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Portrait von Fabrice Zumbrunnen

Fabrice Zumbrunnen

«Ich fühle mich verantwortlich für künftige Generationen»

Es sei eine moralische Verpflichtung, sich für das neue CO2-Gesetz einzusetzen, sagt Fabrice Zumbrunnen. Der Migros-Chef erklärt, was die Detailhändlerin gegen die Klimaerwärmung unternimmt und wie sie noch ­nachhaltiger werden will.

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Pierre Wuthrich, Benita Vogel
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Nick Hunger
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Alle sprechen von der Corona-Impfung. Lassen Sie sich auch impfen?

Die erste Impfung habe ich schon erhalten. Das hat für mich mit Solidarität und Verantwortung der Gesellschaft gegenüber zu tun. Herdenimmunität gegen Covid-19 erlangen wir nur, wenn sich möglichst viele Leute impfen lassen. Wie viele andere freue ich mich darauf, wenn es wieder möglich sein wird, meine Freunde zu treffen oder ohne allzu grosse Einschränkungen beispielsweise an Konzerte zu gehen.

Empfehlen Sie Migros-Mitarbeitenden ebenfalls sich impfen zu lassen?

Das ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter entscheidet dies für sich selbst.

Am 13. Juni stimmt die Schweiz über zwei Umwelt-­initiativen ab. Die erste will synthetische Pestizide ver­bieten, die zweite sauberes Trinkwasser garantieren. Die Migros wurde zur nachhaltigs­ten Detailhändlerin der Welt gewählt, dennoch lehnt sie ­beide Initiativen ab. Warum?

Das mag paradox erscheinen. Vor allem weil die Migros die Beweggründe der Initiantinnen und Initianten versteht. Das Problem liegt in der Radikalität der Vorlagen. Diese hätten unerwünschte Auswirkungen.

«Wir warten nicht, bis sich die Vorschriften ändern.»

Fabrice Zumbrunnen, Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Die Annahme dieser beiden Initiativen würde zu einem fast vollständigen Stopp der Pouletproduktion in der Schweiz führen. Die Initiative für sauberes Trinkwasser schreibt vor, dass das Futter auf dem Hof produziert werden muss, auf dem die Tiere gehalten werden. Dafür gibt es in der Schweiz nicht genügend Ackerland. Mit unserer Marke Optigal arbeiten wir seit Jahrzehnten mit Hunderten von Bauernfamilien zusammen. Wir haben eine Tierhaltung entwickelt, die für ihre Nachhaltigkeit bekannt ist. Wenn die Initiative durchkommt, müssten wir unser Optigal-Programm stoppen oder infrage stellen. Gleichzeitig würde Poulet aus dem Ausland importiert, denn dort gelten diese Vorgaben nicht. Konsumentinnen und Konsumenten können auch Hähnchen direkt im Ausland einkaufen – wo nicht nach unseren nachhaltigen Standards produziert wird. Das Ergebnis wäre paradox.

Bauern von IP-Suisse produzieren für die Migros Weizen für Brotgetreide ohne Pestizide. Das zeigt: Es geht ja…

Das funktioniert mit Brotgetreide, und ich freue mich, dass die Jowa immer mehr Weizen bezieht, der ohne Pestizide angebaut wird. Aber das funktioniert nicht bei allen Kulturen. Beim Kernobst beispielsweise ist es sehr schwierig, ganz auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verzichten, ohne dass man grosse Ernteausfälle riskiert. Die Migros hat jüngst ein Projekt für den nachhaltigen Anbau von Äpfeln und Birnen gestartet. Gemeinsam mit der Landwirtschaft wollen wir den Einsatz von Spritzmitteln reduzieren, die Biodiversität fördern und die Bodenqualität verbessern. Diese Beispiele zeigen, dass die Migros wo immer möglich selbst aktiv wird und sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzt. Wir warten nicht, bis sich die Vorschriften ändern. Und auch das Parlament ist aktiv geworden. Es hat eine Gesetzesänderung verabschiedet, um den Einsatz von Pestiziden bis 2027 zu halbieren.

Die beiden Initiativen wollen den ökologischen Übergang beschleunigen. Junge Menschen gehen wegen der Umweltkrise auf die Strasse. Für sie ist es dringend.

