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Organspende

Zweites Leben dank neuer Leber

Als das Migros-Magazin Ursula Bertschy vor genau einem Jahr das erste Mal traf, war sie todkrank und wartete auf eine Lebertransplantation. Der erlösende Anruf kam am 5. Juli.

Text Ralf Kaminski
Datum
Ursula Bertschy

Vor der Transplantation schaffte Ursula Bertschy es kaum aus dem Bett. Heute ist sie wieder draussen unterwegs.

Plötzlich ging alles sehr schnell. Weil sich Ursula Bertschys Gesundheitszustand rapide verschlechterte, wurde sie am 1. Juli 2022 auf eine Prioritätsliste für eine Lebertransplantation gesetzt. «Ich hatte da bereits eine andere Operation wegen einem Milzarterienaneurysma hinter mir, brauchte eine Nasensonde für zusätzliche Proteine – und der Weg vom Bett zum Sofa fühlte sich an wie ein Marathon», erzählt die 52-jährige RAV-Personalberaterin aus Düdingen FR. «Meine Ärztin meinte, dass ich nicht mehr viel Zeit habe.»

Doch bereits am 5. Juli um 19.30 Uhr kam der erlösende Anruf: Eine passende Leber war gefunden. Eine gute Stunde später wurde Bertschy abgeholt und ins Berner Inselspital gefahren, die Operation fand am nächsten Morgen statt und dauerte sechs Stunden, ohne Komplikationen. «Die Erleichterung war natürlich gross, als der Anruf kam. Aber um ehrlich zu sein, wirkte alles etwas surreal, doch ich blieb sehr ruhig und gefasst.»

Als sie am Abend nach der Operation auf der Intensivstation aufwachte, wartete sie darauf, dass der furchtbare Juckreiz zurückkehrte, der sie wegen ihrer Autoimmunkrankheit schon länger plagte und kaum mehr schlafen liess. «Aber der ist seither nie wieder aufgetaucht.» Das unerträgliche Jucken war ein Nebeneffekt ihrer primären biliären Cholangitis, eine seltene Krankheit, welche die Gallengänge in der Leber schädigt und zu 90 Prozent Frauen trifft. Sie ist auch der Grund, dass Bertschy eine neue Leber brauchte, obwohl sie rund neun Jahre ohne grössere Probleme mit der Krankheit gelebt hatte.

Im Sommer 2021 jedoch verschlechterte sich ihr Zustand «quasi über Nacht». Plötzlich hatten ihre Augen und ihre Haut einen Gelbstich, sie fühlte sich rasch erschöpft und generell angeschlagen. Sie konnte sich bei der Arbeit immer weniger konzentrieren, im Dezember 2021 wurde sie vollständig krankgeschrieben. Und es war klar: Einzig eine neue Leber würde helfen.

Ein Leben lang Medikamente

Nach der Operation ging es rasch aufwärts. «Bereits am Abend danach konnte ich mit meiner Familie telefonieren.» Am nächsten Tag verliess sie die Intensivstation, acht Tage später kehrte sie nach Hause zurück. Seither geht sie regelmässig zur Physiotherapie, trainiert Kraft und Ausdauer, geht viel Laufen und kommt wieder zu Kräften.

Im November begann sie, wieder ein paar Stunden beim RAV zu arbeiten, inzwischen sind es drei Halbtage pro Woche. «Aber nach vier Stunden bin ich noch immer sehr erschöpft.» Ziel ist es, spätestens im Herbst wieder zu 80 Prozent im Einsatz zu stehen und auch sonst wieder ein möglichst normales Leben zu führen, so wie vor dem Sommer 2021.

Ausserdem muss sie täglich morgens und abends Medikamente nehmen, damit ihr Körper das neue Organ nicht abstösst – und dies für den Rest ihres Lebens. Diese Mittel jedoch haben Nebenwirkungen und verursachen unter anderem Gelenkschmerzen. Zudem gibt es ein paar Dinge, die sie nun nicht mehr essen darf, etwa Grapefruit oder Johanniskraut, weil sie die Wirkung der Medikamente abschwächen.

«Aber trotz all dem geht es mir extrem viel besser als vor einem Jahr.» Wie sich ihre Autoimmunkrankheit entwickeln wird, ist unklar. Es besteht allerdings eine gewisse Gefahr, dass sie auch die neue Leber wieder beeinträchtigen könnte. «Ich werde es auf mich zukommen lassen», sagt Bertschy, die an die Wiedergeburt glaubt und davon ausgeht, dass vieles im Leben vorherbestimmt ist.

Ihren Spender kennt sie nicht

Beim ersten Treffen mit dem Migros-Magazin war sie recht zuversichtlich, dass es schon klappen würde mit einer neuen Leber. Und fühlt sich nun bestätigt in ihrem Schicksalsglauben. Doch dass sie nun weiterleben kann, weil jemand anders mutmasslich sein Leben liess, beschäftigt sie schon. «Am Anfang nicht so sehr, da hatte ich zu viel zu tun im Nachgang der Operation. Aber heute ist es ab und zu psychisch nicht so leicht, manchmal werde ich schon etwas emotional, wenn ich über das alles nachdenke.»

Wer ihr Spender oder ihre Spenderin ist, weiss sie nicht, das bleibt in der Schweiz strikt geheim. «Alles, was ich tun kann, ist den Angehörigen anonym einen Dankesbrief schreiben. Damit sollte man sich aber ein halbes Jahr oder Jahr Zeit lassen, damit sie erst mal trauern können», erklärt Bertschy, die fest vorhat, einen solchen Brief zu schreiben.

Gefreut hat sie sich auch über das Abstimmungsresultat vergangenes Jahr, das in der Schweiz einen Systemwechsel bei der Organspende einleiten wird. Künftig muss man zu seinen Lebzeiten festhalten, wenn man seine Organe nicht spenden möchte. «Dass dies nun erst 2025 in Kraft tritt, finde ich allerdings schade. Mir scheint auch, dass es gesellschaftlich noch immer grossen Informationsbedarf gibt bei diesem Thema.»

Doch für sie selbst haben sich die Dinge sehr erfreulich entwickelt. Und am 6. Juli, ein Jahr nach der Operation, wird es ein grosses Fest geben. «Das Datum ist wie ein zweiter Geburtstag – den werde ich von nun an jedes Jahr zusätzlich feiern.»

Infos zu Organspenden: swisstransplant.org

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