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An einer Uno-Konferenz in Kanada diskutiert die Welt im Dezember, wie man den alarmierenden Schwund von Tier- und Pflanzenarten stoppen könnte. Biodiversitäts-Expertin Julie Zähringer sagt, was zu tun wäre.
Ein paar wenige Erfolge beim Artenschutz stehen deutlich mehr Verlusten gegenüber. (Bilder: Keystone, Getty Images)
Ja, die Lage ist dramatisch. Andere Schätzungen gehen sogar von der Hälfte aller einheimischen Arten aus.
Die Artenvielfalt ermöglicht das Überleben der Menschheit: Sie liefert uns Nahrung, sauberes Wasser und saubere Luft. Viele unserer Medikamente basieren auf ihr. Wie bei der Klimakrise bekommen wir die Folgen des Verlusts erst mit einiger Verzögerung zu spüren. Aber erhalten wir die Biodiversität nicht für künftige Generationen, werden diese sehr grundsätzliche Probleme haben.
Wir sind zumindest für einen Teil unserer Nahrung abhängig von der Bestäubung der Bienen und anderer stark bedrohter Insektenarten. Fällt die weg, kollabiert unser ganzes Ernährungssystem. Künstlich ersetzen lässt sich das nicht. Im Moment sind wir tatsächlich im Begriff, unsere eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören.
(Bild: Manu Friederich / CDE)
Julie Zähringer (37) ist Professorin für Landsysteme und Nachhaltigkeit an der Wyss Academy for Nature, dem Centre for Development and Environment sowie am Geografischen Institut der Universität Bern. Sie hat ein Kind und wohnt in Zürich.
Die 15. Uno-Biodiversitätskonferenz findet vom 5. bis 17. Dezember in Montréal, Kanada, statt. Ihr Ziel ist es, einen globalen Rahmen und Ziele für die biologische Vielfalt der Zukunft festzulegen.
Ab Herbst 2023 gibt es an der Universität Zürich neu auch den Studiengang Biodiversität, der mit einem Bachelor oder Master abgeschlossen werden kann – und offenbar im deutschsprachigen Raum einzigartig ist.
Viele sind wohl mit unmittelbareren Problemen beschäftigt. Das Thema ist halt sehr abstrakt, viele nehmen nicht wahr oder wissen gar nicht, ob die Wiese, an der sie vorbei spazieren, artenreich ist oder nicht. Oder wie sich der Konsumentscheid für ein Rindsfilet auf die Natur im In- und Ausland auswirkt. Entscheidend wäre aber vor allem, dass die Politik reagiert – dann würde sich auch in der Gesellschaft mehr bewegen.
Es bräuchte nicht nur mehr Schutzgebiete, sondern auch mehr Geld für sie. Etwa um weitere ökologisch wertvolle Flächen wie Wiesen, Wälder, Gewässer oder Moorlandschaften zu schützen. Eigentlich sollte jedes Land 17 Prozent seiner Fläche unter Naturschutz stellen, in der Schweiz sind es rund 13 Prozent. Dass wir als reiches Land zu den Schlusslichtern in Europa gehören, finde ich ziemlich beschämend.
Ja, aber der möchte lediglich die Qualität der bereits geschützten Flächen verbessern. Das ist natürlich wichtig, aber ohne eine Ausweitung der Schutzgebiete fehlt ein zentraler Teil. Generell bräuchte es Auflagen, vor allem für die grossen, exportorientierten Produzenten und Händler in den Anbaugebieten. Sie müssten auch kontrolliert und wenn nötig sanktioniert werden. So dass etwa Soja, die im Amazonas nur dank Entwaldung gewachsen ist, gar nicht erst in die Schweiz kommt. Zudem sollten Subventionen verschwinden, die finanzielle Anreize setzen, der Biodiversität zu schaden.
