Migros-Engagement
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Alkohol-Abstimmung
Viele suchtgefährdete Menschen seien auf die «alkoholfreie Insel» Migros angewiesen, sagt Philipp Hadorn. Der Präsident des Blauen Kreuzes warnt davor, die sozialen und volkswirtschaftlichen Folgen des Alkoholmissbrauchs zu unterschätzen.
Nein, gar nicht. Auch in meiner Kindheit wurde zu Hause nie Alkohol getrunken, mein Vater hatte Vorbehalte dagegen. Das überzeugte mich zwar nicht, aber ich habe mich nie gross dafür interessiert. Als Teenager ärgerte es mich, wenn ich Druck verspürte, mit Kollegen mitzutrinken. Ich wollte mir das nicht vorschreiben lassen.
Der Glaube ist für mich eine Ressource, aber mit der Diskussion um Alkohol hat er nichts zu tun, einzig prägt dieser wohl meinen Umgang mit Menschen in Not. Ich sehe keinen Mehrwert im Alkohol. Wenn Wasser zu Wein verwandelt würde, nähme ich vielleicht wieder einen Schluck (lacht).
Wir haben viele Mitglieder beim Blauen Kreuz, die dieses Alleinstellungsmerkmal der Migros sehr schätzen. Klar hat die Mehrheit den Konsum im Griff, aber trotzdem gibt es in der Schweiz mehr als eine Viertel Million alkoholabhängiger Menschen und viele weitere, die suchtgefährdet sind. Sie sind auf diese alkoholfreie Insel Migros angewiesen.
Ich kenne viele Abhängige, die Therapien hinter sich haben. Das sind lange und oft traurige Geschichten. Die Betroffenen haben einen hohen Preis bezahlt, Familie, Freunde und den Job verloren. Die meisten müssen ganz auf den Alkohol verzichten, weil sie rückfällig werden könnten. Das sind heikle Situationen. Die Versuchung, bei Gelegenheit Alkohol zu kaufen, ist sehr gross, die Selbstbestimmung in den Momenten des Verlangens eingeschränkt. In Überforderungssituationen greifen sie zum Alkohol, wenn er im Regal steht und derart niederschwellig erhältlich ist. Und die Migros hat nicht nur die 630 Supermärkte, auch die 235 Restaurant- und Take-aways sind eine wichtige «safe zone» für Abhängige und Gefährdete.
Bei einer Einführung des Alkoholverkaufs bei der Migros würde das Angebot sichtbarer, die Werbung zunehmen. Ich hoffe nicht, dass der Konsum zunehmen würde, aber der Abwärtstrend könnte abflachen oder gebremst werden. Trotz der Rückläufigkeit ist Alkoholsucht immer noch ein bedeutendes Problem, das jährlich einen volkswirtschaftlichen Schaden von 2,8 Milliarden Franken verursacht. Vielleicht führt diese Abstimmung dazu, dass man die Alkoholdebatte wieder einmal führt und man sich bewusst wird, was diese Sucht für die Gesellschaft bedeutet.
Es geht hier nicht um regulatorische Eingriffe, wir sind nicht in einer Verbotskultur. Es geht darum, dass ein Unternehmen, das freiwillig auf etwas verzichtet, diesen Mehrwert aufgeben will. Wir wollen nicht alles verbieten und auch kein Spasskiller sein. Es ist das Alleinstellungsmerkmal der Migros, keinen Alkohol zu verkaufen, welches wir bewahren wollen. Zudem haben wir als Gesellschaft bei Produkten wie Zucker einen Wandel durchgemacht, wir sind für die Auswirkungen des übermässigen Konsums sensibilisiert.
Das stimmt, ich habe drei erwachsene Söhne, keinem würde es in den Sinn kommen, sich ans Steuer zu setzen, nachdem er Alkohol getrunken hat. Es gab einen Kulturwandel, die Sensibilisierung und Prävention hat funktioniert. Trotzdem haben immer noch bemerkenswert viele Leute keinen gesunden Umgang mit Alkohol. Jeder 12. Todesfall von 15- bis 74-Jährigen ist auf Alkoholabhängigkeit zurückzuführen. Alkoholsucht ist nicht nur für die direkt Betroffenen eine ungeheure Belastung, sondern auch für das private und berufliche Umfeld. Wir alle haben wohl in unserem Verwandten- oder Bekanntenkreis Menschen, die ein Alkoholproblem haben.
Die Migros allein kann die Alkoholabhängigkeit nicht beseitigen, aber sie leistet einen wesentlichen Beitrag dazu. Wenn dieser verloren ginge, wäre das schade. Das sage ich auch als «Migros-Kind».
Prävention kann auf das Verhalten des Individuums oder auf die Gesellschaft abzielen. Individuelle Verbote können die Situation verschlimmern, das hat die Prohibition in den USA gezeigt. Aber weniger Werbung, höhere Preise und nicht eine ständige Verfügbarkeit bringen den Konsum auf ein vernünftiges Mass und verhindern viel Leid. Parallel können wir die Persönlichkeit der Menschen stärken. Es geht nicht darum, Gefahren grundsätzlich zu verhindern oder zu minimieren. Vor allem junge Menschen müssen in ihrem selbstbestimmten Leben gefördert werden, damit sie wissen, was sie wollen.
Die Positionierung. Geht es darum, spezielle und auch regionale Produkte anzubieten oder einfach Umsatz zu bolzen? Auch die Platzierung im Laden würde eine wichtige Rolle spielen. Aber so weit sind wir ja noch nicht. Die Genossenschafterinnen und Genossenschafter können das jetzt entscheiden. Ich werde auch abstimmen.
Philipp Hadorn (55) ist seit neun Jahren Präsident vom Blauen Kreuz, das mit 270 angestellten Spezialisten und über 1000 Freiwilligen in der Alkohol-Prävention, -Beratung und -Nachsorge tätig ist. Er absolvierte eine KV-Lehre in der Uhrenindustrie, studierte Jura, war SP-Nationalrat und ist Zentralsekretär der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Hadorn ist verheiratet und Vater dreier Söhne und lebt in Gerlafingen SO.
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