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Kontrollen

«Ich sehe mich nicht als Bio-Polizistin»

Wer kontrolliert, dass Bio wirklich Bio ist? Zum Beispiel ­Pascale Strauss, die jedes Jahr 100 Höfe inspiziert. Wo sie die meisten Mängel findet und ­welche Be­suche sie nie vergisst.

Text Kian Ramezani, Lisa Stutz
Fotos Paolo Dutto
Datum
Pascale Strauss besucht pro Jahr rund 100 Höfe und schaut, ob sie die Bio-Richtlinien einhalten. 

Pascale Strauss besucht pro Jahr rund 100 Höfe und schaut, ob sie die Bio-Richtlinien einhalten. 

Wie oft wird ein Bio-Betrieb in der Schweiz kontrolliert?

Mindestens einmal pro Jahr. Die Kontrollen finden in der Regel zwischen Februar und September statt, wir melden uns jeweils einige Tage im Voraus an. Zusätzlich besuchen wir übers Jahr verteilt zehn Prozent der Betriebe unangemeldet.

Bei 7500 Betrieben im Land sind das jedes Jahr über 8000 Kontrollen. Wie viele Bio-Inspektoren wie Sie braucht es dafür?

Wir bei Bio Inspecta AG sind rund 80. Alle sind gelernte Landwirte, und viele haben auch einen eigenen Hof. Zudem wurden alle als Kontrolleure ausgebildet. Jeder peilt 100 Kontrollen pro Saison an. Neben uns gibt es noch die Bio Test Agro AG, gemeinsam schaffen wir das.

Wie lange geht eine Kontrolle?

Ziel ist nicht, möglichst schnell wieder zu gehen, sondern sich wirklich Zeit für den Betrieb und die Menschen zu nehmen. Das kann von eineinhalb Stunden bis vier Stunden oder sogar länger dauern. Wir haben einen klaren Ablauf: Felder, Tiere, Pflanzenschutz, Dünger, Saatgut, Futtermittel, Direktvermarktung und am Schluss das Büro.

Sie sagen, die meisten Kontrollen werden vorher angemeldet. Da kann man die Mängel doch noch schnell vorab beheben?

Nein, strukturelle Mängel lassen sich nicht in wenigen Tagen beheben. Ist etwa ein Stall ­vernachlässigt, kann man ihn nicht schnell, schnell umbauen. Auch bei Versäumnissen bei der Aufzeichnungspflicht geht das nicht: Ist man nicht à jour, ist es irgendwann zu viel und zu spät.

Kaufst du jeweils Bio ein?

Welche Betriebe erhalten unangemeldeten Besuch?

Diejenigen etwa, die in der Vergangenheit mit Verstössen aufgefallen sind. Bei vielen unan­gemeldeten Kontrollen geht es ums Tierwohl. Es geschieht aber auch nach dem Zufallsprinzip. Das ist ganz normal: Alle landwirtschaftlichen Betriebe, die Direktzahlungen erhalten, bekommen von den Behörden regelmässig unangemeldeten Besuch. Auch konventionelle und IP-Suisse-Betriebe.

Was machen Sie, wenn bei der unangemeldeten Kontrolle niemand da ist?

Das kommt regelmässig vor. Darum planen wir immer sieben bis zehn solcher Besuche für den gleichen Tag ein, dann kann ich direkt weiter. In den allermeisten Fällen klappt es dann beim zweiten oder dritten Mal.

Wie reagieren die Landwirte, wenn Sie vorfahren?

Wir werden mittlerweile sehr freundlich empfangen. Früher war die Wahrnehmung ver-breitet, dass jetzt der Polizist kommt. Davon sind wir zum Glück weggekommen. Ich sehe mich nicht als Bio-Polizistin. Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen, und das muss jemand kontrollieren. So ist das halt. Wir sind selber Bauern und haben deshalb grossen Respekt vor diesen Betrieben, die sehr viel leisten.

Sie spüren keine Ablehnung?

Natürlich gibts noch solche, die Angst haben und nervös sind. Meistens jene, die überhaupt keinen Grund haben (lacht). Jeder Betrieb weiss, dass er mindestens einmal im Jahr kontrolliert wird. Eine Kontrolle kann auch Hilfe sein: So bleibt man dran und lässt nichts schleifen.

Bei wie vielen Höfen werden denn Mängel festgestellt?

Etwa bei jedem Dritten.

Wo gibt es die meisten?

Im administrativen Bereich. Oft ist «draussen» alles tipptopp, aber im Büro wird es schwierig. Es gibt eine Aufzeichnungspflicht, und der administrative Aufwand dafür ist beträchtlich. Für jedes Feld muss nämlich dokumentiert sein, wann gesät, gedüngt, bewässert und geerntet wurde. Für die Tiere gibt es ein Auslaufjournal: Wann gehen sie aus dem Stall in den Laufhof oder auf die Weide? Bei Lücken, die mehr als drei Tage zurückliegen, darf auch nichts mehr nachgetragen werden.

Nervt das den Landwirt nicht, wenn draussen alles gut ist und Sie ihm dann beim Papierkram Mängel vorhalten?

