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Kapitel 3

Bei Bauer Isler, wo die Zuckerrüben wachsen

Im Herbst werden Zuckerrüben geerntet. Von einer riesigen Maschine, die sechs Reihen Pflanzen gleichzeitig aus dem Boden zieht. Es sind mehr als auch schon – weil die Sonne den Boden stärker erwärmt.

Text Thomas Meyer
Fotos Nik Hunger
Datum
Andreas Pfister hochkonzentiert im Rübenroder.

Andreas Pfister (62) hochkonzentiert im Rübenroder.

An einem erst nebligen und dann erstaunlich warmen Herbstmorgen kriecht ein knallrotes Ungetüm über einen Acker im Zürcher Oberland. Es ist 4 Meter hoch, 15 Meter lang und macht ordentlich Lärm: Der Rübenroder Terra Dos T4 holt zur Erntezeit Zuckerrüben aus dem Boden. Den Rest des Jahres steht er still in einer Halle. Aussehen tut er wie ein Mähdrescher, geht aber raffinierter vor. Er reisst die Rüben nicht einfach aus, sondern ertastet mit seinem gewaltigen Vorbau, wo sie genau stecken, und richtet das Aggregat danach aus. Dieses schlegelt dann erst das Blattwerk in vorgegebener Höhe ab und lockert dann die Wurzel – die Rübe – behutsam mit einer Schar aus dem Boden. Der hintere Bereich des Fahrzeuges dient dazu, die Rüben aufzusammeln und mit einer Art Lift behutsam in den sogenannten Bunker zu befördern. 20 Tonnen Zuckerrüben passen dort hinein. «Viel zu wenig», urteilt Andreas Pfister (62), der Fahrer.

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Die schonende Vorgehensweise der Maschine steht in krassem Widerspruch zu ihrer brachialen Gestalt, mit der sie ihre Runden auf dem Acker zieht. An dessen Rand steht der 51-jährige Landwirt Martin Isler und erklärt anerkennend, dass frühere Rübenroder jeweils nur eine Reihe Pflanzen hätten ernten können, der Terra Dos aber gleichzeitig deren sechs schaffe. Der kehrt nun brummend zurück, sein Bunker ist voll. Pfister lehnt sich aus der Kabine und will von Isler wissen, ob die Stelle in Ordnung sei zum Abladen. Isler hebt den Daumen seiner riesigen Hand, woraufhin seitlich ein Förderband aus dem Terra Dos herausfährt und unter lautem Gepolter hunderte von Rüben auf den Acker purzeln.

Martin Isler ist zufrieden mit der Ernte.

Martin Isler ist zufrieden mit der Ernte.

«Vor dreissig Jahren, als ich den Beruf erlernte, musste eine Hektare 60 Tonnen erbringen», sagt Isler, nachdem der laute Roder wieder verschwunden ist. «Auch in diesem Bereich wird aber immer weiter gezüchtet, und heute bin ich unter 100 Tonnen nicht mehr zufrieden.» Der Acker umfasst drei Hektare, also 30 000 Quadratmeter, Isler wird dieses Jahr somit gut 300 Tonnen Rüben verkaufen können. «Man darf das kaum sagen, aber wir profitieren nicht nur von der Züchtung, sondern auch vom Klimawandel. Das heisst, ich kann im Frühling früher aussäen, und im Herbst wächst die Rübe auch länger.» Während Isler spricht, brennt die Sonne so vom Himmel, dass die Jeans des Reporters heiss werden. Es ist der wärmste Oktober, seit die Wärme von Oktobern gemessen wird. «Ansonsten ist es natürlich ein Problem, vor allem in der Sommertrockenheit. Heute kann kein Bauer mehr behaupten, er sei davon überrascht.»

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Während Isler redet, geht er immer wieder mal zum Rübenhaufen hin und zieht mit einem Holzstab, an dessen Ende zwei Metallzacken befestigt sind, gezielt eine Rübe heraus und wirft sie beiseite. Etwas nicht in Ordnung? Isler lacht, das sehe man doch, sie sehe ganz anders aus als die anderen, nicht weiss, sondern schwarz, also faul. Es sind aber nur einzelne.

Damit Isler mit seinen Rüben Geld verdient, ist nicht nur die Menge ausschlaggebend, sondern auch der Zuckergehalt. Mindestens 16 Prozent müssen es sein, und ob die aktuelle Ernte diesbezüglich überzeugen kann, wird sich erst noch weisen. Isler hat nämlich eine neue Sorte angepflanzt, sie heisst Escadia. Eine Empfehlung des Branchenverbandes, der die verschiedenen Sorten auf Ertrag, Zuckergehalt und Krankheitsanfälligkeit hin prüft. «Vor vier Jahren bin ich ziemlich auf die Nase gefallen mit einer Sorte», erzählt der Bauer, «viele Pflanzen sind verdorrt vor lauter Pilzen. Da hat man dann natürlich deutlich weniger Ertrag.»

Um Krankheiten vorzubeugen und den Boden nicht einseitig zu nutzen, rotiert Isler den Anbau. Nächsten Frühling wird er auf diesem Acker Mais anbauen, dann Weizen, dann Raps, dann Weizen, dann wieder Zuckerrüben. Der Terra Dos wird also nächstes Jahr an einer anderen Stelle von Islers Land herumkurven.

Zuckerrübenhaufen – ein Anblick, den man auf dem Land gut kennt.

Zuckerrübenhaufen – ein Anblick, den man auf dem Land gut kennt.

Der Haufen, den die Maschine erzeugt hat, ist nun ziemlich gross, aber dass da tatsächlich schon 60 Tonnen liegen sollen, erstaunt dann doch. Das wären etwa 45 Autos, und die würden viel mehr Platz wegnehmen. Nimmt man aber mal eine Zuckerrübe in die Hand, wird das vergleichsweise geringe Volumen verständlich: Die Dinger sind saumässig schwer. Kein Wunder, braucht es 650 PS, um sie so zügig aus dem Boden zu holen. Die 30 000 Quadratmeter sollen gemäss Isler in vier bis fünf Stunden abgeerntet sein. Pfister fährt seinen reisigen Roder dann zu einem anderen der 50 Bauern der Region und macht dort weiter. Lange wird der Haufen nicht liegenbleiben, denn bald werden die Rüben an ihren einzigen Bestimmungsort abgeholt: Die Zuckerfabrik

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