Navigation

Kapitel 1

«Der Kakao ist mein Leben»

Die Reise der Schokolade beginnt in der Elfenbeinküste. Hier hat Landwirt Antoine Kramoh-Kouadio buchstäblich alle Hände voll zu tun: Kakao-Ernte ist 100 Prozent Handarbeit.

Text Kian Ramezani
Fotos Flurina Rothenberger
Datum
Antoine Kramoh-Kouadio bei der Ernte auf seiner Kakaoplantage.

Antoine Kramoh-Kouadio bei der Ernte auf seiner Kakaoplantage.

Bevor man den Kakao sieht, riecht man ihn. In den Dörfern, wo er frisch fermentiert an der Sonne trocknet. Oder auf der Überlandstrasse beim Überholen der vielen Lastwagen, jeder einzelne mit 30 Tonnen der braunen Bohnen auf der Ladefläche. Ganz zu schweigen von den grossen Lagerhäusern an der Küste, wo einem das süsse Aroma fast überwältigt. Im Spätherbst beginnt in der Elfenbeinküste die Haupterntezeit und König Kakao ist allgegenwärtig.

Nur dort, wo alles beginnt, riecht man ihn nicht. Dafür bieten die Kakao-Plantagen etwas fürs Auge: Bäume voller wunderlicher Schoten, die in den Farben Gelb, Rot und Grün leuchten. Landwirt Antoine Kramoh-Kouadio weiss, dass vor allem die Gelben den perfekten Reifegrad erreicht haben. Die hoch Hängenden pflückt er mit einer Art Teleskop-Sichel, die niedrigen mit einer Machete. Vom Boden liest er sie auf und schichtet sie zu einem grossen Haufen auf.

Cabossage: Öffnen der Schoten und Entnahme des Fruchtfleischs samt Bohnen.

Cabossage: Öffnen der Schoten und Entnahme des Fruchtfleischs samt Bohnen.

Um diesen herum lädt Antoine nun zur «Cabossage» (von französisch «cabosse», «Schote»), das Öffnen der Schoten und die Entnahme der Kakaobohnen – eigentlich die Samen der Kakakofrucht.  Gemeinsam sitzt man mit Freunden und Verwandten im Kreis und knackt die Schoten mit zwei, drei gefühlvollen Machete-Hieben. Anschliessend werden die Bohnen samt Fruchtfleisch herausgedrückt und in eine Grube gekippt. Ist diese voll, bekommt sie einen Deckel aus Bananenblättern. Jetzt vollbringen Wärme und wilde Hefebakterien das Wunder der Natur – Fermentation – und verleihen den Kakaobohnen innert einer Woche ihren unvergleichlichen Geschmack.

Kakaobohnen werden gleich vor Ort fermentiert. 

Kakaobohnen werden gleich vor Ort fermentiert. 

Hier im Südosten der Elfenbeinküste, unweit des kleinen Orts Guiré, besitzen Antoines Familie und Verwandte 44 Hektaren Kakaobäume. Er ist verantwortlich für die Bewirtschaftung dieser überdurchschnittlich grossen Fläche. Die Ernte zweimal im Jahr ist 100 Prozent Handarbeit. Kein Motorenlärm, keine Maschinen, nicht einmal richtige Strassen gibt es hier. Nur die Stille des Tropenwaldes. Idyllisch, ja. Aber gewiss kein Schoggi-Job. Die kleinbäuerlichen Strukturen Westafrikas, von wo zwei Drittel der weltweiten Kakaoproduktion stammen, bedeuten für den 32-jährigen Familienvater harte, körperliche Arbeit. «Ich wünschte mir modernere Produktionsmethoden», sagt er. «Zum Trocknen tragen wir die Bohnen auf dem Kopf ins Dorf, und das bis tief in die Nacht.»

Kakao-Rechnung

1 Kakaoschote enthält im Schnitt 40 Kakaobohnen. Diese wiegen nach Fermentierung, Trocknung, Schälung und Röstung rund 200 Gramm. Eine Schote reicht somit für 4 Tafeln Milchschokolade.

