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Hunde mit Behinderungen

Happy mit Handicap

Annabelle Gossweiler-Furter ist Präsidentin des Vereins für behinderte Hunde – und Halterin der gelähmten Happy. Auch Hunde mit Behinderung ein Recht auf ein gutes Leben, sagt sie. 

Text Simon Koechlin
Fotos Jorma Müller
Datum
Annabelle Gossweiler-Furter zieht sie ihrer querschnittgelähmten Mischlingslady Happy den Rollstuhl an. 

Annabelle Gossweiler-Furter zieht ihrer querschnittgelähmten Mischlingslady Happy den Rollstuhl an. 

Happy ist zappelig vor Aufregung. Die kleine Hündin stellt ihre grossen Ohren auf und wackelt mit dem hellbraunen Schwanz. Sie weiss genau: Wenn ihre Halterin Annabelle Gossweiler-Furter zur Jacke greift, ist es Zeit für einen Spaziergang. Oder für eine Runde Herumtoben im Garten in der Aargauer Gemeinde Kölliken.

Allerdings funktionieren das Laufen und Herumtollen bei Happy etwas anders als bei den meisten Hunden. Happy ist querschnittgelähmt. Als Welpe wurde sie in Rumänien angefahren. Der Zusammenprall durchtrennte die Nerven in ihrem Wirbelkanal. Seither kann sie ihre Hinterbeine nicht mehr bewegen.

Deswegen greift Annabelle Gossweiler-Furter nicht nur zur Winterjacke, wenn sie mit Happy an die frische Luft geht, sondern auch zu einem Eisengestell, an dem zwei Räder befestigt sind. Es ist ein Rollwagen, der Happy das Gehen erleichtert. Nicht, dass die Mischlingshündin ohne dieses Gerät hilflos wäre: Als ihre Halterin die Haustür öffnet, hüpft sie auf ihren Vorderbeinen erstaunlich flink ins Freie. «Aber für weitere Strecken ist Happy auf den Rolli angewiesen», sagt Gossweiler-Furter.

Rettung in Rumänien

Die 40-Jährige, die mit Hunden aufgewachsen ist und die Tiere immer um sich hatte, ist Präsidentin des Vereins für behinderte Hunde, der sich als Anlaufstelle für Halterinnen und Halter versteht, deren Hunde mit Behinderungen verschiedener Art leben (siehe Kasten). Happy ist bereits Gossweiler-Furters vierter derartiger Schützling, seit sie 2016 eine Hündin mit einer Gehbehinderung von einem Tierschutzeinsatz in Rumänien heimbrachte. «Sie hiess Kathy und hatte bei einem Unfall ein Hinterbein verloren, worauf Tierquäler ihr das zweite auch noch abschnitten.»

Die Akzeptanz für Hunde mit einem Handicap sei zwar in den letzten Jahren gestiegen. Aber noch immer werde sie zuweilen als Tierquälerin bezeichnet, sagt Annabelle Gossweiler-Furter. Dabei ist Happy mit ihrem Hilfsgerät total happy.

Die Akzeptanz für Hunde mit einem Handicap sei zwar in den letzten Jahren gestiegen. Aber noch immer werde sie zuweilen als Tierquälerin bezeichnet, sagt Annabelle Gossweiler-Furter. Dabei ist Happy mit ihrem Hilfsgerät total happy.

Gossweiler-Furter merkte rasch, dass es Rollwagen in allen Preisklassen gibt – aber auch in unterschiedlicher Qualität. «Happy hat einen Ferrari», sagt sie und lacht. Das Modell stamme von einem Hersteller in Deutschland, sei individuell angepasst, koste aber auch 1200 Franken. Günstigere Modelle hätten oft wackelige Räder oder würden in Höhe und Länge nicht genau stimmen, was zu Fehlbelastungen führe.

