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In einem sterilen Labor trägt eine Person blaue Handschuhe. In der einen Hand hält sie eine Ähre, in der anderen ein Instrument.

Gentechnologie

«Das Risiko ist nicht grösser als bei konventioneller Züchtung»

Sollen genveränderte Lebensmittel in der Schweiz weiter verboten bleiben? Nein, findet ETH-Pflanzenwissenschaftler Bruno Studer. Er glaubt, dass durch neue Züchtungsverfahren eine nachhaltigere und robustere Landwirtschaft möglich ist.

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Jörg Marquardt
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Alexander Raths - stock.adobe.com
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Interview

Derzeit dürfen in der Schweiz keine gentechnisch veränderten Organismen angebaut werden. Nächstes Jahr wird neu darüber entschieden. Halten Sie ein Ende des Verbots für richtig?

Ich bin dafür, die Situation neu zu beurteilen. Als das Verbot vor fast 20 Jahren eingeführt wurde, war Gentechnologie noch Neuland. Damals konnte man die Folgen einer nicht regulierten Anwendung schwer abschätzen. Seither wissen wir dank unzähliger Studien sehr viel mehr über den Nutzen und die Sicherheit dieser Verfahren.

Das Verbot hinkt der Wirklichkeit hinterher?

Es erfüllt seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr. Vor allem müssen wir den Begriff «Gentechnologie» präziser definieren.

Warum?

Weil sich die Methoden weiterentwickelt haben. Mit neuen Züchtungsverfahren lassen sich Pflanzen so verändern, wie dies auch in der Natur oder durch konventionelle Züchtung hätte geschehen können – jedoch gezielt und viel effizienter. Wie gehen wir mit solchen Pflanzen um? Wir brauchen zeitgemässe Definitionen und eine klare Unterscheidung, was zugelassen werden soll und was nicht.

Trotzdem löst eine mögliche Zulassung in der Landwirtschaft bei vielen Menschen Ängste aus.

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Auch hier müssen wir unterscheiden: Sprechen wir von klassischer Gentechnologie oder von neuen Züchtungsverfahren? Neueste Studien zeigen, dass ein erheblicher Teil der Schweizerinnen und Schweizer gegenüber neuen Züchtungsverfahren positiv eingestellt ist, sofern durch die Anwendung ein konkreter Nutzen entsteht.

Welcher?

Den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft zu reduzieren, zum Beispiel.

Welche Pflanzen kommen für gentechnische Veränderungen vor allem infrage?

Grosses Potenzial sehe ich beim Apfel und bei der Rebe: Beide sind in der Schweiz tief verwurzelt, hinterlassen jedoch in der Produktion einen enorm grossen ökologischen Fussabdruck. Hier können neue Züchtungsverfahren helfen, die Resistenz gegenüber Krankheiten wie Schorf oder Feuerbrand beim Apfel oder Falscher und Echter Mehltau bei der Rebe zu verbessern, ohne die erwünschten Eigenschaften von Gala-Äpfeln oder Pinot-Trauben zu verlieren. Dies würde den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erheblich reduzieren.

Sie vermeiden das Wort «Genmanipulation». Was stört Sie daran?

Der Ausdruck ist selbst manipulativ, weil er Ängste schürt und fachlich wenig hergibt. Alle Kulturpflanzen, wie wir sie heute kennen, sind durch die «Manipulation» von Genen entstanden und ähneln ihren Vorfahren nur noch im weitesten Sinne.

Warum reichen klassische Züchtungen in der Landwirtschaft nicht mehr aus?

In vielen Fällen kommt man durch die Anwendung neuer Züchtungsverfahren effizienter ans Ziel, etwa bei der Verbesserung der Krankheitsresistenz von etablierten Apfel-, Reb- oder Kartoffelsorten. Zudem entstehen ganz neue Möglichkeiten, die die klassische Züchtung nicht bietet. Ich denke an die Reduktion von Food Waste durch die verlängerte Haltbarkeit oder an die Verbesserung von Inhaltsstoffen und somit der Produktqualität.

