
Fleisch aus dem Labor
Echtes Fleisch ohne Tierleid
Die Lebensmittelbranche tüftelt bereits seit Jahren daran, wie man Fleisch statt am Tier aus einer Zelle im Labor wachsen lassen kann. In Singapur sind nun erste Produkte zum Verkauf zugelassen. In der Schweiz wird es noch ein wenig dauern. Hier finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten zum kultivierten Fleisch.
Wie funktioniert dieses Verfahren genau?
Man entnimmt einem Tier mittels Biopsie eine Stammzelle und entwickelt daraus in einem Bioreaktor spezialisierte Zellen. Diese vermehren sich dann in einer Nährstofflösung mit Hilfe von Wachstumshormonen zu Fleisch. Nach der Zellentnahme dauert es etwa zwei Wochen, bis sich im Bioreaktor kleine Fleischstücke gebildet haben, die zum Beispiel für die Herstellung eines Burgers reichen. Diese Fleischstücke werden zusätzlich mittels Pflanzenproteinen strukturiert, um die vertraute Konsistenz zu erreichen. Langfristig sollen so auch Steaks und Fischfilet entstehen.
Was sind die grössten Herausforderungen?
Die Technologie ist auf guten Wegen, aber die Kosten sind noch zu hoch. Insbesondere der Nährstoff, in dem die Zellen zu Fleisch wachsen, ist noch viel zu teuer. Aber neue Technologien werden mit der Zeit immer billiger. In etwa fünf Jahren sollten die Preise etwa denen der heutigen industriellen Fleischproduktion entsprechen. Eine weitere Herausforderung ist die regulatorische Zulassung für den Verkauf. Dabei helfen soll die Swiss Protein Association, an der auch die Migros beteiligt ist.

Müssen für solches Fleisch wirklich keine Tiere sterben?
Die Zellentnahme passiert, ohne dass dem Tier dabei etwas geschieht. Meist reicht ein einmaliger Eingriff, weil damit eine so genannte unsterbliche Zelllinie angelegt wird. Für die Nährstofflösung wird während der Entwicklungsphase oft noch ein Serum verwendet, das von Tierföten stammt. Es gibt allerdings bereits Firmen, die diese Wachstumshormone komplett durch pflanzliche Produkte ersetzen – die meisten anderen wollen nachziehen. Die Migros hat in zwei Firmen investiert, die dies bereits praktizieren und schliesst aus, kultiviertes Fleisch zu verkaufen, bei dem tierisches Serum verwendet wurde.
Welche Vorteile gibt es sonst noch gegenüber der klassischen Fleischproduktion?
Das Klima wird geschont, weil es weniger Tiere braucht und man das Fleisch lokal produzieren kann und nicht aus fernen Ländern importieren muss. Man kann es zudem von Anfang an fettärmer und somit gesünder machen, was jedoch Grenzen hat, weil Fett für den Geschmack wichtig ist. Man kann viele verschiedene Fleischarten anbieten – auch von «exotischen Tieren» –, ohne dass einem Tier dabei etwas passiert. Das Fleisch kommt steril aus dem Bioreaktor, es hat keine Parasiten und ist durch keine Umweltfaktoren verunreinigt. Es entsteht kein «Abfall», weil man nur den Teil des Fleischs herstellt, der tatsächlich nachgefragt wird.
Das macht die Migros
Wann gibt es die ersten Produkte im Laden?
In Singapur sind erste Produkte in einem Restaurant zugelassen, aber noch deutlich teurer als klassisches Fleisch. Zulassungsanträge für Europa sind in Vorbereitung. Bis solches Fleisch in der Schweiz gekauft werden kann, dürfte es noch mindestens fünf Jahre dauern. Vielleicht gibt es in zwei bis drei Jahren erste Degustationen mit Sonderbewilligungen. Die ersten verfügbaren Produkte werden vermutlich eine Art Chicken Nuggets und Pouletgeschnetzeltes sein, ausserdem Rindsburger und Meatballs.
Wie viel teurer werden sie sein als klassische Fleischprodukte?
Schwer zu sagen – zu Beginn sicherlich teurer als die gleichen Produkte aus klassischer Produktion. Im Gastrobereich wird es sie wohl zuerst in teuren Restaurants geben. Ziel ist jedoch, dass dies keine Luxusprodukte werden, sondern die grosse Masse erreicht. Nur so können das Tierwohl, der Landverbrauch und die Klimabelastung erfolgreich angegangen werden. Im Gegenzug soll das klassisch produzierte Fleisch zum Luxusprodukt werden. Das wird zwar noch dauern, aber die Fortschritte bei der Kostenreduktion sind enorm. Finless Foods in Kalifornien arbeitet zum Beispiel an kultiviertem Thunfisch – 2017 kostete ein Kilo noch 660'000 Dollar, inzwischen sind es noch 440 Dollar. Bei Supermeat in Israel sieht es ähnlich aus: Seit 2016 haben sich die Kosten pro Kilo von 200'000 Dollar auf 300 Dollar reduziert.
Würden Sie kultiviertes Fleisch ausprobieren?
Wird das bei der grossen Masse überhaupt funktionieren? Einige könnten das vielleicht zu «künstlich» finden.
Umfragen in der Schweiz zeigen, dass insbesondere die jüngere Generation sehr offen ist dafür. Ein Forscher brachte es mal so auf den Punkt: «Wenn Sie in zehn Jahren in den Supermarkt gehen, werden Sie die Wahl zwischen zwei Arten von Burgern haben. Für den einen ist eine Kuh gestorben, sie hat Treibhausgase abgegeben und viele Ressourcen verbraucht. Für den anderen gilt das alles nicht. Geschmack und Preis sind gleich. Was kaufen Sie?»
Wann wird es komplexere Produkte wie Steaks geben?
Das ist viel komplizierter und mit einem zusätzlichen und langsameren Wachstums- und Strukturierungsprozess verbunden. Erste Varianten gibt es bereits im Labor, diese sind aber noch klein und nur fünf Millimeter dick. Möglicherweise werden Steaks oder Fischstücke auch mittels 3D-Foodprinter produziert. Bis sowas für den Massenmarkt verfügbar ist, wird wohl noch lange dauern. Da aktuell aber sehr viel Geld in diesen Bereich fliesst, geht es vielleicht doch schneller. Weltweit entwickeln heute rund 70 Firmen solches Fleisch, weitere 50 arbeiten an Technologien, die Strukturen bilden, Kosten reduzieren oder Wachstumshormone ersetzen.
Alle Informationen stammen von Matthew Robin (56) Geschäftsführer der ELSA-Mifroma-Gruppe, eine Tochtergesellschaft der Migros.
08.02.2022
Text: Ralf Kaminski
Bild: © iStock