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Markus Griesser in der Sternwarte Eschenberg in Winterthur

Migros-Sternwarte

«Um die Erde kreist ein riesiger Müllhaufen»

Der Astronom Markus Griesser hat zehn Asteroiden entdeckt. Im Interview sagt er, warum er keine Angst vor den Brocken aus dem All hat, sich aber enorm über Weltraumschrott ärgert.

Text
Michael West
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Alessandro Della Bella
Datum
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Interview

Markus Griesser, Sie haben im Weltall zehn Gesteinsbrocken entdeckt und jedem einen Namen gegeben – aber nie Ihren eigenen. Warum so bescheiden?
Ich hatte nie den Drang, mich im Weltraum zu verewigen. Abgesehen davon geht das auch gar nicht. Das Zentrum in den USA, das alle Asteroiden verzeichnet, hat dazu eine strikte Regel: Astronomen dürfen die Gesteinsklumpen nicht nach sich selbst benennen, auch nicht nach Politikern oder Militärs. Ich habe einigen meiner Asteroiden Zürcher Ortsnamen gegeben – zum Beispiel Winterthur. Allerdings hat ein deutscher Astronom einen Brocken im All auf den Namen Griesser getauft. Er tat das aus Respekt vor meiner Arbeit, und das hat mich natürlich gefreut.

In den letzten Monaten wurde viel über den Asteroiden «2024 YR4» berichtet, der in sieben Jahren in die Nachbarschaft der Erde kommt…
Die Medien waren von diesem Brocken fasziniert, weil die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags zeitweise bei etwa drei Prozent lag. Später reduzierte sie sich auf fast Null. Solche Korrekturen sind typisch. Je länger man einen Asteroiden beobachtet, desto genauer kann man seine Bahn voraussagen.

Was wäre passiert, wenn dieser Klumpen bewohntes Gebiet oder sogar eine Stadt getroffen hätte?
Eine Katastrophe! «2024 YR4» hat zwar nur einen Durchmesser von maximal 70 Metern, bewegt sich aber rasend schnell – mit einem Tempo von etwa 50 000 Stundenkilometern. Daraus ergibt sich eine enorme kinetische Energie, wie es im Jargon der Physik heisst. Der Brocken wäre mit gewaltiger Wucht eingeschlagen und hätte extreme Zerstörungen angerichtet. Es wäre so schlimm gewesen wie die Explosion von 500 Hiroshima-Atombomben.

Eine furchtbare Vorstellung!
Ja, und doch finde ich es falsch, beim Gedanken an ein solches Szenario in Panik zu verfallen. Wir können relativ gelassen sein: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr klein, dass wir je eine solche Katastrophe erleben. Dazu trägt die Tatsache bei, dass nur auf einem Bruchteil der Erdoberfläche Städte und Dörfer stehen. Der Hauptteil der Oberfläche, nämlich über 70 Prozent, ist von den Weltmeeren bedeckt. Trotzdem sollten wir die erdnahen Asteroiden genau beobachten und uns für den Fall wappnen, dass uns ein grösserer Brocken treffen könnte.

Wenn Weltraumschrott verglüht, sieht das aus wie eine Sternschnuppe.

Markus Griesser, Astronom

Was könnte die Menschheit überhaupt tun, um einen gefährlichen Asteroiden aufhalten? In Hollywood-Filme werden solche Klumpen regelmässig mit Atombomben beschossen…
Keine gute Idee! Wenn man einen Asteroiden im Anflug auf die Erde sprengt, könnte im schlimmsten Fall ein Trümmerregen entstehen, der ein viel grösseres Gebiet verwüstet als ein einzelner Brocken. Die NASA entwickelt gerade eine viel bessere Abwehrmethode: Eine Raumsonde soll rechtzeitig mit dem Asteroiden kollidieren und ihn minimal aus der Bahn schupsen. Wenn das in grosser Distanz zur Erde passiert, reicht schon eine winzige Korrektur aus, damit der Gesteinsklumpen schliesslich an unserem Planeten vorbeisaust.

In den letzten Jahren wurden viele neue Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen. Hat sich der Nachthimmel dadurch verändert?
Oh ja, die Veränderungen sind mit blossem Auge zu erkennen: Elon Musks Unternehmen SpaceX schiesst regelmässig ganze Horden von Starlink-Satelliten in den Orbit. Solange sie noch in einer tiefen Umlaufbahn sind, sieht man sie von der Erde aus wie eine Perlenkette aus winzigen Lichtpunkten. Hinzu kommt die immer grössere Masse an Weltraumschrott: Wenn solcher Abfall in der Atmosphäre verglüht, sieht es aus wie eine Sternschnuppe.

Ist der Weltraumschrott denn gefährlich?
Er könnte die Internationale Raumstation ISS treffen und Astronauten verletzen. Vor allem aber ist diese Abfallmasse ein enormes Problem für uns Astronomen. Ein riesiger Müllhaufen kreist um die Erde und behindert immer mehr unsere Beobachtungen. Das ärgert mich sehr. Das Problem ist, dass es keine Regeln für die kommerzielle Nutzung des Alls gibt. Absolut jeder, der die technischen Möglichkeiten hat, darf Objekte in den erdnahen Weltraum schiessen. Darunter sind auch windige Firmen, denen es nur um kurzfristigen Profit geht.

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