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Matthias Wunderlin 

Verdient die Migros zu viel an Bio?

Im Interview räumt der Marketing-Chef der Migros mit diesem Vorwurf auf. Zudem erklärt Matthias Wunderlin, warum Bioprodukte teurer sein müssen – und vom Spagat, sie trotzdem für alle erschwinglich zu machen.

Text Kian Ramezani, Benita Vogel
Fotos Nik Hunger
Datum
Matthias Wunderlin, Marketingchef der Migros, sieht bei Bio Verbesserungsbedarf: «Beim Biopoulet zum Beispiel haben wir es bislang nicht geschafft, das ganze Tier als Bio zu vermarkten».

Matthias Wunderlin, Marketingchef der Migros, sieht bei Bio Verbesserungsbedarf: «Beim Biopoulet zum Beispiel haben wir es bislang nicht geschafft, das ganze Tier als Bio zu vermarkten».

Matthias Wunderlin, die Massentierhaltungsinitiative ist klar gescheitert. Ist der Bevölkerung das Tierwohl nicht wichtig?

Tierwohl ist und bleibt wichtig. Offenbar war die Bevölkerung der Meinung, dass die Initiative zu weit geht und die inländische Versorgungssicherheit gefährdet. Unabhängig davon arbeiten wir mit Hochdruck daran, das Tierwohl weiter zu verbessern und den Anteil der Labelpro­dukte zu steigern.

Momentan wird fast alles ­teurer. Kann sich Bio überhaupt noch jemand leisten?

Aufgrund der Inflation ist Bio zurzeit tatsächlich weniger nach­gefragt als noch während der Pandemie. Doch der lang­fristige Trend ist klar: Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen sich von nachhaltig produzierten Produkten ernähren. Darum ­investiert die Migros ­weiter in ihr Biosortiment, das preislich möglichst allen Einkommensschichten offenstehen soll.

Kritiker behaupten, Biofleisch sei in der Schweiz zu teuer, weil der Detailhandel zu hohe Margen abschöpft. Also unnötig viel teurer verkauft, als er es von den Bauern einkauft. Stimmt das?

Nein, prozentual liegen die ­Margen bei unseren Biopro­dukten sogar leicht tiefer als bei konventionell hergestellten.

Wofür braucht die Migros überhaupt Marge?

Damit decken wir vor allem ­unsere eigenen Kosten für Verarbeitung und Verpackung durch unsere Eigenindustrie, in diesem Fall die Micarna. Dazu kommen Logistik und schliesslich der Verkauf in den Filialen der Genossenschaften. Höhere Verkaufspreise für Bioprodukte zeugen nicht von höheren ­Margen, sondern von höheren Herstellungskosten in der Landwirtschaft und damit auch von höheren Preisen, die wir den Bauern bezahlen.

Ein Biopoulet ist in der Migros mehr als doppelt so teuer wie ein konventionell hergestelltes M-Budget-Poulet. Alles wegen höherer Herstellungskosten?

Die Auflagen sind in der Tat ­beträchtlich. Die Mastdauer ­eines Biopoulets ist doppelt so lang wie bei einem konventio­nellen. Das bedeutet wesentlich mehr Futter pro Kilo Fleisch, und dies erst noch in teurerer Bioqualität. Auch die Herdengrösse ist auf Biobetrieben deutlich kleiner. Zudem bezahlen wir die Organisation Bio Suisse, damit sie den Biolandbau fördert, die Produkte bekannter macht und die über 7000 Schweizer Biobetriebe kontrollieren lässt. Das dient auch dem Schutz der Kundinnen und Kunden. Sie haben das Recht, dass unabhängige Stellen prüfen, ob das, was wir unter Bio verkaufen, tatsächlich Bio ist. Das ist nicht gratis zu haben.

Dann sieht die Migros keinerlei Handlungsbedarf bei den Preisen für Labelfleisch?

Doch, es gibt definitiv Verbesserungsbedarf. Beim Biopoulet zum Beispiel haben wir es bislang nicht geschafft, das ganze Tier als Bio zu vermarkten. Biobruststücke sind sehr gefragt, Schenkel oder Flügeli hingegen deutlich weniger. Wir prüfen derzeit, solche Teile zu Charcuterie oder Convenienceprodukten in Bio-qualität weiterzuverarbeiten und unseren Kundinnen und Kunden so schmackhaft zu machen.

So oder so fliesst ein Grossteil des Verkaufspreises an die Verarbeiter und Händler. Wieso?

