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Fachkräftemangel in der Gastrobranche

Volle Terrassen, aber kein Personal

Kellnerinnen und Kellner sind landauf, landab Mangelware. Um dennoch Mitarbeiter zu finden, müssen die Betriebe neue Wege gehen. Eine Bestandesaufnahme. 

Text Manuela Enggist
Datum
In vielen Restaurant fehlen heute nicht die Gäste, sondern das Personal. (Bild: Keystone)

In vielen Restaurant fehlen heute nicht die Gäste, sondern das Personal. (Bild: Keystone)

Die Sonne drückt an diesem Tag nur selten durch. Die roten ­Sonnenschirme der Pumpstation an der Seepromenade in Zürich sind auch am Nachmittag ­geschlossen. Es sitzen nur ver­einzelt Gäste an den Tischen. Was Michel Péclard früher gewurmt hätte, entlastet ihn heute. Denn schlechtes Wetter bedeutet für ein Restaurant mit Sonnenterrasse, dass weniger Personal gebraucht wird; Personal, das heute überall fehlt. Denn Kellnerinnen und Kellner sind Mangel­ware geworden.

Pumpstation Zürich: Eklatanter Personal­mangel. Das Unter­nehmen von Michel Péclard mit insgesamt 13 Lokalen versucht mit ­Gratisfitnessabos und flexibleren Arbeits­zeiten neue Serviceangestellte für sich zu gewinnen. (Bild: zvg)

Pumpstation Zürich: Eklatanter Personal­mangel. Das Unter­nehmen von Michel Péclard mit insgesamt 13 Lokalen versucht mit ­Gratisfitnessabos und flexibleren Arbeits­zeiten neue Serviceangestellte für sich zu gewinnen. (Bild: zvg)

Wo gehst du im Sommer am liebsten ausswärts Essen?

Es sei unvorstellbar, was in der Branche derzeit ablaufe, sagt Péclard. Ihm gehören neben der «Pumpstation» noch 13 weitere Betriebe in Zürich. 420 Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter ­beschäftigt der Gastronom ­insgesamt. «In der Gastronomiebranche kämpfen wir mit harten Bandagen um jeden einzelnen Mitarbeiter.» Die Lage sei schon vor der Pandemie schwierig ­gewesen. «Und Corona hat alles noch beschleunigt.» Ein Teil des Problems: Die Generation Z, also die nach 1995 Geborenen, sei nicht mehr bereit, an den ­Wochenenden und am Abend zu arbeiten. «Die jungen Leute ­stellen ihre Freiheit und ihr ­Privatleben über ihren Beruf.» Das mache es schwer für die Branche. «Da nützt es auch nichts, wenn wir bereit sind, zwei Franken mehr pro Stunde zu bezahlen als alle anderen.» Péclard und sein Geschäftspartner Florian Weber versuchen nun, mit Gratisfitnessabos für die Zimmerstunden oder flexibleren Arbeits­modellen neues Personal für sich zu gewinnen.

Softfaktoren werden immer wichtiger

Solothurn, die Barockstadt an der Aare. Die Genossenschaft Baseltor betreibt sechs Betriebe und beschäftigt 120 Mitarbei­tende. Auch bei ihnen mangelt es vor allem an einem: Servicefachpersonal. Zwei Stellen sind derzeit offen. Andreas Richard, Vorstandsmitglied der Genossenschaft, sagt, dass bereits drei Lokale nur noch sechs statt sieben Tage offen haben. Als Genossenschaft, die die Mitarbeiterinnen am Gewinn beteiligt, hat sie ­derzeit aber noch einen Bonus bei langjährigen Arbeitnehmern. «Wir funktionieren wie eine grosse Familie», sagt Richard. Im zweiten Jahr der Coronapandemie hat die Genossenschaft die 20 Prozent Lohn, die der Staat in der Kurzarbeit nicht deckte, bezahlt. «Uns war es wichtig, ­unseren Mitarbeiterinnen zu zeigen, dass wir uns um sie kümmern.» Das seien Softfaktoren, die immer wichtiger werden. «Aber wenn wir neues Personal rekrutieren möchten, ist es schwierig.» Mittlerweile wissen auch einzelne Arbeitnehmer, dass sie am längeren Hebel sitzen. «Manchmal werden Löhne gefordert, die einfach nicht mehr marktüblich sind.»

