Navigation

Mario Irminger im Supermarkt vor der Äpfelauslage

Migros Umbau

«Die Migros ist kein Museum»

Wieso baut die Migros um? Und wie sieht die Migros der Zukunft aus? Mario Irminger, Präsident der Generaldirektion, nimmt Stellung.

Text
Marlies Seifert
Bild
Dan Cermak
Datum
Format
Interview

Mario Irminger, mit welchem Gefühl laufen Sie dieser Tage durch eine Migros-Filiale?

Mit Freude, vor allem wenn ich unser starkes Sortiment an Frischwaren sehe. Darauf ­dürfen wir wirklich stolz sein. Ich gehe ein- bis zweimal pro Woche einkaufen. Da fallen mir auch Punkte auf, bei denen wir noch Potenzial haben. Bei den Preisen etwa sowie punktuell bei der Qualität. Wir wollen wieder günstiger werden. Auch unsere Ladenkonzepte sind nicht überall à jour. Wir brauchen zusätzliche Filialen und ­modernere Läden. Da haben wir Nachhol­bedarf.

Und wie geht es Ihnen mit den grossen Veränderungen, die Sie in den vergan­genen Wochen verkünden mussten?

Es belastet mich, dass unsere Entscheidungen das Schicksal vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beeinflussen, die ja nicht schuld sind an der aktuell schwierigen ­Situation. Die persönlichen Schicksale ­würden mich enorm belasten, wenn ich mich nicht abgrenzen würde.

Mitte Juni wurde bekannt, dass die ­Migros sich von ihren Fachmärkten trennt. Ist das Einkaufen im Laden Schnee von gestern?

Man muss ganz klar unterscheiden zwischen dem Lebensmittelhandel und Non-Food. In die Supermärkte kommen die Menschen nach wie vor gern. Elektronik, Sportartikel oder Möbel werden jedoch vermehrt online gekauft. Da hat man auf dem Markt keine Chance, wenn man in seinem Segment nicht die Nummer eins ist. Das Onlinegeschäft mit Digitec Galaxus hingegen läuft hervor­ragend. Mit dem Verkauf der Fachmärkte passen wir uns den veränderten Bedürf­nissen der Kunden an.

Die Migros verkauft auch Hotelplan und macht grosse Einschnitte in der Eigen­industrie. Geht es ihr so schlecht, dass derart harte Massnahmen nötig sind?

Die Migros ist grundsolide finanziert. Aber: Wir haben schleichend Marktanteile ­verloren. Jetzt können wir jedoch aus einer Position der Stärke handeln und uns von Geschäften trennen, die es schwierig haben oder nicht mehr zum Kerngeschäft der ­Migros passen.

Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, Sie würden das Erbe von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler zerschlagen?

Ich habe Ehrfurcht vor Duttis Lebenswerk. Vieles, das er geschaffen hat, überdauert bis heute. Was aber oft vergessen geht: Dutti war ein gewiefter Geschäftsmann; funk­tionierte etwas nicht, hatte er auch den Mut, eine Idee wieder aufzugeben oder ein Geschäft zu schliessen. Sein Erbe zu bewahren, indem man einen bestimmten Zustand ­konserviert, wäre falsch. Die Migros ist kein Museum. Ein Unternehmen muss sich ­laufend weiterentwickeln und sich auf die Kundenbedürfnisse ausrichten.

Verstehen Sie, dass der Schweiz das Schicksal der Migros nahegeht?

Selbstverständlich. Und es ist grossartig, denn es zeigt: Die Migros ist den Menschen wichtig. Sie wird als Service public betrachtet, ähnlich der Post und den SBB. Wenn sich bei der Migros etwas verändert, hat ­jeder eine Meinung dazu, was auch völlig berechtigt ist. Wir sind uns der grossen ­Verantwortung bewusst, die wir gegenüber der Schweizer Bevölkerung haben, und ­versuchen, die Veränderungen so sozial wie möglich zu gestalten.

Welche weiteren Einschnitte sind bis Ende Jahr geplant?

Keine, die wir nicht bereits angekündigt haben. Die neue Eigentümerschaft von SportX können wir voraussichtlich sehr bald bekannt geben. Die Veräusserungsprozesse der weiteren Fachmärkte sind angelaufen. Bei Hotelplan und der Kosmetikherstellerin Mibelle gehen wir – Stand jetzt – davon aus, dass wir bis Ende Jahr eine Lösung ­präsentieren. Wir haben immer gesagt, dass wir nicht an der schnellsten, sondern an der besten Lösung interessiert sind. Und dabei geht es uns vor allem um die Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter.

Für entlassene Mitarbeitende hat die Migros einen grosszügigen Sozialplan entworfen. Wäre es nicht sozialer ­gewesen, Arbeitsplätze zu erhalten?

