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Dauerregen, Hagel, Frost

So reagiert die Migros auf die Ernteausfälle

Frost, Hagel und Dauerregen haben Gemüse- und Obstproduzenten arg zugesetzt. Erwin Büsser, der für die Migros Gemüse und Früchte einkauft, sagt, wovon es zu wenig gibt, wie die Migros die Lücken füllt und wie das Gemüsejahr 2021 doch noch glimpflich enden könnte.

Text Benita Vogel
Fotos Keystone, Peter Schneider
Datum
Im Juli waren Agrarflächen wie hier in Galmiz im Seeland überschwemmt.

Wasser wohin das Auge reicht. Im Juli waren Agrarflächen wie hier in Galmiz im Seeland überschwemmt. 

Erwin Büsser weiss wovon er spricht, wenn es um den Anbau von Kartoffeln, Salat oder Aprikosen geht. Er ist gelernter Landwirt und Agrarwirtschafter. Als sein Bruder den Hof der Eltern übernahm,  sattelte er um. «Mich interessierte schon immer das grosse Ganze: Die komplette Wertschöpfungskette, der weltumspannende Handel mit Landwirtschaftsprodukten», sagt der Leiter Category Management Früchte, Gemüse, Blumen und Pflanzen beim Migros Genossenschafts-Bund (MGB). Seinen Job hat er von der Pike auf erlernt. 2007 stieg er als Gemüse-Einkäufer beim MGB ein und arbeitete sich hoch. «Nirgends sind die Produktionsrisiken und -schwankungen so gross wie bei Gemüse und Früchte.» Dieses Dringliche bekomme er täglich zu spüren – nicht nur wenn das Wetter verrückt spiele.

Herr Büsser, wovon gibt es zur Zeit zu wenig?
Bio-Kartoffeln zum Beispiel. Die Schweizer Bio-Kartoffelernte fällt um rund die Hälfte tiefer aus als in einem normalen Jahr. Starke Einbussen gibt es auch beim Salat, beim Blumenkohl, Fenchel, den Zwiebeln oder bei den Karotten. Auch bei Tomaten, Auberginen oder Gurken, die im Gewächshaus angebaut werden, verzeichnen wir Rückgänge aufgrund des fehlenden Lichts. Bio- und Demeter-Kulturen wurden dabei stärker getroffen, weil es hier weniger Schutzmöglichkeiten gibt als im konventionellen Anbau. In guten Jahren können wir diese Sorten im Sommer meist zu 100 Prozent aus der Schweiz beziehen. Über das ganze Kalenderjahr liegt der Gemüse-Inlandanteil bei 70 bis 80 Prozent, heuer sind es nun weniger.

Der Sommer sorgte für Bilder des Schreckens. Welches war der bangste Momente in diesem Jahr?
Diese hatten wohl vor allem die Produzenten. Frost, Hagel und Dauerregen nach- und miteinander gab es zuvor selten. Wenn die blühenden Aprikosenbäume im Frühling vom Frost zerstört, die Birnen im Juni verhagelt werden und im Juli der Salat unter Wasser steht, sind das harte Schläge für einen Produzenten. Der Handel muss die fehlende Ware ersetzen – das ist vergleichsweise einfach.

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Erwin Büsser, Leiter Category Management Früchte, Gemüse, Pflanzen, Blumen MGB. (Bild: Gunnar Knechtel)

Trotzdem muss die Migros auf Schildern in den Filialen über Engpässe informieren.
Das kann je nach Region und Produkt vorkommen. Schwierig wird es beispielsweise, wenn ein Salatfeld kurz vor der Ernte überschwemmt wird. Da bleibt nur wenig Zeit, um Ersatz zu finden. Zudem dauert es bei den anhaltenden Niederschlägen einige Zeit, bis die Felder trocken genug sind, um sie wieder mit Maschinen zu befahren. Das führte zu weiteren Verzögerungen. Bei Frostschäden an Obstbäumen im Frühling haben wir mehr Spielraum, um Ernteausfälle zu kompensieren.