Diese Gefühle sind sicher vorhanden. Wir wissen das und geben unser Bestes, hierfür Verständnis zu schaffen. Die Aufzeichnungen geben halt auch Auskunft, was über ein ganzes Jahr auf dem Betrieb gelaufen ist, und ergänzen somit den Eindruck am Kontrolltag. Wir haben stets die Reglemente zur Hand und können falls nötig konkret aufzeigen, was fehlt.

Welche Mängel kommen denn «draussen» am häufigsten vor?

Manchmal treffen wir zu Beginn der Saison auf leicht verschmutzte Tiere. Noch etwas ­öfter gibt es Verstösse gegen den Gewässerschutz, zum Beispiel eine überbordende Gülle. Oder ein Futtermittel wird eingesetzt, das nicht erlaubt ist. Hier hilft mir unsere «Bibel», die Betriebsmittelliste des Forschungsinstituts für biologischen Landbau.

Und welcher Mangel ist Ihnen noch nie begegnet?

Ich persönlich habe auf einer Kontrolle noch nie Spuren eines Herbizideinsatzes gefunden, also synthetische Mittel zur Unkrautbekämpfung. Häufig erkennt man es an braun verdorrtem Gras, etwa in der Nähe eines Gemüsetunnels. Das wäre ein schwerer Verstoss gegen die Regeln des biologischen Landbaus und würde in der Aberkennung der Biozertifizierung enden. Quasi die Höchststrafe.

Pascale Strauss

Pascale Strauss

Die 31-jährige ist Kontrolleurin und Regionalleiterin Ostschweiz bei der Bio Inspecta AG. Sie stellt sicher, dass sich Biobetriebe an die geltenden Richtlinien halten. Die ausgebildete Landwirtin führt einen Biohof und lebt mit Mann und zwei Kindern in Rickenbach ZH. Auf 12 Hektaren wachsen dort Reben, Getreide und Obst. Zudem leben auf dem Hof zehn alte, vor dem Schlachthof gerettete Legehennen.

Wie häufig kommt es denn zur Höchststrafe?

Zum Glück extrem selten. Die Aberkennung der Zertifizierung durch Bio Inspecta erfolgt höchstens ein- bis zweimal pro Jahr.

Wie sehen die Sanktionen für weniger schwere Fälle aus?

Bei leichten Verstössen gibt es einen Vermerk, mittlere haben eine Busse von etwa 150 Franken zur Folge. Hier spielen sowohl die Schwere als auch die Anzahl der Fälle eine Rolle – zum Beispiel, wie viele Tiere betroffen sind. Bio Suisse hat ein öffentlich zugängliches Sanktions-reglement, da ist nichts geheim. Zudem können auch weniger schwerwiegende Fälle zu Direktzahlungskürzungen von wenigen Hundert bis mehreren Tausend Franken führen.

Wie lange haben Landwirte Zeit, die Mängel zu beheben?

Das ist je nach Verstoss unterschiedlich: manchmal bis zur nächsten Kontrolle in einem Jahr, oder ein Dokument muss in drei Wochen nachgereicht werden. Bei Verstössen gegen das Tierwohl kann es auch sehr kurzfristig zu unangemeldeten Nachkontrollen kommen.

Sie besuchen jedes Jahr Dutzende von Betrieben. Welche bleiben Ihnen in Erinnerung?

Einerseits die sehr positiven, bei denen ich merke, dass hier eine Familie mit viel Herzblut arbeitet. Auf der anderen Seite sehen wir Kontrolleure manchmal tief in menschliche Tragödien hinein. Wenn sich zum Beispiel ein Ehepaar getrennt hat, die Frau plötzlich allein mit den Kindern ist und den ganzen Betrieb schmeisst. Private Probleme wirken sich häufig auf die Qua-lität der Arbeit aus. Die Leute sind überlastet, haben keine Energie mehr. Solche Schicksale bleiben mir im Kopf.

Ist es schon vorgekommen, dass Landwirte Sie bestechen wollten?

Das ist mir selber zum Glück noch nie passiert. Aber wir haben diesbezüglich natürlich ein sehr strenges Reglement. Unsere Kontrolleure sind ­entsprechend geschult.

Was ist akzeptiert, was nicht?

Wir ziehen schnell einmal eine Grenze. Der Apfel, den mir der Bauer auf dem Rundgang in die Hand drückt, ist sicher noch okay. Wir sind auch dankbar für einen Kaffee, das heisst jedoch nicht, dass wir dafür ein Auge zudrücken. Grundsätzlich nehmen wir keine Geschenke an.

Sie führen selbst einen Biobetrieb: Werden Sie auch kontrolliert?

Natürlich.

Das Ergebnis müsste dann ja mustergültig sein.

Das ist mir sehr wichtig, ja. Wir halten allerdings fast keine Tiere, nur zehn Legehennen-Seniorinnen. Wenn die ganze Tierhaltung wegfällt, ist es einfacher, alles richtig zu machen.

Und wer kontrolliert eigentlich Sie als Kontrolleurin?

Da müssen Sie sich keine Sorgen machen: Auch wir als Firma werden mehrmals im Jahr kontrolliert. Meine Mitarbeitenden und ich werden etwa auf dem Betriebsbesuch begleitet. Da wird geschaut, ob auch wir alles richtig machen.

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