76 Prozent befürworten Stromrabatt für Privathaushalte
Gehen im Winter die Lichter aus? Angst vor der nächsten Heizrechnung? Sollten wir den Atomausstieg überdenken? Solche Fragen beschäftigen aktuell die Schweizer Bevölkerung. Das Migros-Magazin hat ihr in einer repräsentativen Umfrage den Puls gefühlt.
Text Kian Ramezani
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Die meisten fürchten sich vor einer grossen Stromrechnung und plädieren für einen Rabatt. (Bild: Getty Images)
Inflation: 67 Prozent ...
... beschäftigt aktuell das Thema Inflation (Teuerung, steigende Preise) sehr stark oder eher stark. Dieser Wert ist noch höher in der Westschweiz sowie bei Personen in Familienhaushalten. Anders gesagt: Wer in der Tendenz weniger verdient und höhere Haushaltsausgaben hat, dem machen auch steigende Preise mehr Sorgen.
Stromrechnung: 71 Prozent ...
... machen sich Sorgen über angekündigte Strompreiserhöhungen. Befragte aus der deutschsprachigen Schweiz machen sich darüber weniger Sorgen als jene aus der französisch- oder italienischsprachigen Schweiz. Darüber hinaus machen sich besonders häufig Frauen und Befragte in Haushalten mit Kindern Sorgen über Strompreiserhöhungen. Befragte mit hohem Einkommen tangieren die Strompreiserhöhungen tendenziell weniger.
Klimawandel: 56 Prozent ...
Der Gletscherschwund hält in der Schweiz als Folge des Klimawandels unvermindert an. Im Bild der Triftgletscher. (Bild: Keystone)
... geben an, dass sie das Thema Klimaerwärmung aktuell eher stark oder sehr stark beschäftigt. In der Westschweiz beschäftigt die Klimaerwärmung deutlich häufiger als in der Deutschschweiz oder dem Tessin. Zudem beschäftigt das Thema aktuell häufiger in der Stadt als auf dem Land. Dieses Bild entspricht in etwa dem Ausgang der Abstimmung über das CO2-Gesetz 2020. Auch die Hitze und Dürre im Sommer 2022 hat hier offenbar nichts verschoben.
Ukraine: 53 Prozent ...
... beschäftigt der Krieg in der Ukraine eher stark bis sehr stark. Je älter die Befragten sind, desto ausgeprägter diese Sorge. Dasselbe gilt für die Stadt.
Stromrabatt: 76 Prozent ...
... sind der Meinung, der Staat sollte Privathaushalten mit einer Art Stromrabatt finanziell unter die Arme greifen. Diese Meinung teilen signifikant häufiger Befragte, die aktuell zur Miete wohnen oder ein niedrigeres Einkommen haben. Je höher das Bildungsniveau, desto geringer ist der Anteil derjenigen, die für eine finanzielle Unterstützung sind.
Atomausstieg: 45 Prozent ...
Im Bild das Reaktorgebäude und der Kühlturm des Kernkraftwerks Gösgen SO. (Bild: Keystone)
... sind aktuell dafür, den Entscheid über den Atomausstieg der Schweiz rückgängig zu machen. Diese Überzeugung teilen besonders Männer. Zudem wächst der Anteil der Befürworter mit der Höhe des Bildungsniveaus und des Einkommens.
Corona: 26 Prozent ...
... beschäftigt das Thema Corona aktuell (eher) stark. Umgekehrt betrachtet, beschäftigt fast drei Viertel (74 Prozent) der Befragten das Thema Corona aktuell überhaupt nicht oder eher nicht. Insbesondere auf dem Land beschäftigt das Thema Corona derzeit vergleichsweise weniger stark.
«Frieden und Wohlstand sind nicht selbstverständlich»
Fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung erachtet den Westen als mitschuldig am russischen Einmarsch in der Ukraine. Wie erklären Sie sich dieses Urteil?
David Bosshart: Zunächst könnten wir uns vorwerfen, den Frieden in unserem unfassbaren Wohlstand als selbstverständlich zu betrachten. Ein Blick in die jüngere europäische Geschichte genügt, um zu wissen, wie naiv das ist. So oder so: Sind wir in dieser vernetzten Welt, in der so gut wie alles zusammenhängt, nicht alle etwas mitschuldig? Ein Grossteil der Güter, die wir täglich benutzen und konsumieren, stammt aus autoritären und totalitären Regimen. Wenn es uns gerade passt, ignorieren wir das grosszügig. Und wenn nicht, dann empören wir uns. Das ist wenig konsequent.
Ebenfalls fast die Hälfte hält den Atomausstieg für einen Fehler. Erstaunt Sie das?
