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Kapitel 2

Im Kakaolager von Amsterdam

Kakao kommt per Schiff nach Europa – genau gesagt nach Amsterdam. Dort werden die Bohnen für den Weitertransport in die Schweiz bereitgestellt – aber erst, nachdem sie ein letztes Mal für gut befunden worden sind.

Text Thomas Meyer
Fotos Flurina Rothenberger, Jana Figliuolo
Datum
Michael Warmerdam inspiziert das Kakaolager der Delica.

Michael Warmerdam inspiziert das Kakaolager der Delica.

Es ist eine Eigenart der Schweiz, dass hier nichts wirklich gross ist, von den Bergen einmal abgesehen. Steht ein Schweizer dann am Amsterdamer Containerhafen, tut er das mit aufgerissenen Augen, denn hier ist alles riesig: Das Gelände. Die Hallen. Die Fahrzeuge namens «Kalmar», deren mechanische Tentakel die Container packen. Eine tiefe Ehrfurcht vor der grossen weiten Welt ergreift einem. Um sie zu sehen, muss er seine Heimat verlassen. Und zum Beispiel die 1847 gegründete «Handelsveem» Steinweg besichtigen, eine Lagerfirma im Amsterdamer Hafenviertel «Westpoort».

Lagerist Michael Warmerdam (59) empfängt in lockerer holländischen Manier und verteilt Leuchtwesten, damit niemand von einem «Kalmar» übersehen wird. Für die Führung durch den Betrieb sind wegen der schieren Distanzen Autos erforderlich. Der 59-Jährige erklärt auf der Fahrt, dass Steinweg nicht nur Kakao einlagere, sondern auch Metalle, Gewürze, Nüsse und vieles mehr. Der Amsterdamer Hafen sei aber eher klein – zu klein für die grossen Containerschiffe: «Die grossen Schiffe legen in Rotterdam an.» So auch jene mit den Kakaobohnen aus San Pedro in der Elfenbeinküste. Nach rund 4000 Seemeilen oder 7400 Kilometern werden sie in Rotterdam ausgeladen und für den Weitertransport nach Amsterdam auf Lastkähne umgeladen. «Die können nur 150 Container aufs Mal befördern», scherzt er.

Ein Kalmar kippt einen Kakao-Container aus.

Ein Kalmar kippt einen Kakao-Container aus.

Ein solcher Container steht gerade vor einer Halle, schräg in die Luft gehoben, und wird ausgekippt. Jutesäcke voller Kakaobohnen rutschen gemächlich heraus. Jeder wiegt satte 65 Kilo. Das Logo von Steinweg ist denn auch ein gebeugter Mann, der einen riesigen Sack geschultert hat – ein Bild vergangener Zeiten; heute muss hier – im Unterschied zur Elfenbeinküste – keiner mehr schleppen, dafür gibt es Maschinen.

Wie bereits im Herkunftsland wird auch hier jedem Jutesack eine Probe entnommen, die an die Firma Delica in Buchs AG geht. Die Migros-Tochter entscheidet nun abschliessend, ob sie die Ware abnimmt. «Wir analysieren die Bohnen in unserem Labor und beurteilen ihre Qualität mit Noten von 1 bis 5», erklärt Bruno Pfenniger (46), Materialgruppenmanager bei Delica. «Alles unter 4 genügt unseren Anforderungen nicht.» Pfenniger sorgt dafür, dass die Migros jederzeit über ausreichend Kakao in guter Qualität verfügt.

Letzte Qualitätsprobe vor dem Transport in die Schweiz.

Letzte Qualitätsprobe vor dem Transport in die Schweiz.

Nachdem die Proben entnommen wurden, legt eine Maschine die Jutesäcke präzise gegeneinander versetzt auf Holzpaletten, die danach ins Lager gefahren und dort zu hohen Türmen gestapelt werden. Hier warten sie nun, bis Delica sie wöchentlich abruft. «Dann holen wir die Bohnen aus den Jutesäcken und sieben sie, um sie von Steinen, Staub und Jutefasern zu befreien», erklärt Michael Warmerdam. «Schliesslich packen wir sie in sogenannte Big Bags um.» Diese fassen 1000 Kilo und gelangen auf Lastwagen in das 260 Kilometer entfernten Köln, von wo sie mit der Bahn weiter nach Aarau fahren. Für die letzten drei Kilometer zur Delica im benachbarten Buchs kommt nochmals ein Lastwagen zum Einsatz.

Big Bags mit je einer Tonne Kakaobohnen bereit für den Transport in die Schweiz.

Big Bags mit je einer Tonne Kakaobohnen bereit für den Transport in die Schweiz.

100 000 Tonnen Kakaobohnen werden jährlich in Amsterdam angeschifft, hauptsächlich aus Ecuador, Ghana und der Elfenbeinküste. Davon benötigt die Firma Delica 6000 bis 8000 Tonnen pro Jahr für ihre Schokolade. «Noch einmal so viel lassen wir in Amsterdam in einer eigenen Halle einlagern, als permanente Reserve», erklärt Bruno Pfenniger. «Manchmal fallen durch Dürren und Überschwemmungen ganze Ernten aus, oder politische Unruhen in den Bezugsländern unterbrechen die Transportrouten.»

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Aus dem Kakao, den Pfenniger jährlich aus Amsterdam liefern lässt, macht die Migros 30 000 Tonnen Schokolade. 6000 bis 8000 Tonnen Kakao, 30 000 Tonnen Schokolade – man merkt, da stecken noch andere Zutaten drin. Zum Beispiel Zucker und Milch. Und die kommen im Gegensatz zum Kakao aus der Schweiz. 

Der ganze Weg der Schokolade, von der Plantage bis ins Regal. Video: Jana Figliuolo, Daniel Grieser, Hassan El Assal

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