Ich verstehe die Dringlichkeit und die Ungeduld. Ich habe auch Kinder und fühle mich verantwortlich für die künftigen Generationen. Leider leben wir aber in einer Welt, in der wir zunehmend einfache Antworten auf komplexe Probleme wollen. Die Initiative zum Verbot synthetischer Pestizide zum Beispiel würde Ernteausfälle und Produktionsverluste zur Folge haben. Die Schweizer Landwirtschaft könnte die Nachfrage der Schweizer Bevölkerung nicht mehr in genügendem Masse abdecken. Dies würde sich auf das Produktangebot und die Preise auswirken. So sehr ich die Intention der Initiantinnen und Initianten verstehe – bei den beiden Initiativen überwiegen die negativen Auswirkungen die positiven.

Auch das neue CO2-Gesetz kommt zur Abstimmung. Es hat zum Ziel, mit neuen Umweltabgaben und strengeren Vorschriften für Gebäude und Fahrzeuge den Ausstoss von Treibhausgasen zu verringern. Diese strengeren Vorgaben ­befürwortet die Migros … 

Es ist Teil einer globalen Verantwortung, die wir alle für unseren Planeten tragen. Die Migros engagiert sich bereits seit vielen Jahren für eine nachhaltige Entwicklung. Es ist eine logische Folge, dass wir uns für das neue CO2-Gesetz einsetzen. Um die Ziele zu erreichen, ist es wichtig, dass alle am gleichen Strang ziehen. Ja, das ist mit Anstrengungen verbunden, es werden zusätzliche Kosten entstehen, die auf lange Sicht Hunderte Millionen von Franken betragen dürften. Aber anstelle von zusätzlichen Kosten sprechen wir lieber von notwendigen Kosten. Das sind Investitionen, die eine Art Gesellschaftsvertrag oder eine moralische Verpflichtung gegenüber unseren Zeitgenossen und künftigen Generationen darstellen.

Die Gegner halten das CO2-Gesetz für unfair und teuer. Familien, die ein Haus besitzen, Auto fahren und in die Ferien fliegen, müssen mit Zusatzkosten rechnen. Machen Sie sich keine Sorgen, dass diese in Ihren Läden weniger ausgeben?

Die Erfahrung zeigt, dass man leider nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt, wenn man sich nur auf den guten Willen des Einzelnen verlässt. Der Bund gestaltet diese Kosten sozialverträglich und orientiert sich am Verursacherprinzip. Was wäre die Alternative? Einfach die Augen schliessen? Wenn wir weitermachen wie bisher, geraten wir in eine noch schwierigere Situation. Nur ausserordentliche Anstrengungen erlauben uns, die globale Erwärmung zu korrigieren oder zumindest ihre Dynamik abzuschwächen.

Das Gesetz sieht vor, bis im Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen, das heisst nur so viel Treibhausgase auszustossen, wie natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Ist das überhaupt realistisch?

Zunächst gilt es, die Zwischenstufe zu erreichen: die Treibhausgasemissionen bis 2030 verglichen mit dem Jahr 1990 zu halbieren. Wir sind hier auf einem guten Weg. Die Migros zum Beispiel hat die Treibhausgasemissionen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 25 Prozent reduziert. Nach dem Zwischenschritt haben wir weitere 20 Jahre Zeit, um die Klimaneutralität zu erreichen. Der technologische Fortschritt wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Da es sich um eine gesellschaftliche Herausforderung handelt, ist es gut möglich, dass in 10 bis 15 Jahren neue Lösungen zur Verfügung stehen werden oder dass die aktuellen Techniken effizienter werden.

«Die Migros hat die Treibhausgasemissionen in zehn Jahren um mehr als 25 Prozent reduziert.»

Fabrice Zumbrunnen, Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes

Sie sind also zuversichtlich?

Wir müssen alles tun, um dieses Ziel zu erreichen. Ansonsten wird sich die Erde weiter erwärmen, mit dramatischen Auswirkungen. Natürlich haben wir noch nicht auf alles eine Antwort, aber die Trends, die ich beobachte, geben mir Anlass zu Optimismus. Die Migros will bei diesem Wandel zu den führenden Unternehmen gehören und ein Vorbild sein. Dieser Ehrgeiz ist eine grosse Motivation für die gesamte Gruppe.

Was macht die Migros konkret?

In jedem Unternehmen der Migros-Gruppe haben wir eigene Spezialisten, die sich mit Fragen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit beschäftigen. Im vergangenen Jahr sind wir zudem der Science Based Targets Initiative beigetreten, um unseren Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen zu leisten. Wir investieren stark in Gebäude und haben inzwischen mehrere Läden, die mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. Dann arbeiten wir an der Logistik, indem wir die Bahn wo möglich als Transportmittel bevorzugen. Letztes Jahr waren mehr als 100 000 Bahnwagen im Auftrag der Migros unterwegs. Zudem engagieren wir uns für Lösungen wie Wasserstoff-Lkw oder Cargo sous terrain.

