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Nelly Richina füllt in der Apotheke Heilkräuter ab

Medbase

«Lavendel ist eine Hausapotheke für sich»

Wie viel Kraft steckt in Kräutern? Welche helfen bei welcher Krankheit, und wann sind sie gefährlich? Die Kräuterexpertin Nelly Richina erklärt es.

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Jörg Marquardt
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Mali Lazell
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Interview

Nelly Richina, gegen alles ist ein Kraut gewachsen – stimmts?

Zumindest gegen vieles! Heilkräuter sind wahre Multitalente. Sie helfen nicht nur bei Beschwerden wie Erkältungen, Hauterkrankungen oder Verdauungsstörungen, sondern unterstützen auch die Behandlung von schweren Krankheiten und psychischen Leiden – manchmal alles in einem.

Zum Beispiel?

Lavendel ist eine Hausapotheke für sich. Eingenommen hat sein Öl eine angstlösende Wirkung, wie zahlreiche Studien belegen – ein gutes Mittel bei Ängstlichkeit und Unruhe. Wird es auf einen Insektenstich aufgetragen, lindert es den Schmerz oder Juckreiz.

Wie sind Sie zur Kräuterheilkunde gekommen?

Der Garten meiner Kindheit war prägend für mich. Dort baute meine Nonna allerlei Kräuter und Gemüse an. Sie brachte mir früh bei, welche Pflanze für was gut ist. War ich erkältet, gab es Holunderblütensirup, bis er mir zum Hals heraushing (lacht).

Worauf beruht die Kraft der Kräuter?

Heilkräuter enthalten oft ein breites Spektrum an wertvollen Inhaltsstoffen, die im Zusammenspiel besonders effektiv sind. Mein Vater hat seine Gicht mit Teufelskralle behandelt. Ihr Hauptwirkstoff wirkt entzündungshemmend. Zugleich regt die Pflanze den Stoffwechsel an und hilft so, Schadstoffe aus den Gelenken abzutransportieren.

«Gute Medizin muss bitter schmecken», lautet eine Redensart. Gilt dies auch für Heilkräuter?

Längst nicht für alle. Die Blüten des Mädesüss sind, wie der Name schon sagt, leicht süsslich und erinnern an Honig. Sie werden als Tee getrunken und helfen bei fieberartigen Symptomen. Auch die Wurzeln des Löwenzahns schmecken süsslich. Grundsätzlich sind Bitterstoffe aber nützlich.

Warum?

Weil sie antibakteriell und entzündungshemmend wirken, so wie der bittere Wermut, der bei Magen-Darm-Beschwerden hilft. Bitterstoffhaltige Pflanzen fördern zudem die Verdauung und regen Leber und Galle an.

Welche Vorteile haben pflanzliche Produkte gegenüber klassischen Medikamenten?

Heilkräuter können bei mehreren Beschwerden gleichzeitig helfen. Eibischwurzel wird zum Beispiel bei Schleimhautreizungen im Mund- und Rachenraum und damit verbundenem Reizhusten angewendet. Dies kann zur Linderung von Nebenwirkungen einer Chemotherapie beitragen. Ein weiterer Vorteil liegt in der Darreichung: Bei Schluckbeschwerden, vor allem im Alter, sind Kräuter in Form von Tees oder Tropfen eine gute Alternative zu Tabletten. Zudem sind pflanzliche Produkte häufig besser verträglich.

Was ist mit Nebenwirkungen?

Heilkräuter haben in der Regel weniger Nebenwirkungen als Medikamente mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen. Ihre vielen Inhaltsstoffe wirken im Zusammenspiel sanfter auf den Körper ein und gleichen sich gegenseitig aus. Pflanzliche Arzneimittel müssen den Qualitätsanforderungen im Heilmittelgesetz entsprechen.

Sind pflanzliche Arzneimittel völlig unbedenklich?

Nein, auch sie können unerwünschte Nebenwirkungen haben oder sogar giftig sein. Bei einigen Kräutern ist auch ein Gewöhnungseffekt möglich. Sennesblätter dürfen deshalb nicht dauerhaft gegen Verstopfung eingenommen werden.

Wird das Potenzial von Heilkräutern genug erkannt?

Grundsätzlich schon, aber im Bereich der Frauen- und Kinderheilkunde sehe ich noch viel Potenzial. Ich denke an Schafgarbe und Frauenmantel bei Menstruationsbeschwerden. Oder an Weissdorn, der bei vorübergehenden nervösen Herzbeschwerden wie etwa Herzklopfen in den Wechseljahren hilft.

Und was hilft Kindern?

Leiden Kinder an innerer Unruhe, empfehle ich zur äusseren Anwendung Lavendelöl. Auch Passionsblumenkraut oder Kalifornischer Mohn wirkt beruhigend und schlaffördernd. Die ätherischen Öle der Engelwurz sind ideal in der Erkältungszeit.

Wann raten Sie von Heilkräutern ab?

In gewissen Fällen ist Vorsicht geboten, etwa wenn noch andere Arzneimittel angewendet werden. Bei einigen Heilkräutern besteht die Gefahr unerwünschter Wechselwirkungen. Wer zum Beispiel Medikamente einnehmen muss, die das Immunsystem hemmen, sollte die Finger von Johanniskraut lassen, auch wenn es für seine entspannende und stimmungsaufhellende Wirkung geschätzt wird. Das Fachpersonal kann in diesen Fällen Beratung und Alternativen anbieten.

Was erwarten die Menschen von pflanzlichen Produkten?

Heilung und Linderung auf sanftem und natürlichem Weg, eine bessere Verträglichkeit als klassische Arzneimittel und ein besonderes Flair, das das Wohlbefinden fördert. Viele ätherische Öle müssen gar nicht eingenommen werden. Es reicht, ein paar Tropfen auf ein Tuch zu geben und die Dämpfe zu inhalieren.

Welche pflanzlichen Produkte sind aktuell besonders gefragt?

Neben Echinacea boomt Taigawurzel, die als natürliches Stärkungsmittel bei körperlicher und geistiger Erschöpfung eingesetzt wird. Nach den Schulferien steigt auch das Interesse für Pflanzen aus Ferienregionen, zum Beispiel für den zitronig schmeckenden Sumach. Er wird im arabischen Raum als Tischgewürz genutzt und hilft bei Verdauungsproblemen.

In der Berg-Apotheke entwickeln Sie auch neue Rezepturen – woran arbeiten Sie gerade?

In unserem Sortiment finden sich viele Hausspezialitäten, und wir erweitern diese kontinuierlich mit neuen Rezepturen. Zusätzlich entwickeln wir neue Präparate in Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten.

Schlummern noch viele unentdeckte Wirkstoffe in der Natur?

Auf jeden Fall, die meisten Pflanzen sind noch weitgehend unerforscht. Es gibt laufend neue Erkenntnisse auch zu bekannten Heilpflanzen. Zahlreiche Forschungsberichte deuten darauf hin, dass Mariendistel und Silibinin bei Typ-2-Diabetes wirksam sind. Oder dass Johanniskraut bei Alzheimer helfen könnte.

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