Genossenschaft Baseltor Solothurn: Zwei Stellen sind ­derzeit vakant, drei Lokale haben nur noch an sechs Tagen geöffnet. ­Mass­nahmen: flexiblere Jobsharing-­Modelle, Sprachkursangebote, ­Optimierung der Arbeitszeiten. (Bild: zvg)

Genossenschaft Baseltor Solothurn: Zwei Stellen sind ­derzeit vakant, drei Lokale haben nur noch an sechs Tagen geöffnet. ­Mass­nahmen: flexiblere Jobsharing-­Modelle, Sprachkursangebote, ­Optimierung der Arbeitszeiten. (Bild: zvg)

Auch Andreas Richard bemerkt, dass es vor allem die ­Arbeitszeiten der Branche immer schwerer machen. «Das sind Faktoren, die wir nur bedingt ­ändern können. Die Leute ­wollen nun mal am Abend essen ­gehen, und nicht mitten am Nachmittag.» Er glaubt, dass die Betriebe selbst handeln müssen, um attraktiv zu bleiben. Die Genossenschaft Baseltor hat einen ganzen Massnahmenstrauss ausgearbeitet. «Wir arbeiten an Unterkünften für Mitarbeiter, flexiblen Jobsharing-Modellen, Optimierung der ­Arbeitszeiten und überlegen uns, wie wir Mitarbeiter aus dem Aus- land bei Behördengängen besser unterstützen können.» Auch Sprachkurse seien ein Thema. Die Genossenschaft hat inzwischen eine Person eingestellt, die dafür sorgt, dass diese Massnahmen auch umgesetzt werden.

Mangelnde Wertschätzung

In Interlaken im Berner Oberland führt Sonja Salzano ge­meinsam mit ihrem Mann und den zwei Söhnen das Salzano Hotel-Spa-­Restaurant. 30 Mitarbeiter kümmern sich um Touristen und Stammgäste aus der Schweiz. Spontan hat die ­­Familie Salzano im April ein zusätzliches Restaurant am ­Thunersee übernommen. Die ­geplante Eröffnung per Mitte Mai musste die Familie verschieben, weil zu wenig Personal da war.

Salzano Interlaken BE: Weil zu wenig Personal da war, musste die Eröffnung eines zusätzlichen Restaurants ­verschoben werden. Hier will man generell den Beruf attraktiver und auf die Aufstiegs- und Weiterbildungs­möglichkeiten aufmerksam machen. (Bild: zvg)

Salzano Interlaken BE: Weil zu wenig Personal da war, musste die Eröffnung eines zusätzlichen Restaurants ­verschoben werden. Hier will man generell den Beruf attraktiver und auf die Aufstiegs- und Weiterbildungs­möglichkeiten aufmerksam machen. (Bild: zvg)

2021 wurde Sonja Salzano vom Branchenverband zur besten Berufsausbildnerin gekürt. Sie liebe es, junge Talente zu ­fördern und in der Gastronomie auszubilden. «Das wird immer schwieriger. Der Stellenwert des Berufs ist gesunken», sagt die versierte Ausbildnerin. ­Dabei sei eine Restaurationsfachfrau viel mehr als nur eine Serviertochter. «Sie ist Gast­geberin, Psychologin, Weinkennerin und vieles mehr. Zudem ­bieten sie einen professionellen Service.» Es werde auch unterschätzt, was die Branche für ­Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten biete. «Man kann an der Hotelfachschule weiterstudieren, kann Hoteldirektorin werden oder für einige spannende Jahre im Ausland arbeiten.»

Das Wirtshaus Rütihof liegt eingebettet zwischen grünen Wiesen in Gränichen AG. Am Wochen­ende kommen vor allem Ausflügler und Familien, die die Sonne auf der grossen Terrasse geniessen wollen. Rund 30 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Es sind zu wenige, um den Betrieb wie gewohnt ­aufrechtzuerhalten. Drei Stellen im Service sind derzeit unbesetzt. «Wir nehmen weniger Reser­-va­tionen an und führen weniger Bankette durch, als wir vom Platz her eigentlich könnten», sagt Gabriela Gerber, die für das Personal im «Rütihof» verantwortlich ist. «Schweizerinnen und Schweizer wollen nicht mehr im Service arbeiten.» Sie wisse, dass die Bedingungen nicht ideal seien. «Die unregelmässigen Arbeitszeiten, der Stress und die Tatsache, dass es eine Tieflohnbranche ist.»

