die Welt lahmlegte, suchten viele nach neuen Wegen, in Bewegung zu kommen. Das Fitnessstudio war geschlossen, Team-Sportarten waren verboten und immer nur Spazierengehen wurde auf Dauer langweilig. Es musste also eine Sportart her, die man draussen an der frischen Luft ohne viel Aufwand ausüben konnte – ­alleine oder mit genügend Distanz zu seinen Freunden. Als die halbe Welt auf der Suche nach einer Lösung für dieses Problem war, postete Oumi Janta aus Berlin auf Instagram ein Video, in dem sie leichtfüssig auf Rollschuhen über den Tempelhof tanzt. Die User waren fasziniert: Das Video ging mit mehr als drei Millionen Views viral und plötzlich wollte jeder auf acht kleinen Rädern rollen.

Niemand hatte damit gerechnet

Hast du deine Rollschuhe auch schon rausgeholt?

Laut Google vervierfachten sich die «Rollerskates»-Suchanfragen weltweit von März bis Mai 2020 und halten sich seither konstant auf einem hohen Level. Viele dieser Suchenden landeten im Internet bei etablierten Rollschuh-Marken wie Impala oder Moxi. «Als wir unsere neue Pastell-Linie während des Lockdowns lancierten, war diese innert eines Tages ausverkauft», staunt Impala-Chef Matt Hill noch heute. Auch die Bestellungen für die relativ teuren Moxi-Skates stiegen von März bis August 2020 um unglaubliche 1000 Prozent an, wie CEO Michelle Stein gegenüber der «Huffington Post» sagt. «Wir erleben ein historisches Hoch im Rollschuh-Geschäft», so Stein, «darauf ist niemand von uns vorbereitet gewesen.» Unterdessen hat Moxi sogar eine zweite Fabrik eröffnet, um die riesige Nachfrage zu bewältigen.

Ein wenig Disco-Glitzer muss schon sein, auch beim Schuh.

Ein wenig Disco-Glitzer muss schon sein, auch beim Schuh. 

Während der Rollschuh-Hype zuerst Amerika und England überrollt hat, ist er mittlerweile auch in der Schweiz angekommen. Draussen auf der Strasse hat man zwar immer noch einen gewissen Exotenstatus als Rollschuhfahrer und wird regelmässig von neugierigen Passanten auf das Hobby angesprochen. Doch die hiesigen Verkaufszahlen sprechen eine deutliche Sprache: Bei der Migros-Tochter Galaxus etwa sind Rollschuhe «so gefragt wie schon lange nicht mehr», bestätigt die Produktverantwortliche Chantal Stössel: «Wir konnten die Abverkäufe 2020 mehr als verdoppeln.» Auch dieses Jahr bleibe die Nachfrage gross. Allerdings habe man aktuell nicht mehr viele Produkte an Lager und es komme teilweise zu massiven Lieferverspätungen, weshalb die Verkäufe vorübergehend zwangsläufig etwas stagnieren werden.

Hier wird gerollt

  • Rorschach: Bis 17. Oktober bietet das Rollland zuerst in Rorschach, danach in Wil und St. Gallen diverse Rollschuh-Anlässe an. Die Anlage kann auch für Hochzeitsfeiern gemietet werden.
  • Zürich: Im Club Xtra in Zürich finden seit 21. August wieder regelmässig Rollschuh-Discos statt.
  • St.Gallen: Die Las Rollitas treffen sich regelmässig zum gemeinsamen Fahren und bieten auch Skate-Lektionen an.
  • Lausanne: Der Roller Skate Club Lausanne unterrichtet Kinder im «Artistic Skating», Erwachsene können den «Dance Skating»-Kurs besuchen.

Rollschuhfahren als Familienhobby

Von Lieferengpässen und langen Wartefristen kann auch Nami Kressebuch ein Liedchen singen. Die junge Frau hat diesen Frühling gemeinsam mit ihrem Mann den Schweizer Online-Shop «Roller Skate Europe» eröffnet, der sich ganz aufs Rollschuhfahren konzentriert. «Die ersten Lieferungen sind erst vier Monate nach Bestellung eingetroffen und kommen nun laufend rein – nicht ideal für einen neuen Shop», sagt Kressebuch.  Andererseits gehe es allen Anbietern gleich und dank Internet und Rollschuh-Trend hätten sie dafür viel zusätzliche Kundschaft aus den Nachbarländern gewinnen können. Apropos Kundschaft: Wer besorgt sich denn nun neue Rollschuhe, fünfzigjährige Nostalgiker oder zwanzigjährige Instagram-Fans? «Bei mir kaufen überwiegend junge, städtische Frauen ein», sagt Nami Kressebuch. Viele von ihnen hätten auch schon Kinder und kauften auch für diese welche, so dass das Rollschuhfahren am Ende oft zum Familienhobby werde.

Jugendliche Besucherinnen der Rollerdisco in Gossau. Das Rollen fühlt sich an wie Fliegen, hört man immer wieder. Man vergisst alles um sich herum, kann den Kopf für eine Weile komplett abschalten.

Jugendliche Besucherinnen der Rollerdisco in Gossau. Das Rollen fühlt sich an wie Fliegen, hört man immer wieder. Man vergisst alles um sich herum, kann den Kopf für eine Weile komplett abschalten.

Ähnlich wie bei Nami Kressebuch. Sie fährt schon länger auf Rollschuhen durch die Gegend, während ihr Mann sie auf dem Skateboard begleitet – der Nachwuchs fährt vorerst noch im Kinderwagen mit. Das Fachgeschäft ist also ein Herzensprojekt für die Skaterin, und dank ihrer Erfahrung hat sie für Anfänger viele wertvolle Tipps parat. «Wir sind zwar ein Online-Shop, aber via Mail sind wir jeden Tag für Fragen erreichbar und wir empfangen die Leute aber auch gerne bei uns im Lager im Aargau.» Kressebuch liebt das Freiheitsgefühl beim Skaten und es ist ihr erklärtes Ziel, mehr Menschen für diese einzigartigen Schuhe auf acht Rollen zu begeistern. Ein Wunsch, der gerade in Erfüllung zu gehen scheint.

