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Long Covid

Wird es je wieder? 

Vor einem Jahr sprach das Migros-Magazin mit drei Menschen, die unter Langzeitfolgen einer Coronaerkrankung litten. Wie geht es ihnen heute? 

Text Dario Aeberli
Fotos Desirée Good
Datum
Lissy Küpfer, Manuela Bieri und Mirco Casorelli leiden an Long Covid. Die Rückkehr ins Leben von früher gestaltet sich schwierig. 

Lissy Küpfer, Manuela Bieri und Mirco Casorelli leiden an Long Covid. Die Rückkehr ins Leben von früher gestaltet sich schwierig. 

Wird mein Leben jemals wieder, wie es einmal war? Lissy Küpfer, Manuela Bieri und Mirco Casorelli stellen sich diese Frage täglich, seit das Coronavirus sie erwischt hat. 

Statistisch gesehen leiden drei bis vier Prozent aller Coronainfizierten an Langzeitfolgen der Erkrankung. Lange galt ständige Müdigkeit als häufigstes Symptom. Mittlerweile weiss man: Das Hauptproblem ist die Belastungs­intoleranz. Ein Heilmittel gibt es nach wie vor nicht.

Vor einem Jahr hat das ­Migros-Magazin mit Küpfer, Bieri und Casorelli über ihre Long-Covid-Erkrankungen gesprochen. Wie geht es ihnen heute, zwölf Monate später?

Reha überfordert

Am Ende des Gesprächs sagt Lissy Küpfer etwas Erstaun­liches: «Mir geht es heute besser als vor einem Jahr.» Dabei hat die 35-jährige Bäuerin ­gerade von ihren schlechten ­Tagen erzählt, an denen ihr das Atmen schwerfällt, sie zittert, überfordert ist und keine Energie hat, um mit der Familie vom Hof im Emmental in den nächsten McDonald’s zu fahren. «An solchen Tagen frage ich mich, wozu ich noch da bin.»

Wie kommt sie also darauf, dass es ihr besser geht? Sie macht sich keinen Druck mehr. «Ich habe die Hoffnung auf ­Genesung nicht aufgegeben, aber meine neuen Grenzen akzeptiert», sagt Küpfer. Sie freue sich, wenn sie mit ihrer Tochter spielen oder die Kälber streicheln kann. Sie weiss aber, dass sie vor einem Konzert ihres Sohns einen Tag lang Energie sammeln muss und sich danach einen Tag erholen wird. Sie weiss, dass sie an guten Tagen nicht alles nach­holen kann, was sie an schlechten nicht geschafft hat. Und sie weiss, dass sie Hilfe bekommt. Ihre Familie hat eine Putzhilfe engagiert, Brüder ihres Mannes packen im Stall mit an. «Meine Mutter macht seit über einem Jahr nichts anderes, als mich zu unterstützen.»

«Mir geht es heute besser als vor einem Jahr», sagt Bäuerin Lissy Küpfer. 

«Mir geht es heute besser als vor einem Jahr», sagt Bäuerin Lissy Küpfer. 

Im Frühling hätte sie für drei ­Wochen im Berner Inselspital in stationäre Behandlung gehen sollen. Nach zwei Wochen brach sie ab, es war alles zu viel: Menschen, Geräusche, Lichter. Küpfer machte eine Gruppentherapie mit anderen chronisch Kranken. Das half ihr einerseits, weil sie merkte, dass es anderen ähnlich geht. Andererseits ­beelendeten sie die Gespräche. «Ich wollte ihnen helfen, am liebsten die ganze Welt retten, aber ich kann mich kaum um mich selbst kümmern.»  

Kranke helfen Kranken

Auch Manuela Bieri will sich und anderen helfen. Bis zu ihrer Coviderkrankung im Herbst 2020 arbeitet sie als Pflegefachfrau auf der kardiologischen Überwachungsstation des Inselspitals, machte Auslandeinsätze fürs Rote Kreuz, half Hunderten von Patientinnen und Patienten schnell gesund zu werden. Doch für sie ist keine schnelle Besserung in Sicht. Immerhin: Seit ­einer Blutwäsche schüttet ihr Körper weniger Adrenalin aus, weshalb sie weniger schreckhaft ist und wieder Auto fahren kann. Einige laufende Medikamentenstudien sähen vielversprechend aus, auch wenn sie nur Symptome bekämpfen würden. Bis zur ­Zulassung könnte es Jahre dauern. «Weil wir nicht an Long Covid sterben, gibt es keine Notfallzulassung», sagt Bieri. «Ich kenne aber niemanden, der ein halbes Jahr Long Covid hatte und wieder komplett genesen ist.»

Die 42-Jährige muss es wissen: Sie ist im Vorstand des Vereins Long Covid Schweiz, eine Anlaufstelle von Betroffenen für Betroffene. Bieri geht aufgrund von Schätzungen in England davon aus, dass in der Schweiz bis zu 300 000 Menschen von Long Covid betroffen sind. Ein nationales Register für Long-Covid-Fälle gibt es hier nicht. Für das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Ressourcenfrage. Die Krankheits­bilder seien so verschieden, dass sich die Kosten für ein Register nicht lohnten. Das BAG unterstützt jedoch Vereine finanziell, die ein Register aufbauen möchten. «Es ist zwar absurd, dass die Aufgabe uns Kranken übertragen wird. Der Verein gibt mir aber Halt im Leben», sagt Bieri.

«Ich kenne niemanden, der ein halbes Jahr Long Covid hatte und wieder komplett genesen ist»: Manuela Bieri hat wenig Hoffnung, dass alles wieder einmal so wird, wie es vor Covid war. 

«Ich kenne niemanden, der ein halbes Jahr Long Covid hatte und wieder komplett genesen ist»: Manuela Bieri hat wenig Hoffnung, dass alles wieder einmal so wird, wie es vor Covid war. 