Wirtshaus ­Rütihof  Gränichen AG: Hier sind drei ­Stellen ­unbesetzt, es werden ­weniger Reservationen angenommen und weniger Bankette durchgeführt. Überdurchschnittliche Löhne plus die Einführung einer Früh- und Spätschicht ­sollen neues Personal anlocken. (Bild: zvg)

Wirtshaus ­Rütihof  Gränichen AG: Hier sind drei ­Stellen ­unbesetzt, es werden ­weniger Reservationen angenommen und weniger Bankette durchgeführt. Überdurchschnittliche Löhne plus die Einführung einer Früh- und Spätschicht ­sollen neues Personal anlocken. (Bild: zvg)

Gabriela Gerber glaubt, dass viele Mitarbeitende aus der Branche während der Pandemie auf den Geschmack freier Abende und Wochenenden gekommen seien. «Und einige davon haben sich während der Pandemie ­umschulen lassen.» Der «Rütihof» versucht, dagegenzuhalten. «Wir bezahlen unserem neuen ungelernten Mitarbeiter aus Deutschland einen Einsteigerlohn von 4600 Franken», sagt Gerber. Das sind gut 1100 Franken mehr als der vertraglich festgelegte Mindestlohn. Zudem hat der Betrieb die Zimmerstunde gestrichen, um den Mitarbeitern entweder eine Früh- oder Spätschicht anbieten zu können. Aber nicht alle seien glücklich damit. «Manche schätzen die paar freien Stunden am Nachmittag. Sie können dann in die Badi gehen, wenn alle anderen im Büro sind.»

Keine Hierarchien

In Ranflüh BE im Emmental führt Doris Grossen gemeinsam mit ihrem Mann seit 14 Jahren den Landgasthof Bären. Die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tischen den Gästen von Diens- tag bis Samstag Spezialitäten aus der Region auf. Personalsorgen hat Doris Grossen keine. Warum sie derzeit nicht vom Fachkräftemangel betroffen ist, wisse sie auch nicht so genau. Sie seien ein Familienbetrieb, bei dem alle mitanpacken. «Es gibt hier keine Hierarchien. Ich putze genau-­so die Toiletten wie meine Mit­arbeiter.» Während der Schliessungen habe sie sich um ihr Personal gekümmert. «Ich habe regelmässig mit meinen Mitarbeitern ­telefoniert, gefragt, wie es ihnen geht.» Die meisten kommen aus der Region, kennen Grossen seit Jahren. «Ich versuche, ihnen die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdienen.»

Landgasthof ­Bären Ranflüh BE: In diesem Emmentaler  Familienbetrieb kennt man keine Personal­sorgen. Alle packen mit an, die Wert­schätzung der Angestellten wird hier grossgeschrieben.  (Bild: zvg)

Landgasthof ­Bären Ranflüh BE: In diesem Emmentaler  Familienbetrieb kennt man keine Personal­sorgen. Alle packen mit an, die Wert­schätzung der Angestellten wird hier grossgeschrieben. (Bild: zvg)

Der massive Mangel an Servicepersonal beschäftigt auch den Branchenverband Gastrosuisse. Anfang Juni stellte Präsident Casimir Platzer an der Delegiertenversammlung einen Fünf-Punkte-Plan vor, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. So soll unter anderem das Berufsimage mittels Kampagnen verbesssert und der berufliche Nachwuchs sichergestellt werden. «Das versuchen wir, indem wir die jungen Leute auf den ­sozialen Medien auf die ­vielen positiven Aspekte einer An­stellung in der Gastrobranche hinweisen.»

Casimir Platzer führt seit 32 Jahren ein Hotel in Kander­steg BE. So lange, sagt er, gebe es auch den Fachkräftemangel schon. «Es gab immer wieder Zeiten, in denen es an Personal fehlte.» Aber Corona habe die Krise massiv verschärft. ­Des­wegen reagiere der Verband nun. «Aber auch unser Verband verfügt über keine Schatzkiste, aus der wir Personal zaubern können.» Die Betriebe seien auch selbst dafür verantwortlich, attraktiv zu bleiben. Bei ihm selbst seien derzeit keine Stellen un­besetzt. Seinen Mitarbeitern ­offeriert er beispielsweise gratis Bergbahnabos und Mountainbikes, die sie benutzen können.

Hotelfachschule setzt auf berufsbegleitende Ausbildung

Gegensteuer geben wollen auch die Hotelfachschulen. An der Schule in Zürich sind die Eintritte in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, sagt der Kommunikationsverantwortliche Jürg Neuenschwander. Nun hat die Schule einen neuen Studiengang konzipiert, der es ermöglicht, die Hotelfachschule Zürich ab Herbst 2022 berufs­begleitend zu absolvieren.

«Wir haben gemerkt, dass wir flexibler werden müssen. Die junge Generation hat neben dem Beruf noch viele andere Priori­täten.» So erhofft sich die Hotelfachschule, dass sich wieder mehr junge Menschen für diese Ausbildung entscheiden. Damit in der Schweizer Gastronomie die Sonnenschirme künftig nur noch wegen Sonnenmangels zubleiben. MM

 

 

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