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René Sgier, Betriebsleiter der Imhofbio AG, zwischen an Zweigen hängenden Cherry-Tomaten

Gemüsebauer René Sgier

Demeter aus dem Glashaus

René Sgier baut Tomaten nach den strengsten Nachhaltigkeitsrichtlinien im grossen Stil an - im Gewächshaus. Das sorgt für Aufsehen.

Von
Benita Vogel
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Was wir tun

René Sgier gräbt seine Finger in den Boden, schaufelt eine Hand voll Erde heraus und hält sie ins Licht. «Hier - ein Tausendfüssler. Und da – da ist ein Springschwanz verschwunden.» Der 43-Jährige stochert mit dem Zeigefinger in der schwarzen Erde. Seine Mundwinkel ziehen sich nach oben. «Das ist ein guter Anfang», sagt der Betriebsleiter des Gemüsebetriebs der Imhofbio AG in Schwerzenbach ZH. Die Firma produziert auf 50 Hektaren Demeter-Gemüse und -Kräuter für die Migros.

Demeter ist die landwirtschaftliche Anbaumethode mit den strengsten Richtlinien überhaupt, strenger als Bio. Sie will Mensch, Tier, Pflanzen und Boden in Einklang bringen. Auf einem biodynamischen Demeter-Betrieb soll nur so viel produziert werden, wie es die zur Verfügung stehenden Ressourcen erlauben. Düngemittel beispielsweise sind strikte reguliert, künstliche schon gar nicht erst erlaubt, auch Herbizide sind verboten. Der typische Demeter-Hof beherbergt meist einige Tiere, umfasst ein wenig Gartenbau mit Obst und Gemüse und vermarktet oft direkt an die Kundschaft. Der Anteil von Demeter an der Landwirtschaft beträgt knapp zwei Prozent des Bioanteils, der sich selbst nur auf 10 Prozent beläuft. Grosse spezialisierte Produzenten wie Imhofbio sind rar.

Noch einen Schritt weiter

Betriebsleiter Sgier hat die grosse Gemüse-Produktion vor vier Jahren von Bio auf Demeter umgestellt. Und jetzt geht der studierte Bodenwissenschaftler und Produktionsgartenbauer gar noch einen Schritt weiter. Er baut Demeter-Gemüse im modernen Glashaus an. Dort haben sie genügend Wärme und sind vom Regen geschützt, was sich positiv auf die Erträge auswirkt.

Mit der Erde in der Hand steht er in seinem neuen, hochmodernen Gewächshaus, das so hoch ist wie ein Einfamilienhaus und die Fläche von gut einem Fussballfeld umfasst. Hier stehen Stängel an Stängel, hochgewachsen, mit einem grünen Blätterdach. Rispen voller Tomaten hängen herunter in Grün, Orange, Hell- und Dunkelrot. Jede Woche verlassen bis zu 4500 Kilo Demeter-Cherrytomaten am Zweig das moderne Gewächshaus, um in der Migros verkauft zu werden.

Der Anbau ist intensiv. Die Tomatenpflanzen, die etwa sechs Tross Zweige mit bis zu 16 Tomaten tragen, benötigen viele Nährstoffe.

Geht das überhaupt, intensiver Grossanbau zu nachhaltigstem Standard? «Das ist kein Gegensatz», sagt der der Demeter-Verfechter. Auch wenn er Gegenwind spüre. Weil sich kleinere Demeter-Bauern etwa um die Glaubwürdigkeit des Labels und die Preise sorgen und er von Abnehmern ab und zu hört, biodynamischer Landbau sei esoterisch. Sgier hat für die Kritiker eine klare Antwort: «Demeter ist ein Label und keine Ideologie. Es ist der nachhaltigste aller Anbau-Ansätze, dem ich mich gerne anschliesse.» Diese müsse auch auf grosser Fläche möglich sein, so Sgier, der inzwischen auch im Vorstand des Label-Verbandes sitzt. Er will beweisen, dass das geht – wissenschaftlich und betriebswirtschaftlich.

«Demeter ist ein Label und keine Ideologie. Es ist der nachhaltigste aller Anbau-Ansätze, dem ich mich gerne anschliesse.»

René Sgier, Demeter-Produzent

Einen ganzen Winter lang gerechnet

Ganz einfach ist das freilich nicht. Sgiers Hauptherausforderung ist es, den Boden mit genügend Nährstoffen zu versorgen, um die Qualität seiner Gemüse konstant hoch zu halten und gleichzeitig stets die gewünschte Menge liefern zu können – und dies auf eine lange Frist. «Nicht, dass ich nächste Saison nur noch kleine Salate produziere, weil der Boden nicht mehr genügend hergibt.»

