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Besuch in der Kofferklinik

Erste Hilfe für kaputte Koffer

Lukas Theiler und Claudia Casanova reparieren im Auftrag von Fluggesellschaften ramponiertes Reisegepäck. Sie flicken alles – vom verbogenen Rädchen bis zur aufgeschlitzten Tasche.

Text Michael West
Fotos Herbert Zimmermann
Datum
Letzter Finish: Claudia Casanova reinigt mit dem Staubsauger einen Alukoffer, der gerade neue Rollen bekommen hat.

Letzter Finish: Claudia Casanova reinigt mit dem Staubsauger einen Alukoffer, der gerade neue Rollen bekommen hat.

Der kleine Alukoffer sieht jämmerlich aus: Er ist zerschrammt und zerbeult wie ein Auto nach einem Crash. Lukas Theiler klappt den Deckel auf und löst vorsichtig das Futter aus dem Metallgehäuse. Dann greift er zu einem Hammer und einem gepolsterten Kunststoffmeissel. Mit gezielten Schlägen klopft er das ramponierte Köfferchen wieder in Form.

«Das Ausbeulen von Gepäckstücken aus Aluminium macht mir besonders Spass», sagt der 33-Jährige, der eigentlich Motorradmechaniker von Beruf ist. «Das erinnert mich immer ein wenig an die Arbeit in einer ­Karosseriespenglerei.»

Rasante Reparatur

Wir befinden uns in Emmen LU in einem ganz besonderen Spital, der sogenannten Kofferklinik. Die Patienten hier sind Reisetaschen, Rucksäcke und vor allem Koffer in allen Grössen, Farben und Formen. Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie auf einer Flugreise mehr oder weniger stark ­beschädigt wurden: Sie haben Dellen, Risse, verklemmte Schlösser, abgeris­sene Griffe oder verbogene Rädchen. Die ramponierten Gepäckstücke werden auf Kosten von Swiss und weiterer Airlines in der Kofferklinik repariert. Das dauert im Schnitt zwei Werktage, danach geht das Gepäckstück in ­einer Kartonschachtel an den Besitzer oder die Besitzerin zurück.

Die Kofferklinik gehört zu Pack Easy, dem mit 60 Jahren ­ältesten Gepäckhersteller der Schweiz. «Doch wir flicken hier natürlich nicht nur unsere eigenen Produkte, sondern ganz unparteiisch Koffer und Taschen aller Marken», erklärt Marion Klein (59), Chefin der Traditionsfirma.

Vor der Pandemie lieferten die Airlines jährlich 11 500 ramponierte Gepäckstücke an die Werkstatt. In der Coronazeit sank die Zahl drastisch. Für diesen Sommer und Herbst erwartet Klein nun wieder enorm viel ­Arbeit: «Die Leute wollen ­verpasste Reisen nachholen. Den Flughäfen fehlt jetzt aber das Personal, um die riesige Gepäckflut zu bewältigen. Je grösser die Hektik in der Logistik ist, desto häufiger werden Gepäckstücke unsanft behandelt und dabei beschädigt.»

In der Kofferklinik ist man bestens gerüstet, um die vielen neuen Patienten zu versorgen. Dabei arbeiten in der grossen Werkstatt, nur zwei Leute: Neben Lukas Theiler kümmert sich hier Claudia Casanova um kaputte Gepäckstücke. Gerade hantiert sie mit einem wuchtigen, pistolenförmigen Werkzeug – sie nietet damit neue Rädchen an einen Koffer. Die 43-Jährige war früher Hotelfachassistentin. Sie hat zeitweise als Dreherin in einer Schlagzeugmanufaktur und auch in der Produktion von chirur­gischen Instrumenten gearbeitet.

Werkzeug aus der Chirurgie

Wie ihr Kollege Theiler ist auch Casanova nie um Ideen verlegen, wenn es um die Lösung kniffliger Probleme geht. Sie hat zum Beispiel herausgefunden, dass sich mit Arterienklemmen aus der Chirurgie sehr gut ein Reissverschluss fixieren lässt, bevor man einen neuen Zipper einfädelt.

Dem Kofferklinik-Team steht bei seiner vielseitigen Arbeit ein imposantes Arsenal an Werkzeugen zur Verfügung. Unverzichtbar ist auch das grosse Ersatzteillager. Wenn sich ein Gepäckstück nicht mehr reparieren lässt, wird es fachgerecht entsorgt und rezykliert. Einzelteile wie Rädchen, Schlösser oder Schnallen gehen dann entweder in die Metallsammlung oder kommen ins Lager. So sind auch Ersatzteile für ältere Koffermodelle vorrätig. Manchmal braucht es neben der richtigen Ausrüstung und dem Know-how auch viel Geduld, um ein Gepäckstück wieder instandzusetzen. Theiler erzählt von ­einer Kundin, der ein Glas hausgemachter Tomatensauce in ihrem geliebten Koffer zerbrochen war: «Wir haben das Futter mit sanften Reinigungsmitteln gewaschen, trocknen lassen und nochmals gewaschen. Nach drei Tagen war der Koffer sauber.»

Starke Gefühle für Gepäckstücke Für manche Menschen sind Gepäckstücke zwar bloss austauschbare Nutzgegenstände, andere verbinden damit aber starke ­Gefühle. Das zeigt sich in den Zuschriften zufriedener Kundinnen und Kunden, die immer wieder in der Werkstatt eintreffen. «Es ist der erste selbst gekaufte Koffer meiner Tochter», heisst es zum Beispiel in einer Mail. «Was für eine Freude, dass Sie uns helfen konnten.» Und eine andere Kundin schreibt: «Ich bin sehr erleichtert, dass mich mein heiss geliebter Koffer nicht verlassen musste und sich reparieren liess.»

Keine Angst vor Reisen

Wie halten es Theiler und ­Casanova eigentlich selber mit dem Reisen? Können sie ihr Gepäck noch unbesorgt einchecken, wenn sie an die kaputten Koffer und Taschen in ihrer Werkstatt denken? Beide haben damit kein Problem: Theiler war kürzlich auf einer dreiwöchigen Rucksacktour durch Sri Lanka, Casanova kann es nicht erwarten, endlich wieder einmal in ihre Traumstadt Los Angeles zu fliegen.  

Hat Spass bei der Arbeit: Lukas Theiler bringt Koffer in allen Farben und Grössen wieder in Schuss.

Hat Spass bei der Arbeit: Lukas Theiler bringt Koffer in allen Farben und Grössen wieder in Schuss.

Ganz vergessen können Sie ihre Arbeit in den Ferien allerdings nicht. «Manchmal sehe ich an einem Flughafen, dass ruppig mit dem Gepäck um­gegangen wird», sagt Casanova. «Dann denke ich immer: Jetzt kommt wieder Nachschub für die Kofferklinik.» 

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