Auf den Social-Media-Plattformen Instagram und TikTok, die beide ein jüngeres Publikum anziehen, hat man bisweilen tatsächlich das Gefühl, die halbe Welt tanze auf Rollschuhen durchs Leben. Auch viele Schweizer User sind darunter. Dort also, wo viele von ihnen selbst mit dem Skate-Virus infiziert wurden durch Oumi Janta oder andere Influencer, posten sie nun ebenfalls Videos über ihre Erfolge und Missgeschicke. Dabei sind sie erstaunlich ehrlich: Während Social Media einen sonst dazu verleitet, nur die schönen Seiten des Lebens zu zeigen, sieht man in der Rollschuh-Community auch böse Stürze und lustige Stolperer. Oder riesige Freude über eine kleine Drehung, die von aussen gar nicht nach viel aussieht. Die Realität eben, die einen als Anfänger erwartet.

Was einem beim Betrachten der unzähligen Videos ebenfalls auffällt: Viele üben erst einmal zu Hause im Wohnzimmer oder in der Garage, bevor sie sich hinaus in die grosse Welt trauen. Wer einmal auf Rollschuhen durch die Stadt gefahren ist, weiss, dass sich längst nicht jeder Untergrund zum geschmeidigen Herumkurven eignet. Etwas Fahrpraxis auf dem glatten, ebenen Parkett kann also nicht schaden, bevor man auf dem holprigen Asphalt den Kieselsteinen ausweicht.

Tipps für Anfänger

  • Bei aller Euphorie die Schutzausrüstung nicht vergessen! Handgelenk-Schoner sind wichtig, ein Helm ebenso. Je nachdem, wo man fährt, machen auch Knieschoner Sinn.
  • Rollschuhgrössen sind nicht immer identisch mit Schuhgrössen. Deshalb vor dem Online-Kauf unbedingt die Fusslänge messen.
  • Zu Beginn können beim Rollschuhfahren Schmerzen auftreten, zum Beispiel im unteren Rücken. Meist liegt das nur an der wenig trainierten Muskulatur, also fleissig weiterüben.

Better safe than sorry

Zurück in die Achtziger

Ein Hauch der 80er: Autorin Jeanette Kuster «fliegt» in Gossau in der Wanderrollschuhdisco Rollland über die Bahn und fühlt sich dabei in die Vergangheit versetzt.
Ein Hauch der 80er: Autorin Jeanette Kuster «fliegt» in Gossau in der Wanderrollschuhdisco Rollland über die Bahn und fühlt sich dabei in die Vergangheit versetzt.

Wer das Rollschuhfahren lieber gemeinsam mit anderen ausprobieren möchte, ohne gleich in eigene Skates zu investieren, ist im Rollland am richtigen Ort. Der gleichnamige Verein hat im Juni die «Roll-Tour 2021» lanciert: Eine Wander-Rollschuhdisco, die den Sommer über an vier Standorten in der Ostschweiz Halt macht - Miet-Rollschuhe inklusive. Bis Mitte August steht das Rollland in Rorschach direkt am Bodensee, danach gehts weiter nach Wil. Céline Fuchs ist eine der Initiantinnen des Vereins Rollland. Wegen Corona und diverser Einsprachen wurde ihr grosses Projekt, die Eventhalle Hektor in Sankt Gallen, ausgebremst. «Also sagten wir uns: Anstatt Trübsal zu blasen, gehen wir raus an die frische Luft und lassen unter dem Lichterketten-Himmel nostalgisch die Achtziger wiederaufleben.» Das Rollland war geboren.

Tatsächlich fühlt man sich in der Rollschuh-Disco in die Vergangenheit versetzt. Über der Rollfläche leuchten hunderte Glühbirnen im Abendhimmel, die Discokugel glitzert, am Kiosk gibts pinke Zuckerwatte. Zwanzigjährige kurven neben Mittfünfzigern über die Tanzfläche und egal wie krampfhaft sich manche auf den Füssen halten müssen, strahlen sie doch alle eine Unbeschwertheit aus, die in der jüngsten Vergangenheit selten geworden ist.

Ein Gefühl wie fliegen

Dieses Gefühl beim Rollen, das den Disco-Besuchern ins Gesicht geschrieben steht, ist zweifellos mit ein Grund, weshalb sich das Rollschuh-Fieber so rasant ausbreiten konnte während der Pandemie. Es sei wie Fliegen, hört man immer wieder. Man vergesse alles um sich herum, könne den Kopf für eine Weile komplett abschalten. Gerade für die etwas älteren Rollschuh-Fans ist das Hobby zudem mit reichlich Nostalgie verbunden. Viele von ihnen sind in den Achtzigern als Kinder auf acht Rollen herumgekurvt und holen sich nun diese frühere Sorglosigkeit zurück, während sie auf ihren Skates durch die Gegend fahren.

Dass sie gleichzeitig auch ein Herz-Kreislauf-Training absolvieren, ist für die meisten spätestens nach den ersten paar Kurven zweitrangig. Es geht nicht um Fitness, sondern um den Spass und die Verbundenheit mit den anderen, die genauso fasziniert sind vom Rollen auf acht Rädern. Und ein wenig auch um das befreiende Gefühl, der aktuellen Weltlage für einen Moment den Rücken zu kehren und beschwingt davonzukurven.

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