Er rechnete einen ganzen Winter lang mit Experten des biodynamischen Landbaus durch, wie er seinen Boden versorgen und die Fruchtfolgen anpassen muss, damit das klappt. «Um unseren gesamten Nährstoffbedarf zu decken», müssten wir den Mist von 300 Rinder haben, sagt Sgier. Tiere muss er als Gemüseproduzent zwar noch nicht halten. Dennoch ist er als Demeter-Produzent verpflichtet, 40 Prozent des Düngers vom eigenen Hof zu beziehen. «Das macht es noch ein Stück komplexer, weil wir einen grossen Anteil stark nährstoffbedürftiger Kulturen haben .»

Mehr Nährstoffe nötig

Im Treibhaus ist der Nährstoffbedarf noch höher als beim Freiland-Anbau. Die Tomaten im Gewächsaus benötigen viermal so viel «Futter» wie der Salat auf dem Feld, weil mehr Biomasse produziert wird. Hinzu kommt, dass Sgier den Boden beleben muss. «Wir müssen eine gute Humusschicht aufbauen.» Werden in Treibhäusern üblicherweise Substrate zur Kultivierung verwendet, steht sein Gewächshaus über ganz normalem lehmigen Ackerboden. Um die Organismen darin zum Leben zu erwecken, hat er im Frühling unter anderem 15'000 Würmer darin verteilt. Auf jedem Quadratmeter zwei.

«Langfristig wollen wir die Nährstoffe zu hundert Prozent mit eigenen Ressourcen decken.»

René Sgier, Demeter-Produzent

Daneben kommen Pflanzen zum Einsatz. Siliertes Gras, kleine grüne Kleepellets und geschrotete gelbe Ackerbohnen: was im Stall den Tieren verfüttert wird, dient im Treibhaus als Nahrung für den Humus und für das Bodenleben, was wiederum die Pflanzen ernährt. Die Hülsenfrüchte enthalten viel Eiweiss und sind gute Stickstofflieferanten. Auch Kompost aus Bio-Hühnermist und aus pflanzlichen Abfällen kommen zum Einsatz. Regelmässig messen seine Spezialistinnen und Spezialisten die Nährstoffgehalte im Boden und im Pflanzensaft. Dafür hat er extra neues Personal eingestellt, Trocknungsöfen und die nötige Messtechnik angeschafft. «Wir arbeiten mit der modernsten Technik», sagt er. Zeigen die Messungen einen Notstand an, gibt Sgier auch mal klassische Bio-Dünger und Spurenelemente. «Langfristig wollen wir die Nährstoffe aber zu hundert Prozent mit eigenen Ressourcen decken.» Wie die Mischung genau sein wird, weiss er noch nicht. Dafür hat Sgier nicht nur den Boden im Fokus, sondern auch der Geschmack der Tomaten. Dieser hänge auch von den Nährstoffen ab. «Und hier machen wir keinen Kompromiss.»

Eine Hummel an einem Gitter

Im Winter zieht der Salat ins Gewächshaus

Sgier kippt die Erde in seiner Hand auf den Boden, pflückt sich eine knallrote Frucht und beisst hinein. «Das ist mein Lolipop-Ersatz», sagt er und lacht. Die Pflanzen im Treibhaus der Schweiz liefern noch bis im November biodynamische Tomaten. Heizen darf Sgier gemäss Demeter-Richtlinien danach bis im März nicht mehr. Die Tomatenpflanzen werden ausgerissen und kompostiert – samt Schnüren und Clips, mit denen sie hochgebunden sind. Diese bestehen aus kompostierbarem Material. Bis im Frühling wird Sgier den wertvollen Boden im nachhaltigsten Gewächshaus der Schweiz für den Anbau von Salat fit halten.

Demeter: Das älteste Bio-Label

Demeter ist das älteste internationale Bio-Label mit den strengsten Richtlinien in der naturnahen Lebensmittelproduktion. Es geht auf den Anthroposophen Rudolf Steiner zurück. Das Label will das Ganze stärken – den Boden, die Pflanzen, die Tiere und die Menschen. Fruchtbare Böden, Artenvielfalt, wesensgerechte Tierhaltung und vielfältige Fruchtfolge sind nur einige der Anliegen von Demeter. In den Anbau-Richtlinien spielt der Bauernhof als Kreislauf eine wichtige Rolle.

Ende 2020 waren 362 Landwirtinnen und Landwirte mit knapp 6000 Hektaren Fläche Demeter zertifiziert in der Schweiz.

Die Migros hat das Demeter-Sortiment in den letzten Monaten stark ausgebaut. Die Demeter-Cherrytomaten am Zweig vom Gemüseproduzenten Imhofbio sind in grösseren Migros-Filialen erhältlich, wie viele weitere Produkte in Demeter-Qualität. Hier geht es zur Übersicht über das Demeter-Sortiment in der Migros.