Trotzdem ist Antoine mit sich und seiner Arbeit im Reinen. «Der Kakao ist mein Leben», sagt er. Ganz freiwillig war seine Berufswahl nicht. Eigentlich wollte er ins Büro, aber sein damals schon betagter Vater riet ihm: «Wer wird sich um die Plantage kümmern, wenn du weggehst? Dein Platz ist hier.» Neben der Nachfolgeregelung stellte der Vater vor seinem Tod noch eine zweite wichtige Weiche für die Zukunft des Familienbetriebs: Zusammen mit Gleichgesinnten gründete er 2009 die Kakao-Kooperative Necaayo, die drei Jahre später eine Partnerschaft mit der Migros einging. Heute sind 1400 Familien aus der Region angeschlossen. 650 von ihnen beliefern den Migros-Industriebetrieb Delica mit Rohkakao, aus dem im aargauischen Buchs Frey-Schokolade entsteht. Darunter auch die Frey-Tafelreihe «Côte d’Ivoire» (französisch für «Elfenbeinküste»).

karte_schoggi

Die Hauptanbaugebiete für Kakao liegen im Südwesten der Elfenbeinküste.

Die Zusammenarbeit währt inzwischen über zehn Jahre und beide Seiten profitieren: Kakaobauern wie Antoine haben Gewissheit, dass ihnen die Migros jedes Jahr einen vertraglich festgelegten Teil der Ernte abnimmt. Zum Weltmarktpreis kommen Prämien für die Rainforest-Alliance-Zertifizierung hinzu, sowie neu 50 Rappen für jede verkaufte Tafel «Côte d’Ivoire». 2020 startete zudem ein Agroforstprojekt, das durch den Migros-Klimafonds finanziert wird. Die Kakaofelder werden dabei mit zusätzlichen Schattenbäumen ergänzt, die das Mikroklima für den Kakao positiv beeinflussen und ihn widerstandsfähiger gegenüber klimatischen Veränderungen und Krankheiten machen. Darüber hinaus können die Bauern ein Zusatzeinkommen generieren, weil die Bäume Früchte oder Wirtschaftsholz abwerfen. Ausserdem absorbieren sie CO2 aus der Luft, was die Klimabilanz des Kakaos verbessert.

Auch für den Abnehmer lohnt sich die enge Beziehung zu den Bauern in der Elfenbeinküste, die weit mehr sein können als ein Lieferant von Qualitätskakao: Die Migros weiss nicht nur genau, woher dieser stammt, sondern auch von wem und unter welchen Bedingungen er hergestellt wird. Statt nur Gelder gegen strukturelle Probleme wie Kinderarbeit, Armut oder Umweltschäden bereitzustellen, kann man sich jedes Jahr vor Ort ein Bild machen. Die Fortschritte lassen sich sehen, aber es bleibt auch viel zu tun (siehe Kapitel 10 «Primarschule»).

Vor dem Transport müssen die Bohnen getrocknet werden – was direkt an der Sonne bestens funktioniert.

Vor dem Transport müssen die Bohnen getrocknet werden – was direkt an der Sonne bestens funktioniert.

Antoines Bohnen haben die letzten Tage an der Sonne getrocknet und sind nun bereit für ihre lange Reise in die Schweiz. Zunächst packt er sie in 60-Kilo-Säcke und lädt sie auf Kleinlaster – grosse Fahrzeuge hätten auf den unasphaltierten Landstrassen keine Chance. Im Zentrallager der Kooperative im Ort Guiré werden Proben entnommen und die Qualität kontrolliert, darunter Grösse, Fermentierungsgrad und Restfeuchtigkeit. Ist die Charge in Ordnung, kommt alles auf den grossen Lastwagen. Dieser erreicht nach 100 Kilometern den Kakaohafen von San Pedro an der Atlantikküste. Nach einer erneuten Qualitätsprüfung werden die Bohnen gereinigt und in sogenannte Export-Säcke palettiert. In Containern geht es nun aufs Schiff und die knapp zweiwöchige Überfahrt nach Europa (siehe Kapitel 2 «Kakaolager»).

Kleintransporter bringen die Kakaobohnen von den Plantagen in die Lager der Kooperative.

Kleintransporter bringen die Kakaobohnen von den Plantagen in die Lager der Kooperative.

Mit dem Transport endet die Arbeit des Kakaobauern, die anderswo auf der Plantage längst von neuem begonnen hat: Ernten, Öffnen, Fermentieren, Trocknen bestimmen in der Hauptsaison von Oktober bis März den Takt des Lebens. Bis eine fertige Tafel «Côte d’Ivoire» im Migros-Regal steht, werden noch viele andere Leute ihren Teil beitragen. Doch alles beginnt in den Tropenwäldern Westafrikas und mit dem, was Menschen wie Antoine und seine Familie hier leisten.

Landwirt Antoine Kramoh-Kouadio führt durch die Kakaoernte. Video: Hassan El Assal

Der ganze Weg der Schokolade, von der Plantage bis ins Regal. Video: Jana Figliuolo, Daniel Grieser, Hassan El Assal

Schon gelesen?