Die Fleischherstellung ist anspruchsvoll, für die Produzenten wie für die Verarbeiter. Aus einer Schweinehälfte entstehen über 200 verschiedene Produkte, dann folgen wie erwähnt Verpackung, Logistik und Verkauf. Auch dies sind anspruchsvolle Verarbeitungsschritte. Wir wollen ein fairer Partner für die Landwirtschaft sein. Gleichzeitig versuchen wir, Bioprodukte erschwinglich zu machen. Es ist uns bewusst, dass dies manchmal ein Spagat ist, auch weil für unsere Margen noch andere Faktoren von Bedeutung sind. So investieren wir jedes Jahr 160 Millionen Franken ins soziale und kulturelle Engagement. Wir tragen diese Kosten aus Überzeugung.

Es gibt Konsumentinnen und Konsumenten, die kein Bio kaufen, weil es ihnen schlicht zu teuer ist. Muss Bio güns­tiger werden?

Es ist unser Ziel, Bio für alle erschwinglich zu machen. Die Produktionsart ist positiv fürs Tierwohl und für die Biodiversität, darum wollen wir sie fördern.

Wie will die Migros Bio güns­tiger machen?

Wir haben in den vergangenen Jahren über das ganze Sortiment hinweg mehr als 500 Millionen Franken in tiefere Preise investiert, indem wir unter anderem unsere eigenen Kosten gesenkt haben, zum Beispiel in der Logistik oder der IT. Diesen Weg gehen wir weiter. Ausserdem führen wir bestimmte konventionelle Produkte nicht mehr im Sortiment. Trinkmilch zum Beispiel gibt es nur noch mindestens mit IP-Suisse-Standard, Eier ausschliesslich aus Freilandhaltung. All dies ohne Preissteigerungen.

Matthias Wunderlin, Marketingchef Migro

Zur Person

Matthias Wunderlin (49) ist Marketing-Chef der Migros. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in Zürich.

Bisher führte die Migros ihr ­eigenes Biolabel, nun führt sie Bio Suisse ein. Wieso?

Bio Suisse mit der Knospe ist in der ganzen Schweiz bekannt und geniesst eine hohe Glaubwürdigkeit. Konsumentinnen und Konsumenten finden sich besser zurecht, wenn sie in allen Geschäften dieselben Labels ­finden. Aus dem gleichen Grund haben wir auch unser eigenes Label TerraSuisse durch IP-Suisse abgelöst. Mit Einführung der Knospe werden wir zudem die Qualität vieler Produkte noch einmal erhöhen.

Es gibt auch kritische Stimmen zu Bio: Die Produktionsart ­verschärfe die aktuelle Hungerkrise und könne die Weltbe­völkerung nicht ernähren.

Hier werden mehrere Themen vermischt. Die Bioproduktion ist gut für das Tierwohl und die Biodiversität. Aber die Höhe des Bioanteils in Westeuropa ist für die Ernährung auf dem afrikanischen Kontinent nicht relevant. Um den Hunger zu bekämpfen, braucht es eine gerechtere Verteilung der Lebensmittel.

Es wird oft gesagt, dass Bio auch fürs Klima gut sei.

Über die Biodiversität, sicher. Aber mit dem Bioanbau allein ist es nicht getan.

Was braucht es sonst noch?

Es muss uns gelingen, den CO2-Ausstoss in der Agrarproduktion massiv zu senken. Die regene­rative Landwirtschaft kann hier mit Massnahmen zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit und mit ­Humusaufbau einen Beitrag leisten. Weiter müssen wir standortgerecht Milch und Fleisch pro­duzieren. Die Migros macht dies beispielsweise bei der Wiesenmilch oder bei der Förderung von Rassen wie dem Black-Angus-Rind. Diese Tiere fressen hauptsächlich Gras von der Wiese. So muss weniger Kraftfutter importiert werden, was positiv für Ökologie und Klima ist.

Reicht das schon?

Grosse Wirkung kann man auch beim Konsum erzielen. Wir ­führen bereits heute mit V-Love ein tolles veganes Sortiment mit Alternativen zu Fleisch und Milchprodukten. In der Subventionspolitik des Bundes sehe ich weiteres Potenzial. Für Landwirte lohnt es sich heute, Tierfutter zu importieren. Nachhaltiger wäre es, wenn in der Schweiz Tierfutter wie Soja sowie Rohstoffe für pflanzenbasierte Lebensmittel wie Erbsen angebaut würden. Dafür müsste das bestehende Subventions­system geändert werden.

Entdecke die Bio-Vielfalt in der Migros

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