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Kapitel 6

Aus Milch wird Pulver

Der Weg der Milch zum Milchpulver dauert etwa 40 Stunden. Er beginnt im Euter der Milchkuh, führt durch hunderte Meter von Schläuchen und Rohren und endet auf einer heissen Walze.

Text Thomas Meyer
Fotos Flurina Rothenberger
Datum
Vera Hug, Lebensmittelwissenschaftlerin und Prozessleiterin bei Hochdorf, analysiert in Wasser aufgelöstes Milchpulver.

Vera Hug (29), Lebensmittelwissenschaftlerin und Prozessleiterin bei Hochdorf, analysiert in Wasser aufgelöstes Milchpulver.

Filena und viele weitere Mutterkühe haben gespendet: 12 000 Liter Milch vorn und 12 000 hinten. So viel passen in den Tankwagen und seinen Anhänger, die nun bei der Firma Hochdorf Swiss Nutrition stehen und abgepumpt werden. Bei allen Höfen, auf denen der Fahrer heute früh Milch eingesammelt hat, wurden dabei jeweils kleine Proben in Reagenzgläser geleitet. Die holt der Fahrer nun aus dem hinteren Teil seines Fahrzeuges und bringt sie zur Probenannahme, wo festgehalten wird, zu welchen Bauern die Röhrchen gehören. Nicht nur, um die exakten Milchmengen abzurechnen, sondern auch wegen der Zusammensetzung der Milch und möglicher Antibiotikarückstände.

Die Herstellung von Milchpulver ist jener des Kristallzuckers – entsaften, konzentrieren und trocknen – sehr ähnlich, wobei Milch im Gegensatz zur Zuckerrübe praktischerweise bereits in flüssiger Form daherkommt. Als Erstes wird sie direkt nach dem Abpumpen standardisiert: Je nach Jahreszeit, Wetter und dem, was die Kühe essen, hat ihre Milch einen anderen Fett- und Proteingehalt. Die Qualität des fertigen Pulvers soll aber immer die gleiche sein, weswegen Fette und Eiweisse, die in einer Zentrifuge  entfernt wurden, wieder in standardisierten Menge beigefügt werden. «Als Nächstes wird die Milch pasteurisiert, also kurz erhitzt, um Bakterien abzutöten, und dann filtriert», erklärt Vera Hug (29), Lebensmittelwissenschaftlerin bei Hochdorf.

Von all dem ist jedoch nichts zu sehen, es findet in dicken Rohren und riesigen, bald brennend heissen, bald eiskalten Stahlbehältern statt. Die Milch zeigt sich lediglich mal hier, mal dort in kleinen runden Schaugläsern. Trotzdem ist die Anlage ein in sich geschlossenes System und darf nur mit Schutzkleidung betreten werden.

Nomen est omen: Im Tank befindet sich frische Kuhmilch, die nun abgepumpt und verarbeitet wird.

Nomen est omen: Im Tank befindet sich frische Kuhmilch, die nun abgepumpt und verarbeitet wird.

Die einzelnen Prozessschritte finden in eigenen Hallen statt. In der einen summt es leise, in der nächsten brummt es schon ordentlich, und in jener, in der die Milch konzentriert wird, herrscht ein fürchterlicher Lärm. Vera Hug ist nur noch zu verstehen, wenn sie sehr laut spricht und man das Ohr direkt neben ihren Mund hält. «Die Milch wird jetzt unter Vakuum eingedampft», ruft sie. Der Wassergehalt beträgt am Ende noch 50 Prozent. Das ist wesentlich zäher als der Originalzustand: Aus der Kuh kommt die Milch mit 87 Prozent Wasser.

Milchrechnung

1 Liter Milch wiegt 1030 Gramm und besteht zu 87 Prozent Wasser. Nach dem Verdampfen bleiben also 13 Prozent von 1030, gleich 134 Gramm Milchpulver. Das reicht für 6 Tafeln Milchschokolade.

Am Schluss geht das Konzentrat einen von zwei Wegen: Entweder es wird in heisser Luft versprüht und trocknet dabei zu kleinen Flocken ein, das ist dann das sogenannte Sprühpulver. Oder es wird gleichmässig auf eine dampferhitzte Walze gestrichen und trocknet dort innerhalb von 3,5 Sekunden zu einem Film, der aussieht wie eine hellgelbe Tapete und abgeschabt und schliesslich gehäckselt wird.

Die «Milch-Tapete», eine Vorstufe des Milchpulvers.

Die «Milch-Tapete», eine Vorstufe des Milchpulvers.

Die leichte Färbung rührt daher, dass die Milch durch die Wärme karamellisiert. Das verleiht dem Milchpulver einen süsslichen Geschmack. Ausserdem bekommt Schokolade dadurch einen deutlich zarteren Schmelz. Kein Wunder, setzen Schweizer Schokoladenhersteller auf das aufwendiger produzierte Walzenpulver.

Gehäckselt entsteht das Walzenmilchpulver, das der Schweizer Milchschokolade ihre einzigartige Qualität verleiht.

Gehäckselt entsteht das Walzenmilchpulver, das der Schweizer Milchschokolade ihre einzigartige Qualität verleiht.

«In der Schokolade ist das Milchpulver unsichtbar», sagt Vera Hug, die im Raum mit der drehenden Walze wieder normal sprechen kann. «Aber es ist entscheidend für den Geschmack. Für mich ist es eine kleine versteckte Heldin.» Sie lächelt beinahe verliebt. 

Der ganze Weg der Schokolade, von der Plantage bis ins Regal. Video: Jana Figliuolo, Daniel Grieser, Hassan El Assal

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