Weil Gossweiler-Furter mit den ersten Rollwagen nicht zufrieden war, begann sie daran zu schrauben, zu bohren und zu schweissen. «Mein Vater hatte eine Werkstatt, das handwerkliche Geschick wurde mir also quasi in die Wiege gelegt», sagt sie. Weil andere Halter ähnliche Probleme haben, gründete sie vor zwei Jahren ein kleines Rollwagen-Reparaturgeschäft. Für ihre Aufträge fährt sie mit ihrer Werkzeugkiste im Gepäck meist gleich zur Kundin nach Hause. «Um ein Wägelchen anpassen zu können, muss ich sehen, wie der Hund damit läuft», sagt sie.

Dank dem Rollstuhl ist für Hündin Happy heute wieder fast alles möglich. Für seine Halterin bedeutet einen Mehraufwand. 

Dank dem Rollstuhl ist für Hündin Happy heute wieder fast alles möglich. Für seine Halterin bedeutet einen Mehraufwand. 

Wer sich um einen gelähmten Hund kümmert, braucht neben einem guten Rollwagen eine rechte Portion Aufopferungswillen. «Gelähmte Tiere haben oft Probleme mit der Verdauung», erzählt Gossweiler-Furter. «Manche Halter müssen ihrem Hund deshalb mehrmals pro Tag die Blase ausdrücken.» Wie man das mache, wüssten oft auch Tierärzte nicht – in solchen Fällen gebe der Verein wertvolle Tipps.

Häufige Hunde-Behinderungen

Wie beim Mensch gibt es bei Hunden verschiedene Behinderungsarten. Und das Handicap jedes Tieres sei anders, sagt Annabelle Gossweiler-Furter. «Man muss stets die jeweilige Situation anschauen, um zu helfen.»

  • Blindheit
    Häufige Erblindungsgründe bei Hunden sind der Graue und der Grüne Star. Oft könnten sich aber blinde Hunde gut zurechtfinden, dank ihres Geruchsinns und Gehörs.
  • Taubheit
    Besonders weisse Hunderassen sind anfällig auf Gehörprobleme. Das liegt an einem Pigmentmangel im Innenohr. Taube Hunde seien oft nicht besonders eingeschränkt, sagt Gossweiler-Furter. Für den Rückruf existieren Halsbänder, die auf Knopfdruck des Halters leicht vibrieren.
  • Gehbehinderung
    Unfälle wie bei Happy sind nur eine der Ursachen für Gehbehinderungen: Amputationen können bei Knochenkrebs nötig sein. Lähmungen entstehen bei Wachstumsstörungen oder degenerativen Erkrankungen.
  • Epilepsie
    Epilepsie ist bei Hunden relativ häufig. Dagegen gibt es Medikamente, doch sie müssen richtig eingestellt sein. Oft verschwinden die Anfälle aber auch damit nicht komplett.

Kampf gegen Vorurteile

Draussen wartet Happy auf ihre Gehhilfe. Geduldig lässt sie sich das am Rollwagen befestigte Brustgeschirr überziehen und die gelähmten Hinterbeine in zwei Schlaufen einhängen, damit sie diese nicht am Boden nachschleift. Dann saust sie los: In einem Affenzahn rollt sie über den Rasen, um einen Baum herum, und wieder zurück. Das holprige Terrain ist kein Hindernis für sie. Für längere Touren empfehle sich aber ein Rucksack, um den Hund darin beispielsweise eine Treppe hochzutragen, sagt die Expertin.

Anstrengend, das räumt Gossweiler-Furter ein, ist der Kampf gegen Vorurteile. Die Akzeptanz für Hunde mit einem Handicap sei zwar in den letzten Jahren gestiegen. Aber noch immer werde sie zuweilen als Tierquälerin bezeichnet, weil sie Happy nicht von ihrem Leid erlöse. «Man hat mir schon gesagt, solche Hunde würde man besser über die Tischkante schlagen.»

An manchen Tagen könne sie mit solchen Bemerkungen besser umgehen, an anderen schlechter. «Ich bin nicht dafür, dass man ein Tier um jeden Preis am Leben erhält.» Aber wenn ein Hund mit einer Behinderung zufrieden und zwäg sei, habe auch er das Recht auf ein gutes Leben. «Mit Happy zum Beispiel kann ich zwölf Kilometer weit wandern.» Wer die Hündin im Garten hin- und herrennen sieht, hat keinen Zweifel, dass sie solche Touren geniesst.

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