Das beste Heilmittel: nichts tun

Sie wohnt ein paar hundert Meter vom Inselspital entfernt in einer Wohnung im dritten Stock. Ohne Lift. Bieri trägt eine Pulsuhr, die regelmässig 130 anzeigt, wenn sie zu Hause ankommt. Ihren ­Besuch bittet sie, eine Maske zu tragen. Jede weitere Infektion könnte ihren Zustand verschlechtern. «Meine grösste Angst ist, dass ich mich von meinen Eltern oder meinem Freund pflegen ­lassen muss.»

Während sich das öffentliche Leben in der Schweiz der Zeit vor der Pandemie angleicht, verändert sich Bieri. Früher sei sie für ihre Spontanität bekannt gewesen. Jetzt bittet sie ihr Umfeld vor einer Weihnachtsfeier in Isolation zu gehen. Das ist ihr un­angenehm, weshalb sie sich oft isoliert, was ihrer ­Psyche schadet. Zwischendurch müsse sie darum trotzdem raus. Sie sieht sich dann etwa mit Freunden einen YB-Match an. «Auch wenn ich weiss, dass ich danach crashen werde.» Crash nennt sie Situationen, in denen ihr alles zu viel ist, sie Atemnot bekommt, ihre Muskeln kaum bewegen kann und jeder Gedanke im Nebel ihres Kopfes verloren geht.

Bieri sitzt auf ihrem Sofa, eine Decke über den Beinen, ihr ­Körper kann die Temperatur nicht mehr halten. Gegen Ende des Gesprächs hat sie Mühe, Worte zu finden, muss sich ganz auf die Unterhaltung fokussieren und später hinlegen. Das ist das Einzige, was Long-Covid-Patien­tinnen und Patienten hilft: Ruhe. «Das widerspricht allem, was ich als Pflegerin gelernt habe.»

Sie denken, er simuliert

Bisher galt in der Pflege: Wer ­gesund werden will, muss sich anstrengen und bewegen. So war es auch bei Mirco Casorelli, als er vergangenen Winter zum ersten Mal in Reha war. «In Davos animierte man mich, zu schwimmen und ins Fitness zu gehen, das hat mir gar nichts gebracht. Mir wurde ständig schwarz vor Augen», erzählt der 36-Jährige. Bei der zweiten Reha in Gais AR führte er vor allem Gespräche mit den 40 anderen Long-Covid-Betroffenen, von denen alle unterschiedliche Symptome hatten. Bei ihm sind es Herzrhythmusstörungen, Vergesslichkeit, Schwindel und Müdigkeit. In eine Sprechstunde für Patienten mit konstanter Müdigkeit ging Casorelli nicht, weil er sich nicht angesprochen fühlte. Er wollte sich lange nicht eingestehen, dass seine Probleme mit seiner Coronaerkrankung ­zusammenhängen. «Ich dachte, ich sei einfach faul und müsse mich zusammenreissen.»

«Wenn ich denen erkläre, dass es mich überfordert, den Geschirrspüler auszuräumen, denken die, ich spinne», umschreibt Mirco Casarelli seine Situation. 

«Wenn ich denen erkläre, dass es mich überfordert, den Geschirrspüler auszuräumen, denken die, ich spinne», umschreibt Mirco Casorelli seine Situation. 

Das änderte sich, als er seine Hirnströme bei einem Neuro­logen messen liess. Der Arzt habe ihm gesagt, dass sein Hirn im Wachzustand so viel arbeite, wie bei einem gesunden Menschen im Schlaf. Einige nähmen ihm trotzdem nicht ab, dass er krank sei. «Ich verstehe das sogar.» Für die meisten sei Corona etwas ­zwischen Grippe und Erkältung. «Wenn ich denen erkläre, dass es mich überfordert, den Geschirrspüler auszuräumen, denken die, ich spinne.» Manchmal wünscht sich Casorelli, er wäre mal zusammengebrochen. Dann würde man ihn ernst nehmen. Seine Tochter verstehe langsam, dass es ihm nicht gut gehe. «Aber es tut weh, einer Dreijährigen erklären zu müssen, dass ich im Zoo Schwindelanfälle bekomme.»

Lieber arbeiten als IV beziehen

Nächstes Jahr wollte Casorellis Vater in Pension gehen und ihm seine Pizzeria in Schaffhausen übergeben. Nur kann ­Casorelli im Moment nicht mal Gläser ­abtrocknen, er hat es versucht. Und dann spielen auch noch seine ­Geschmacksnerven verrückt. Gurken, Orangen und Poulet schmecken nach Kompost. Dafür riecht Benzin nach Trüffeln.

Während seiner ersten Reha wurde Casorelli, wie auch Lissy Küpfer, automatisch bei der IV zur Wiedereingliederung an­gemeldet, ein Entscheid steht bei beiden noch aus. Das Geld würde Casorelli kaum reichen. «Ich will gar keinen IV-Status, dass passt nicht zu mir. Ich will endlich wieder ­arbeiten.» Dafür müsste es ihm bald besser gehen.

Nach zwei Jahren läuft das Krankentaggeld aus. Dann brauchen Long-Covid-Betroffene wie er Unterstützung von der IV, vom RAV oder der ­Sozialhilfe. Doch bevor man So­zialhilfe erhält, muss man die ­eigene 3. Säule aufbrauchen. «Ich kenne einige, die lieber mit letzter Kraft nach Thailand reisen und ihr Kapital fürs Alter aufbrauchen», sagt Bieri vom Verein Long Covid.

Lissy Küpfer, Manuela Bieri und Mirco Casorelli sieht man ihre Krankheit nicht an. Aber sie stellen täglich alles infrage. 

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