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Migros-Bus

Migros-Bus

Wie er vor dem Aussterben gerettet wurde

2009 beschloss die Migros, ihre beliebten Verkaufswagen aus dem Ruhestand zu holen. Mit Schrecken stellte man fest, dass keine mehr da waren. So begann eine bisweilen dramatische Suchaktion – mit glücklichem Ausgang.

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Kian Ramezani
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Story

Am Anfang der Migros stand nicht der Supermarkt, sondern der Verkaufswagen: Anno 1925 fuhren in Zürich die ersten fünf aus, auf dem Höhepunkt Mitte der 1960er-Jahre waren es schweizweit 144. Danach nahm deren Zahl ab, Opfer eines stetig wachsenden Filialnetzes. Die letzten zwei Verkaufswagen wurden Ende 2007 im Oberwallis ausser Dienst gestellt, wo sie noch einige entlegene Bergdörfer bedient hatten. Den Grossteil der einst stolzen Flotte hatte die Migros bereits Jahre zuvor stillgelegt.

So verschwanden die ikonischen Busse von den Schweizer Strassen. Gelegentlich sorgten sie als umfunktionierte Wohnmobile für Aufsehen, andere begannen in Übersee einen neuen Lebensabschnitt. Was blieb, waren Erinnerungen an ein einzigartiges Einkaufserlebnis. Und Anfragen beim Kundendienst, warum die Busse nicht mehr fahren.

Wie sich bald herausstellte, vermisste auch die Migros ihre Verkaufswagen. Angesichts ihrer ungebrochenen Popularität begannen 2009 Überlegungen, die alten Fahrzeuge zu Marketing-Zwecken wieder auf die Strasse zu schicken, wenn auch in sehr begrenztem Umfang. Sponsoringprojektleiter Urs Engler hatte die Idee, damit an Musikfestivals zu fahren und den Besuchern eine Einkaufsmöglichkeit zu bieten.

Er begann in die verschiedenen Genossenschaften zu telefonieren, die die Busse betrieben hatten. Die Bilanz war ernüchternd: Das Wallis hatte seinen letzten dem Verkehrshaus geschenkt. Die anderen Genossenschaften waren überzeugt, irgendwo müssten sie noch herumstehen. «Sie täuschten sich, die Busse waren weg», erinnert sich Urs Engler. Erst Jahre später tauchten bei der Migros Wallis und der Migros Tessin zwei stillgelegte Verkaufswagen auf, die aber nicht zum Gebrauch freigegeben wurden.

Engler blieb ein Ausweg, der nicht einer gewissen Ironie entbehrte: Er musste Privatpersonen ausfindig machen, die die Busse damals von der Migros gekauft hatten und nun bereit waren, sie ihr wieder abzutreten. Da erinnerte er sich an ein Bild, das ihn während Jahren unbewusst auf dem Arbeitsweg begleitet hatte: «Bevor ich zur Migros kam, fuhr ich jeden Tag an einer Gärtnerei vorbei, wo vier Verkaufswagen hintereinander standen.»

Alle waren überzeugt, irgendwo müssten ihre Busse noch herumstehen. Sie täuschten sich, die Busse waren weg.

Urs Engler, Sponsoringprojektleiter Migros-Genossenschafts-Bund

Wer genau hinsieht, erkennt deren orange-grünen Doppelstreifen im Hintergrund dieser Aufnahme, die ein Google-Fahrzeug im September 2014 vor besagter Gärtnerei machte:

Über diese Gärtnerei im aargauischen Zuzgen, wo die Busse immer noch standen, kam Engler in Kontakt mit dem Besitzer. Dieser hatte sie ursprünglich zu Wohnmobilen umbauen wollen, den Plan aber nie umgesetzt. Er überliess Engler einen Verkaufswagen vom Typ NAW VU4-23, der zwischen 1989 und 1997 in der Region Basel 143 Ortschaften bedient hatte. Fahrtüchtig war er nach der langen Standzeit zwar nicht mehr, dafür erhielt die Migros ihren alten Bus kostenlos zurück. Der Besitzer sparte sich so immerhin die beträchtlichen Entsorgungskosten.

Ende 2009 konnte die Sponsoring-Agentur «2communicate» aus dem solothurnischen Neuendorf mit der Bergung und originalgetreuen Instandsetzung beginnen. Bereits im Sommer 2010 wurde Urs Englers Traum wahr, als der restaurierte Bus die Festivalbesucher in St. Gallen, Frauenfeld, am Gurten und anderswo begeisterte.

2015 fungierte er in Zug als provisorisches Verkaufslokal, als eine Filiale umgebaut wurde. Auch hier sehr zur Freude der Kunden.

Für die verbleibenden drei Busse in der Gärtnerei in Zuzgen lief unterdessen die Zeit ab. Es war klar, dass auch sie nicht zu Wohnmobilen umfunktioniert würden. Vielmehr begannen sie im Weg zu stehen: «Als wir 2012 eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach der Lagerhalle montierten, mussten wir die Träger und den Wechselrichter fast um die Fahrzeuge herumbauen», erinnert sich Geschäftsführer Markus Hasler von der Hasler Gartenbau AG. Der Besitzer entschied sich zur Verschrottung. Ende 2015 wurde der erste abgeholt, da waren es noch zwei. An dieser Stelle beschloss Engler, einzuschreiten und den verbleibenden beiden Migros-Bussen dasselbe Schicksal zu ersparen.