Davon gibts zahlreiche, etwa in der Landwirtschaft, bei der Fleischproduktion, im Energiebereich oder beim Verkehr. Zum Beispiel unterstützt der Bund die Werbung für Fleisch und Eier jährlich mit 6.5 Millionen Franken – was indirekt die industrielle Tierhaltung, Futtermittelimporte, Nährstoffüberschüsse und die Verschmutzung von Ökosystemen fördert.
1. Weniger Fleisch essen.
2. Umweltfreundlicher produzierte Produkte kaufen (Bio, IP-Suisse, Fairtrade, FSC, Topten).
3. Food Waste vermeiden
4. Generell bewusster konsumieren: Brauche ich das jetzt wirklich?
5. Fast Fashion vermeiden und vermehrt Kleider aus zweiter Hand kaufen.
6. Geld in nachhaltige, biodiversitätsfreundliche Anlagen investieren.
7. Zeit in der Natur verbringen, emotionale Verbundenheit zu ihr stärken – und den eigenen Kindern weitergeben.
8. Den eigenen Balkon oder Garten mit insektenfreundlichen und einheimischen Pflanzen naturnah gestalten; dafür Torf-freie Erde verwenden.
9. Bei der Mobilität vor allem auf den öffentlichen Verkehr setzen.
10. Jene Parteien und Politikerinnen wählen, die sich für Biodiversität stark machen.
Den Konsum reduzieren, der übrigens besonders auch der Biodiversität im Ausland schadet. 50 bis 80 Prozent unseres ökologischen Fussabdrucks verursachen wir nicht in der Schweiz, sondern international. Am meisten können wir bei der Ernährung bewirken.
Wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren, braucht es nicht nur weniger Flächen für Rinder, sondern auch für den Tierfutteranbau. Man muss deswegen nicht Vegetarierin werden – ich bin es auch nicht –, aber jedes Kilo Fleisch, das weniger konsumiert wird, leistet einen positiven Beitrag.
Mit dem, der Soja und Palmöl braucht – Ersteres dient vor allem als Tierfutter, Letzteres findet sich in einer Vielzahl von Waren. Für den Anbau dieser beiden Produkte werden besonders viele artenreiche Flächen zerstört, vor allem Wälder im Amazonas und in Südostasien. Hinzu kommen Kaffee und Kakao, bei denen die Schweiz international eine bedeutende Rolle spielt.
Ein typischer Anblick in Südamerika und Südostasien: Regenwald wird abgeholzt, um Platz für Palmöl- und andere Plantagen zu machen. (Bild: Getty Images)
Beim Einkauf darauf zu achten, ist auf jeden Fall eine gute Sache. Und als Konsumentinnen haben wir durchaus die Macht, Politik und Wirtschaft mit unserem Geldbeutel in die richtige Richtung zu steuern.
Ein Ansatz ist, ein paar wenige Gebiete intensiv zur Stromerzeugung zu nutzen und die restliche Landschaft dafür unberührt zu lassen. An einem Runden Tisch hat man sich auf 15 Projekte geeinigt, die nun geprüft werden. Vor allem aber sollten wir die Energie effizienter nutzen – damit liesse sich eine Menge einsparen. In jedem Fall müssen wir die Energiewende naturverträglich schaffen, sonst lösen wir ein Problem, in dem wir ein neues schaffen.
Im Kleinen gibts einiges, zum Beispiel die Rückkehr des Bibers, des Luchses oder des Rotmilans, die alle mal fast oder ganz verschwunden waren. Aber das ändert leider nichts an der grossen Tendenz.
Die Migros arbeitet aktiv daran, ihren Biodiversitätsfussabdruck in der Wertschöpfungskette zu reduzieren. Der Anteil des Labelumsatzes, der die Biodiversität etwa im Anbau von Kaffee oder Kakao fördert, lag 2021 bei 23 Prozent und soll bis 2025 weiter steigen. Zu diesen Labels gehören zum Beispiel Fairtrade, Rainbow Alliance, Bio-Label oder FSC.
Bis Ende 2025 will die Migros erreichen, dass bei der Beschaffung von Rohstoffen keine intakten Ökosysteme zerstört werden. Zum Schutz der Biodiversität tragen auch einzelne Massnahmen bei, etwa die Initiativen zu Soja und Palmöl aus nachhaltigem Anbau oder die Förderung des Anbaus pestizidfreien Weizens via IP Suisse.