Unser Kerngeschäft, der Supermarkt, ist von sehr tiefer Profitabilität geprägt. Da darf man sich nichts vormachen. Wir sprechen von 2 bis 2,5 Prozent Profit, die wir nur dann erreichen, wenn wir absolut effizient ­arbeiten. Es wäre fahrlässig, Prozesse und Arbeitsplätze zu erhalten, die nicht ­notwendig sind. Die Migros wäre schlicht nicht zukunftsfähig.

Die Migros ist eine Genossenschaft, weshalb muss sie trotzdem Gewinn erzielen?

Auch wir müssen in eine nachhaltige ­Zukunft investieren können. Der Gewinn geht zurück in die Migros. In den nächsten Jahren werden rund zwei Milliarden ­Franken in Ausbau und Erneuerung unseres Filialnetzes fliessen.

Wir gehören weiterhin zu den nach­haltigsten Detailhändlern der Welt. Wir werden uns auch in Zukunft für Mensch und Umwelt einsetzen.

Mario Irminger

Die zehn Regionalgenossenschaften bleiben bestehen. Widerspricht das nicht dem Ansatz, Komplexität und Doppelspurigkeiten abzubauen?

Die Verzettelung und der mangelnde Fokus haben nichts mit den Genossenschaften zu tun. Das rührt vielmehr daher, dass es der Migros sehr lange sehr gut ging. In diesen Zeiten liess man sich dazu verführen, immer neue Bereiche ausserhalb des Kerngeschäfts zu erschliessen. Die Genossenschaften ­erlauben es uns, so nah an den regionalen Bedürfnissen zu sein wie kein anderer ­Detailhändler der Schweiz. Unser Label «Aus der Region. Für die Region.» ist eines der stärksten des Landes.

Bei der Industrie werden über 300 Stellen abgebaut. Wurden in der Vergangenheit zu grosse Brötchen gebacken?

Sagen wir es so: Man wollte etwas sein, das man nicht war – ein internationaler Markenanbieter. Der Fokus liegt jetzt wieder auf der Produktion von qualitativ hochwertigen Eigenmarken zu besten Preisen für Migros, Denner und Migrolino.

Coffee B setzt sich nur ­schleppend durch. Halten Sie an der Kaffeekugel fest?

Aber sicher, das ist eine grossartige Innovation. Es braucht Zeit, bis sich das System im Markt durchsetzt. Eine neue Kaffeemaschine kauft man erst, wenn man die alte ersetzt. Auch hier produzieren wir nicht für die Welt, sondern vergeben vielmehr ­Lizenzen, wie dies in den USA und Kanada bereits geschehen ist.

In den Medien war zu lesen, dass die Migros künftig weniger auf Nach­haltigkeit setzt. ­Was ist Ihre ­Strategie?

Das wurde völlig falsch aufgenommen, wir gehören weiterhin zu den nachhaltigsten Detailhändlern der Welt. Und wir werden uns auch in Zukunft für Mensch und Umwelt einsetzen. Allerdings werden wir dies weniger mit vielen kleinen Massnahmen tun, sondern uns stärker auf die grossen Themen konzentrieren und diese gezielt in der ganzen Migros-Gruppe angehen. So arbeiten wir an der Reduktion unseres CO₂-Ausstosses und setzen uns gemeinsam mit unserem Partner IP-Suisse für die Bio­diversität in der Schweiz ein.

Was ist mit dem gesellschaftlichen und kulturellen Engagement?

Das ist tief in unseren Statuten verankert und völlig unbestritten. Die Migros wird auch weiterhin sehr viel Geld pro Jahr in Kultur und Gesellschaft investieren.

Zu den strategischen Geschäftsfeldern der Migros gehört die Gesundheit. Wie passt das zum Detailhandel?

Was wir im Lebensmittelbereich erbringen, ist ein wichtiger Beitrag zur Grundversorgung der Schweiz. Das hat man insbesondere in der Coronazeit gesehen. Medbase kann im Bereich Medizin dasselbe erreichen. Mit Arztpraxen, Apotheken und weiteren Diensten können wir zu einer kosten­günstigen medizinischen Grundversorgung in der Schweiz beitragen.

Werden nun Arztpraxen auf frei gewordenen Verkaufsflächen einziehen? In den USA gibt es die sogenannten Retail Clinics bereits.

Das ist nicht ausgeschlossen. Es braucht ­Offenheit gegenüber neuen Ideen. Wir ­beobachten sehr genau, welche Modelle bei anderen funktionieren. Der US-Supermarkt Walmart hat seine Gesundheitskliniken erst vor Kurzem wieder geschlossen. Inspirieren lassen wir uns trotzdem gern von neuen Ansätzen.

Die Migros feiert nächstes Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Mit welchen Worten würden Sie die Migros im Jahr 2025 beschreiben?

Jung geblieben, innovativ, aber sich ­gleichzeitig auch der grossen 100-jährigen Tradition bewusst. Unser Ziel ist es, die ­Migros so aufzustellen, dass sie weitere 100 Jahre erfolgreich sein kann.

Wir stehen Rede und Antwort

Einblicke und entdecke Geschichten rund um die Migros, unsere Produkte und die Menschen dahinter.

Alle Stories