Kritische Stimmen behaupten, die Folgen für die Umwelt seien ungewiss. Stimmt das?

Das hängt davon ab, wie diese Methoden eingesetzt werden. Aus über 20 Jahren Forschung im Bereich Sicherheit gibt es kein einziges wissenschaftlich haltbares Beispiel für negative Auswirkungen bei gentechnisch veränderten Pflanzen, die auf die Technologie an sich zurückzuführen sind.

Gibt es keine Risiken?

Nichts im Leben ist ohne Risiko. Bei der Gentechnologie und den neuen genomischen Methoden in der Pflanzenzüchtung fällt das Risiko jedoch nicht höher aus als bei der konventionellen Züchtung. Zu diesem Ergebnis kommen langjährige Forschungsprogramme, die mittlerweile durch Tausende Studien bestätigt wurden.

Hat eine gentechnikfreie Landwirtschaft noch eine Zukunft?

Natürlich. Entscheidend ist, wie wir «Gentechnik» und «gentechnikfrei» definieren und voneinander abgrenzen. Unser eigentliches Ziel sollte jedoch nicht eine «gentechnikfreie» Landwirtschaft, sondern eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft sein. Von vornherein auf solche Technologien zu verzichten, wäre angesichts der globalen Herausforderungen nicht der richtige Weg.

Gentechnisch veränderte Pflanzen dürfen in vielen Ländern patentiert werden, auch in Europa. Gilt dies auch für neue Züchtungsverfahren?

Die Diskussion über die Patentierbarkeit von Produkten aus neuen Züchtungsverfahren ist noch nicht abschliessend geführt. Ob wir uns von grossen internationalen Saatgutproduzenten und dem Ausland abhängig machen, hängt letztlich davon ab, wie wir den Umgang mit neuen Züchtungsverfahren gesetzlich regeln. Diese Gefahr ist besonders gross, wenn wir der einheimischen Pflanzenzüchtung den Zugang zu gewissen Technologien gesetzlich verwehren oder den kleinen und mittleren Züchtungsunternehmen teure Bewilligungsverfahren auferlegen.

Welche Verantwortung haben Lebensmittelhändler wie die Migros?

Sie haben die Aufgabe, ihre Kundschaft offen und sachlich über dieses Thema zu informieren. Da sie der Nachhaltigkeit verpflichtet sind, sollten sie prüfen, welchen Beitrag Pflanzen aus neuen Züchtungsverfahren zu diesem Ziel leisten können.

Was halten Sie von einer Kennzeichnungspflicht für Produkte aus neuen Züchtungsverfahren?

Grundsätzlich ist eine Kennzeichnungspflicht wünschenswert, um die Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten zu gewährleisten. Die dafür nötige Warenflusstrennung entlang der gesamten Wertschöpfungskette würde aber einen grossen Mehraufwand bedeuten. Dieser Aufwand wäre bei Produkten, die jenen aus konventioneller Züchtung gleichen, kaum zu rechtfertigen. Zudem ist der Nutzen solcher Kennzeichnungen zur Herstellung von Transparenz umstritten.

Inwiefern?

In vielen Fällen werden solche Labels entweder nicht beachtet oder sogar missverstanden. Dadurch leisten sie keinen Beitrag zu informierten Entscheiden.

Werden wir in ein paar Jahren weniger kontrovers über dieses Thema diskutieren?

Davon bin ich überzeugt. Gegenüber früher haben sich die Debatten bereits erheblich entspannt. Viele anfänglich kritische Stimmen erkennen das Potenzial dieser Technologien an, zum Beispiel der Bio-Pionier Urs Niggli. Es sind die sinnvollen Anwendungen, die zu einer weiteren Versachlichung des Themas führen werden.

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