Weitere Infos gibt es hier
Eher noch schlimmer. Global sind 70 Prozent aller Tierarten rückläufig, 25 Prozent der Tier- und Pflanzenarten bedroht. Ganz aktuell sind Zahlen zur Vogelwelt, die alle vier Jahre erhoben werden und als guter Indikator für den Zustand der Natur gelten, weil Vögel auf intakte Ökosysteme angewiesen sind: 187 Arten sind bereits ausgestorben. Rund die Hälfte aller 11’000 Vogelarten ist dezimiert, nur bei sechs Prozent nimmt die Population zu. 13 Prozent sind gefährdet. In der EU gibt es heute 18 Prozent weniger Vögel als vor 50 Jahren, in Nordamerika gar 29 Prozent weniger.
Am schlimmsten ist die Lage im südamerikanischen Raum und in Südostasien. Und man kann nicht oft genug betonen, dass daran nicht primär die Menschen in diesen Ländern schuld sind, sondern auch wir mit unseren Konsumbedürfnissen.
Und dennoch nimmt die Biodiversität ab. Weil das Management einiger dieser Schutzgebiete schlecht ist, weil zu wenig Geld zur Verfügung steht, weil es kaum Kontrollen und Sanktionen gibt. Unter solchen Umständen besteht der Schutz dann nur auf dem Papier.
Ja, zum Beispiel steigt die Säugetierpopulation in Europa wieder – dank Jagdverboten, Schutzgebieten und einem Rückgang von landwirtschaftlich genutzten Flächen in den letzten 50 Jahren. Das sind zwar schöne Erfolge, sie können dem grossen Trend in die andere Richtung jedoch zu wenig entgegensetzen.
Der ambitionierte Plan, 30 Prozent der weltweiten Landes- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen, könnte dort tatsächlich beschlossen werden. Damit sind allerdings noch viele offene Fragen verbunden – und je nach Ausgestaltung könnte das im sozialen Bereich auch negative Auswirkungen haben.
Die Schutzgebiete werden vor allem in biodiversitätsreichen tropischen Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens liegen. Aber dort leben auch Menschen, die auf die Nutzung dieser Wälder oder Landflächen angewiesen sind. Es wäre wichtig, dass sie eingebunden werden und mitentscheiden können – es gibt einige positive Beispiele von indigenen Gemeinschaften, die Gebiete selbstverwaltet schützen. Aber auch das wird finanzielle Unterstützung brauchen, etwa zur Überwachung des Gebiets. Diese Kosten sollten nicht von den armen Bevölkerungen vor Ort getragen werden, sondern von uns Wohlhabenden, die für das Problem letztlich verantwortlich sind.
Die Details sind noch offen, aber es müssten sicherlich auch im Alpenraum neue Flächen hinzukommen. Die offizielle Schweiz ist jedenfalls grundsätzlich für das Flächenziel. Aber es bräuchte schon noch mehr.
Neben den Regulierungen von Handelsströmen wäre es auch wichtig, die Ökosysteme, die natürlicherweise zusammenhängen, als Ganzes zu betrachten und zwischen ihnen geschützte Korridore einzurichten. Auch der Klimawandel spielt eine grosse Rolle, weil einige der Arten, die man schützen möchte, wegen der steigenden Temperaturen aus den Schutzgebieten wegwandern werden. Ich erwarte allerdings nicht, dass an der Konferenz neben dem Flächenziel noch weitere substanzielle Entscheide fallen.
Es ist ein Teufelskreis. Der Klimawandel trägt zur Zerstörung von Ökosystemen bei, die es bräuchte, um den Klimawandel abzuschwächen. Und wir könnten einiges unternehmen, das beiden Bereichen zugutekommt. Tun wir dies nicht, wird das Leben auf der Erde in 50 bis 100 Jahren sehr ungemütlich werden.