Die Kernenergie war schon immer ein Reizwort, das reflexartig gut oder schlecht bewertet wird. Aber ohne Energie keine Wirtschaft, keine Ernährung, kein Wachstum. Ähnlich wie beim Frieden wird offenbar auch die Energieversorgung als selbstverständlich betrachtet. Dass die Rechnung nicht mehr aufgehen könnte, ist aufmerksamen Beobachtern schon seit Jahren klar. Der Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern wird viel länger dauern als angenommen, in der Zwischenzeit treiben Technologiegläubigkeit und Digitalisierung den Energiekonsum weiter an. Vieles davon sind spekulative Spielereien, wie etwa Kryptowährungen oder das Metaverse. Wir Menschen lernen, aber nur sehr langsam.
Nur ein Viertel gibt an, sich um Corona Sorgen zu machen. Ist die Pandemie zumindest in den Köpfen endgültig vorbei?
Auch hier gilt: Wir lassen uns von der Gegenwart zu sehr einwickeln und vergessen schnell, was gestern war. Liveticker- und Breaking News-Konsum lernen uns die Zusammenhänge nicht besser versehen. Unschöne Erlebnisse werden verdrängt, vergessen, verschoben. Hinzu kommt der mächtige Herdentrieb. Wenn es kompliziert wird und die Verunsicherung steigt, orientieren wir uns gerne an emotional Gleichgesinnten.
David Bosshart (63) ist Gründer des internationalen Netzwerks Bosshart & Partners sowie Präsident der Gottlieb-und-Adele Duttweiler-Stiftung. Von 1999 bis Ende 2020 leitete er das von der Migros unterstützte Gottlieb-Duttweiler-Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (GDI) in Rüschlikon ZH.
Angriffskrieg: 41 Prozent ...
... sind der Meinung, dass der Westen mitschuldig am russischen Einmarsch in der Ukraine ist. Diese Meinung teilen häufiger Befragte aus der italienischsprachigen Schweiz als Deutschschweizer, ebenso besonders Männer und Befragte zwischen 30 und 44 Jahren. Auch Befragte aus Haushalten mit Kindern sowie solche mit höherem Bildungsniveau vertreten diese Ansicht häufiger.
Sanktionen: 55 Prozent ...
... finden es richtig, dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Russland mitträgt. Insbesondere in der Deutschschweiz trifft das Vorgehen des Bundesrats auf Zustimmung. Zudem befürworten dies Männer, ältere Befragte über 45 Jahren sowie in der Stadt lebende Personen besonders häufig. Befürworter haben darüber hinaus eher ein höheres Bildungsniveau sowie ein mittleres bis höheres Einkommen.
Landschaftsschutz: 68 Prozent ...
In der Walliser Gemeinde Bourg-Saint-Pierre findet sich eine Anlage, die weltweit einzigartig ist: Ein schwimmender Solarpark auf einem Stausee auf 1810 Metern Höhe. (Bild: Keystone)
... befürworten Lockerungen im Landschafts- und Naturschutz, um schneller und mehr Solaranlagen und Windräder bauen zu können. Männliche Befragte befürworten dies signifikant häufiger als Frauen. Je älter die Befragten sind, desto häufiger kommen Lockerungen für sie in Frage.
19°: 61 Prozent ...
... drehen bereits ihre Heizung runter, um Energie zu sparen. 56 Prozent schalten ihre Geräte ganz aus statt sie im Stand-by-Modus zu lassen. Über die Hälfte aller Befragten lässt die Geschirrspülmaschine und Waschmaschine bereits im Eco-Modus laufen, darunter sind besonders häufig Frauen und ab 45-Jährige. Jeder zweite Befragte duscht aktuell kürzer oder weniger warm.
Weihnachtsbeleuchtung: 44 Prozent ...
Eine Passantin fotografiert die offizielle Weihnachtsbeleuchtung der Stadt Zürich mit dem Namen «Lucy» an der Bahnhofstrasse. (Bild: Keystone)
... würden bei einer Stromknappheit im Winter würden als erstes die «Weihnachtsbeleuchtung» abschalten, um Strom zu sparen. Danach folgen Hallenbäder und Wellnessanlagen, Skilifte und Bergbahnen, Kino/Clubs/Theater und zuallerletzt Streamingdienste wie Netflix.
Zur Methode
Die Ergebnisse beruhen auf einer repräsentativen Meinungsumfrage, die das Marktforschungsinstitut Innofact aus Zürich im Auftrag des Migros-Magazins durchgeführt hat. Hierzu wurden zwischen dem 28 September und dem 3. Oktober 2022 insgesamt 1023 Personen im Alter von 14 bis 74 Jahren aus der Deutsch-, West- und italienischsprachigen Schweiz online befragt.