Die wurden damals für die Ewigkeit gebaut, das könnte man heute gar nicht mehr bezahlen.

Fabian Hürner

Auch diese zwei Fahrzeuge, ein weiterer NAW VU4-23 sowie dessen Vorgängermodell Saurer K500 23, erhielt die Migros kostenlos zurück. Der NAW war in einem wesentlich besseren Zustand, als die lange Standzeit von zwölf Jahren vermuten liess, zumal er in der Gärtnerei Wind und Wetter ausgesetzt war. Weniger überrascht zeigten sich die Fachleute: «Die wurden damals für die Ewigkeit gebaut, das könnte man heute gar nicht mehr bezahlen», sagt Fabian Hürner, dessen Garage mit der Bergung beauftragt worden war. Zum Beispiel sei das Fahrgestell vor der Lackierung sandgestrahlt worden. Das vergrössert die Oberfläche und lässt Grundierung und Farbe besser haften. Rost war somit keiner vorhanden. «Würden Sie ein heutiges Auto da hinstellen, das sähe nach nur einem Jahr schlimmer aus», so Hürner.

Die Instandsetzung des NAW stellte die Experten vor keine grösseren Probleme. Beim Saurer verzögerte sich die Bergung, weil nach all den Jahren der Bremsbelag auf den Trommeln klebte und er deshalb komplett blockierte. Mit sechs Tonnen Granitblöcken über der Hinterachse und Radkeilen lösten sich die Bremsen schliesslich mit einem lauten Knall. Noch etwas Luft in die Pneus, und dem Abschleppen in die Werkstatt stand nichts mehr im Weg.

Ersatzteile für den 6-Zylinder-Turbo-Diesel-Motor des NAW waren problemlos beschaffbar – Mercedes hat sie immer noch an Lager. «Die sind auch froh, wenn sie die loswerden», lacht Hans-Jürgen Bauer, Werkstattleiter LKW in der Mercedes-Garage Kestenholz in Pratteln, wo der Migros-Bus wieder fahrtüchtig gemacht wurde.

Um die äussere Instandsetzung sowie die Restaurierung des Innenlebens kümmerten sich Spezialisten der Agentur Frontwork in Wallisellen. Auch hier kam äusserst währschafte Qualität zum Vorschein: Die Kühl- und Gefriertechnik funktionierte trotz der langen Standzeit noch immer tadellos. Hingegen mussten Hunderte von Gitterkörben entrostet werden, bevor die Regale wieder in altem Glanz erschienen. Aussen war der ikonische grün-orange Doppelstreifen nach all den Jahren im Freien verbleicht. Nach intensiven Recherchen konnte der korrekte Farbcode in einem Archiv ausfindig gemacht werden.

Die grösste Herausforderung waren letztlich die Dimensionen: «Einen Lastwagen zu restaurieren ist etwas anderes als ein Cabriolet, die Flächen sind riesig», sagt Martin Känzig, Projektleiter Display bei Frontwork. Wie seine Mitarbeiter arbeitete auch er gerne an dem Verkaufswagen, den er noch aus seiner Kindheit kannte. Känzigs persönliches Highlight: «Einmal mussten wir ihn verschieben, aber niemand im Team besitzt eine LKW-Bewilligung. Am Schluss setzte ich mich selbst ans Steuer», sagt er lachend. Den Migros-Bus zu fahren, war ein grosser Spass. Wenn auch nur ein paar Meter auf dem Agenturgelände.

Zusammen gelang es diesen Fachleuten, die Busse wieder strassen- und kundentauglich zu machen. Ebenso brauchte es jemanden, der alles koordinierte und jederzeit den Überblick behielt: «Es ist ein spannendes Projekt, das wir über all die Jahre begleiten durften», sagt Franziska Kumli, langjährige Projektleiterin bei der Sponsoring-Agentur 2communicate. «Von der Bergung der Wagen, über die Instandstellung, der Wartung sowie die Verschiebungen an die diversen Eventstandorte in der Schweiz und einmal sogar bis in den Europapark in Rust.»

Irgendwann in der nicht mehr allzu fernen Zukunft wäre dieses Wissen verloren gewesen.

Urs Engler, Sponsoringprojektleiter Migros-Genossenschafts-Bund

Bis heute konnte Urs Engler insgesamt sechs Verkaufswagen in die Migros zurückführen. Vier davon stehen im Einsatz, einer wird noch restauriert, und einer dient als Reserve und Ersatzteillager. Seine Initiative kam keinen Moment zu früh: Er fand noch genügend Fachleute vor, die früher an diesen Fahrzeugen gearbeitet hatten und sich damit auskannten. Beim Saurer K500 23 mussten Senioren aus dem Ruhestand aufgeboten und nicht mehr vorhandene Ersatzteile aufwendig angefertigt werden. «Irgendwann in der nicht mehr allzu fernen Zukunft wäre dieses Wissen verloren gewesen», sinniert Engler. «Aber so ist es uns gelungen, dieses einzigartige Stück Migros-Geschichte für die Nachwelt zu erhalten.» Und das nicht in einem Museum, sondern erlebbar und mit einem echten Mehrwert für die Kunden.

Migroswagen parkiert

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