Im ersten Zeugnis, das der Erstklässler stolz nach Hause bringt, prangt eine Verwarnung. Der Sohn hat offensichtlich Mühe, sich in der Klasse zu konzentrieren. Sein Vater ist ratlos: «Was lernt mein Kind nun daraus?»
In Schweizer Schulzimmern hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Kinder werden individueller unterrichtet, lernen mit elektronischen Plattformen, in Teams oder in ihrem eigenen Tempo. Doch Strafen, die ins Leere laufen, weil sie keinen Lerneffekt nach sich ziehen oder Schülerinnen und Schüler abwerten, gibt es immer noch. Klein und lächerlich gemacht werden Kinder, wenn die Lehrperson entnervt mit den Augen rollt oder gar ruft: «Jetzt hast du‘s wieder nicht gekonnt!» Auch Nachsitzen bei unerwünschtem Verhalten oder Hausregeln abschreiben sind noch an der Tagesordnung.
Die Psychologin Irina Kammerer leitet den Bereich Beratung und Therapie für Kinder, Jugendliche und Familien am Psychotherapeutischen Zentrum des Psychologischen Instituts der Uni Zürich und hat sich intensiv mit Belohnung und Bestrafung im erzieherischen Kontext auseinandergesetzt. Sie sagt: «Strafen, aus denen ein Kind nichts lernt, ändern sein Verhalten nicht.» Im Gegenteil. Lautet die Botschaft nur «Du kannst es nicht», rutscht höchstens sein Selbstwertgefühl in den Keller.