Portrait von Fabrice Zumbrunnen
«Man gewöhnt sich an vieles», sagt Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen über das Jahr 2020, das von der Pandemie geprägt war.© Nick Hunger

Und wie sieht es mit klimafreundlicheren Produktionsmethoden aus?

Auch hier arbeiten wir intensiv an mittel- und langfristigen Verbesserungen. Bis in vier Jahren sollen die Gewächshäuser der Schweizer Produzenten ausschliesslich mit erneuerbarer Energie beheizt werden.

Dies führt zu zusätzlichen Kosten in der Produktion. Wer trägt diese? Der Produzent, die Migros oder der Konsument?

Die Migros beteiligt sich immer auch finanziell an solchen Projekten. Nur so können wir unsere Partner von Innovationen überzeugen. Konsumentinnen und Konsumenten sind bereit, für ein Produkt mehr zu bezahlen, wenn dessen Mehrwert spürbar ist. Wir beobachten dies beispielsweise bei Bioprodukten. Generell ging der Trend in den vergangenen Jahren eher zu sinkenden Preisen. Ich glaube also nicht, dass die Produkte unbedingt teurer werden. Zumal die Migros den Auftrag hat, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten. Das ist in unseren Statuten festgehalten.

Die Migros hat in den letzten Monaten die Preise von 1000 Produkten gesenkt. Werden weitere folgen? 

Ja, wir investieren weiter in Qualität und Preis. Jede Woche werden neue Produkte billiger gemacht. In den kommenden Monaten werden Hunderte weiterer Produkte folgen.

Die Pandemie beschäftigt uns alle nach wie vor stark. Wie verliefen die ersten Monate des laufenden Geschäftsjahrs der Migros?

Die Situation ist vergleichbar mit dem vergangenen Jahr. Das Reisegeschäft, die Gastronomie und die Fitnesscenter leiden. Auch wenn es Wiedereröffnungen gab. Auf der anderen Seite entwickeln sich die Onlineshops, die Supermärkte und die spezialisierten Läden auf sehr hohem Niveau weiter.

«Im vergangenen Jahr waren mehr als 100 000 Bahnwagen im Auftrag der Migros unterwegs.»

Fabrice Zumbrunnen, Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes

Was hat die Migros aus der Pandemie gelernt?

Dass sie fähig ist, sehr schnell gute Lösungen auf völlig neue Herausforderungen zu finden. Dies dank des grossen Engagements aller Mitarbeitenden. Auch dass unsere Versorgungssysteme und unsere Logistik extrem flexibel sind. Bemerkenswert war auch die Solidarität innerhalb des Unternehmens sowie mit all unseren Partnern.

Wie lautet Ihr persönliches Fazit der vergangenen zwölf Monate?

Man gewöhnt sich an vieles. Vor nicht allzu langer Zeit waren wir noch von den Bildern aus Asien beeindruckt, wo wir all diese Menschen mit Masken sahen. Bei uns wird es wohl auch normal sein, eine zu tragen, wenn man zum Beispiel erkältet ist. Ausserdem ist der Handschlag verschwunden, was uns fast nicht mehr wundert ... Schliesslich haben wir alle festgestellt, dass soziale Kontakte sehr wichtig für unser Wohlbefinden sind. Mit Familie und Freunden, aber auch mit Arbeitskollegen. Das ist eher beruhigend. 

M-Budget oder Séléction, Herr Zumbrunnen?

La Chaux-de-Fonds, wo Sie wohnen oder Zürich, wo Sie arbeiten?

La Chaux-de-Fonds, dort bin ich geboren und dort lebt meine Familie.

Im Laden einkaufen oder Online ?

Lebensmittel im Laden. Den Rest immer öfter online.

M-Budget oder Sélection?

Sélection, die Produkte sind mit grossem Know-how verbunden und wecken Emotionen.

Fitness oder Konzert?

Konzerte klassischer Musik.

Ferien am Strand oder in den Bergen?

Mir gefallen die Strände der Bretagne aber diesen Sommer mache ich Wanderferien im Engadin.

Soulages oder Caravaggio?

Nicht einfach…. Caravaggio ist aber besonders faszinierend.

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