Wo kauft denn die Migros ein, wenn es nirgends Ware gibt?
Wir haben enge Partnerschaften mit Produzenten im In- und Ausland. Rund die Hälfte des hierzulande verkauften Gemüses und Früchte wird importiert, inklusive Zitrusfrüchte oder Bananen aus Übersee. Reicht die Schweizer Produktion nicht aus, weichen wir aus. Wir konnten beispielsweise von einem Spargellieferanten in Süddeutschland kurzfristig auch Salat beziehen. Geholfen hat auch, dass es ins Spanien und Italien schön und wärmer war und es dort bessere Ernten von Broccoli und Fenchel gab.

Auch die Qualität leidet. Bietet die Migros Hand und kauft den Produzenten auch weniger schöne Ware ab?
Ja, wir haben im vergangenen Jahr ein Programm «Ganz schön anders» gegen Foodwaste lanciert. 2020 boten wir übergrosse Karotten aus dem Gastrokanal an, weil die Restaurants wegen Corona zu waren. Aktuell sind es kleinere Rüebli, weil sie wegen des langsameren Wachstums früher geerntet werden. Es gibt Konsumentinnen und Konsumenten, die sich nicht bewusst sind, dass optisch weniger schönes Gemüse oft genau so gut ist wie makelloses. Kartoffeln mit Flecken kann man gut zu Rösti oder Gratins verarbeiten. Und die rötlichen Stellen im Salat-Gerippe, die wegen der Nässe entstehen, kann man einfach wegschneiden.

Wenn alles knapp wird, steigen die Preise. Wie viel teurer werden Gemüse und Früchte?
Die Preise sind sehr dynamisch, von Angebot und Nachfrage abhängig. Im Einkauf gab es Sorten, wie Blumenkohl, deren Preise sich zeitweise verdoppelt haben. Das sind aber Ausreisser. Wir streben bei den Verkaufspreisen eine stabile Entwicklung an, indem wir beispielsweise auf Aktionen verzichten oder solche verschieben. Zudem kann sich die angespannte Mengensituation durchaus noch entspannen.

Wie das?
Das Wetter in den kommenden Wochen ist entscheidend. Jetzt brauchen wir warme Tage mit über 20 Grad und kühle Nächte. Wenn der Temperaturunterschied gross ist, gibt es etwa schön rote und reife Äpfel. Bei diesen Bedingungen stehen auch die Chancen gut, dass wir mit gut gefüllten Rüebli-Lager in den Winter starten. Beim Salat, Zucchetti und Gurken gibt es ebenfalls Aufholpotenzial. Diese Sorten haben kürzere Vegetationsperioden.

Kann man auch einfach mit Dünger nachhelfen?
Nein, zu wenig Licht und Wärme kann man nicht mit Dünger kompensieren.

Mit dem Klimawandel werden  Dürren und Dauerregen häufiger. Wie rüstet sich die Migros dafür?
Wir sind in aktivem Austausch mit Produzenten und Forschern darüber, welche Sorten sich bei Extremverhältnissen und standortspezifisch am besten eignen. Auch Gewächshäuser bieten eine Möglichkeit, Produkte vor Witterungsextremen zu schützen. Eine weitere Möglichkeit ist vertical Farming. Beim Basilikum aus der Indooranlage spielt das Wetter keine Rolle, er ist super frisch und muss nicht transportiert werden. Wenn die Anlage mit erneuerbarer Energie betrieben wird, kann das eine ökologisch nachhaltige Anbauart sein – sofern die Konsumentinnen und Konsumenten dies auch wollen.

Gibt es überhaupt etwas, was Ihnen bange Momente bereitet?
Es sind die unangekündigten Ereignisse, die uns beschäftigen. Wenn es zu Bahn- und LKW-Streiks kommt. Wenn Stürme ganze Schiffe blockieren oder einzelne Container  von der Ladefläche fegen. Und für bange Momente sorgte die Covid-Pandemie im Frühling 2020. Damals schrie ganz Europa nach Gemüse und Früchten, aber die Transportmöglichkeiten fehlten. Wir arbeiteten hart, um mithelfen zu können, die Versorgung mit Gemüse und Früchte in der Schweiz sicherzustellen.

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